Dass die theoretische (Elementarteilchen-)Physik im Moment ein bisschen feststeckt, ist vermutlich unbestritten: Das sogenannte Standard-Modell der Elementarteilchen, das die elektromagnetische Wechselwirkung und die schwache und die starke Kernkraft beschreibt, stammt aus den 60er und 70er Jahren. Es wurde wiederholt eindrucksvoll bestätigt, beispielsweise durch die Entdeckung des sogenannten Z-Teilchens oder vor ein paar Jahren durch die Entdeckung des letzten noch fehlenden Bausteins, des Higgs-Teilchens. (Über das Higgs habe ich ziemlich viel geschrieben, am besten nutzt ihr die Suchfunktion.)
Das Standard-Modell hat zugegebenermaßen ein paar Löcher (beispielsweise fehlt eine Erklärung dafür, dass Neutrinos eine Masse haben, was man seit den 90er Jahren weiß), im wesentlichen ist es aber eine gute Beschreibung dessen, was im Reich der Elementarteilchen passiert. Die meisten Physikerinnen (ja, weibliche Form, heult, wenn ihr müsst, in den Kommentaren) sind der Ansicht, das Modell ist zu gut, denn es es ziemlich komplex und hat jede Menge freie Parameter: Zahlen, die man in das Modell einfach hineinstecken muss und für die man innerhalb des Modells keine Erklärung hat. Was ebenfalls viele stört, ist das sogenannte “fine-tuning”-Problem (Auch Hierarchieproblem genannt): Eigentlich sollte man (Details spare ich mir hier) erwarten, dass die Masse des Higgs-Teilchens sehr groß ist, viel größer als der gemessene Wert. Um doch den gemessenen Wert in der Theorie zu bekommen, muss man annehmen, dass Quanteneffekte den Wert auf subtile Weise ausbalancieren. Es ist ungefähr so, als ob ihr gleichzeitig von eurer Erbtante ein Vermögen von 1234567890 Euro erbt und durch eine Verkettung unglücklicher Umstände Schulden in Höhe von 1234567891 Euro macht, so dass ihr am Ende nur einen Euro Schulden übrig behaltet. Das wäre schon ein unglaublicher Zufall.
Die meisten Physikerinnen gehen deshalb davon aus, dass dieses “fine-tuning” durch eine fundamentalere Theorie erklärt wird. Das Problem ist nur, dass wir (abgesehen von Dingen wie den Neutrino-Massen) wenige Phänomene haben, die diese fundamentale Theorie erklären müsste und die nicht schon durch das Standard-Modell erklärt werden.
Auf der Suche nach einer solchen Theorie lassen sich viele Physikerinnen deshalb von ihrer Intuition leiten – insbesondere davon, dass sie erwarten, eine solche Theorie müsse “elegant” oder “schön” sein. Das hat in der Vergangenheit manchmal geklappt – manchmal aber auch nicht. Und genau bei diesem Problem setzt das Buch “Lost in Math” von Sabine Hossenfelder an, die manche vielleicht von ihrem hervorragenden Blog “backreaction” kennen.
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