“A watched pot never boils”, sagt man im Englischen, um zu verdeutlichen, dass Dinge besonders lange zu dauern scheinen, wenn man darauf wartet. Dieses schöne Sprichwort (das keine gute deutsche Übersetzung hat, soweit ich weiß [Nachtrag: Rossi schlägt in den Kommentaren “Bewachte Milch kocht nie”vor]) hat tatsächlich eine Entsprechung in der Quantenemchanik, die unter dem Namen “Quanten-Zeno-Effekt” bekannt ist. Da das Thema neulich in einer Diskussion aufkam, nutze ich mal die Gelegenheit, kurz zu erklären, was es damit auf sich hat.
Um den Effekt zu verstehen, brauchen wir mal wieder einen Crash-Kurs in Quantenmechanik (klickt rechts bei den Artikelserien oder in die tag-Wolke, wenn ihr mehr wissen wollt). Und dazu beginnen wir wie üblich in der klassischen Physik, damit man die Ähnlichkeiten und Unterschiede besser sieht.
Fangen wir mit einer Welle in der klassischen Physik an – stellt euch vor, ihr werft einen Stein in einen See, dann bildet sich eine Welle, die sich von da, wo der Stein hineingeplumpst ist, nach außen ausbreitet. Natürlich könnt ihr diese Welle die ganze Zeit beobachten und sehen, wie sie sich entwickelt, die Welle wird sich stetig nach außen ausbreiten und dabei immer flacher werden. Wenn wir nur an einem Punkt gucken, dann sehen wir immer “weniger Welle” (vornehm gesagt, eine immer kleinere Amplitude), je weiter sich die Welle ausgebreitet hat (Der Tropfen, der in der Mitte wieder hochschießt, ist hier für die Diskussion irrelevant, achtet nur darauf, wie die welle nach außen flacher wird.):
By Davide Restivo from Aarau, Switzerland – Drops #3, CC BY-SA 2.0, Link
In der Quantenmechanik beschreiben wir Objekte wie Elektronen auch als eine Art Welle. Fangen wir mit einem Elektron an einem Punkt an – wir wissen, dass das Elektron genau an diesem Punkt ist, weil wir es vielleicht dort beobachtet haben. Wenn wir das Elektron jetzt in Ruhe lassen (also auch nicht beobachten), dann beschreiben wir das, was es tut, ebenfalls über eine Welle, die sich ausbreitet. (Man spricht beim Elektron von der “Wellenfunktion”.) Auch diese Welle nimmt nach außen hin immer weiter ab. Diese Welle(nfunktion) beschreibt das Elektron, wir können sie selbst aber nicht beobachten.
Wenn wir das Elektron beobachten (beispielsweise mit einem Leuchtschirm, der aufleuchtet, wenn er von einem Elektron getroffen wird, so wie der Schirm eines alten Röhrenfernsehers), dann beobachten wir keine Welle, sondern wir beobachten das Elektron an einem Punkt, an den anderen Punkten nicht. Die Wellenfunktion bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir das Elektron an einem Punkt beobachten – da wo sie einen großen Wert hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, da wo sie einen kleinen Wert hat, ist sie niedrig. Genauer gesagt muss man den Wert der Funktion mit sich selbst multiplizieren (also quadrieren), um die Wahrscheinlichkeit zu bekommen. (Ja, das ist ziemlich seltsam. Mehr über diese Seltsamkeiten findet ihr hier und hier.)
Nachdem ihr das Elektron auf eurem Schirm gesehen habt, wisst ihr, dass es jetzt hier ist. Damit beschreibt ihr es jetzt korrekt durch eine Wellenfunktion, die genau hier an diesem Ort ungleich Null ist, überall sonst gleich Null (denn überall sonst ist die Wahrscheinlichkeit, das Elektron zu finden, ja Null). Die Wellenfunktion ändert sich durch die Messung sprunghaft, man nennt das auch den “Kollaps der Wellenfunktion”. Wenn ihr das Elektron jetzt wieder in Ruhe lasst, dann ändert sich die Wellenfunktion wieder genau wie vorher, die Welle “zerläuft” ähnlich wie die Wasserwelle, als ihr den Stein ins Wasser geworfen habt.
Wenn ihr das Elektron aber nicht in Ruhe lasst, sondern gleich wieder eine Messung mit eurem Schirm macht, dann hatte das Elektron (bzw. seine Wellenfunktion) ja noch gar keine Zeit, sich auszubreiten. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron wieder hier zu finden, ist also sehr groß. (Expertinnenhinweis: Streng genommen müsste man hier ein bisschen aufpassen damit, wie genau man das Elektron lokalisieren will, wegen der Orts-Impuls-Unschärfe-Relation. Ändert am Prinzip aber nichts, deswegen diskutiere ich das nicht im Detail.) Je öfter ihr das Elektron beobachtet desto weniger Zeit hat seine Wellenfunktion, zum Ausbreiten, desto größer ist also die Wahrscheinlichkeit, das Elektron wieder hier zu beobachten. Durch hinreichend häufiges Messen könnt ihr das Elektron also quasi am Platz “festnageln”.
Das ganze ist in der Quantenmechanik ein generelles Prinzip: Eine Messung eines Quantensystems sorgt dafür, dass das System sich jetzt in dem gemessenen Zustand befindet (denn den haben wir ja gemessen). Wenn sich dieser Zustand- solange man das System im Ruhe lässt – mit der Zeit ändert, dann wird die Wahrscheinlichkeit, das System erneut im selben Zustand zu beobachten, mit der Zeit kleiner. Misst man es nach kurzer Zeit, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das System noch im selben Zustand ist, fast gleich 1, misst man es direkt danach wieder, ist sie immer noch fast gleich 1 usw. Je öfter man misst, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich der Zustand nicht ändert.
Schaut man genauer hin, stellt man fest, das das Ganze nur deshalb funktioniert, weil die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Zustand ändert, mit der Zeit immer schneller wächst. Nehmen wir an, nach einer Sekunde wäre die Wahrscheinlichkeit, dass der Zustand nicht mehr der gemessene ist, 0,1%, dann sind es nach zwei Sekunden nicht, wie man erwarten könnte, 0,2%, sondern 0,4%, nach drei Sekunden 0,9% und so weiter. Für sehr kleine Zeiten ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Zustand sich ändert, entsprechend extrem winzig.
Experinnenhinweis: Das liegt daran, dass in die Wahrscheinlichkeit das Quadrat der Wellenfunktion eingeht. Nehmen wir an, dass die Zeitentwicklung durch einen Hamilton-Operator beschrieben wird, dann ist es nach kurzer Zeit im Zustand Die Wahrscheinlichkeit, das System nach einer Zeit im selben Zustand zu finden, ist also näherungsweise gleich (wobei C sich aus H und berechnen lässt). Gut erklärt ist das in diesem Artikel. Wäre das ganze linear, würde es nicht funktionieren, dann hätte man z.B. nach 10 Sekunden ohne Messung (mit 0,1%/Sekunde) eine Wahrscheinlichkeit von 99%, mit 10 Einzelmessungen (0,999 hoch 10) 99,004%, also praktisch denselben Wert.
Dieser Effekt folgt direkt aus den Grundlagen der Quantenmechanik und ist eigentlich seit etwa 1928 ziemlich offensichtlich. Alan Turing hat den Effekt so umschrieben (zitiert nach Wikipedia):
[I]t is easy to show using standard theory that if a system starts in an eigenstate of some observable, and measurements are made of that observable N times a second, then, even if the state is not a stationary one, the probability that the system will be in the same state after, say, one second, tends to one as N tends to infinity; that is, that continual observations will prevent motion. Alan and I tackled one or two theoretical physicists with this, and they rather pooh-poohed it by saying that continual observation is not possible. But there is nothing in the standard books (e.g., Dirac‘s) to this effect, so that at least the paradox shows up an inadequacy of Quantum Theory as usually presented.
— Quoted by Andrew Hodges in Mathematical Logic, R. O. Gandy and C. E. M. Yates, eds. (Elsevier, 2001), p. 267.
Auch wenn dieser Effekt manchmal als “Turing-Paradoxon” bezeichnet wird, ist daran nichts wirklich paradox, er zeigt aber wieder einmal, dass Objekte wie Elektronen offensichtlich nicht ständig einem Messprozess unterliegen, sonst wäre unsere Welt ziemlich langweilig, denn es würde sich nie etwas ändern. (Einigen Menschen wäre das vielleicht ganz recht…)
Beachtung fand der Effekt allerdings erst in den 80er Jahren, nachdem er (in einer Arbeit von Sudarshan und Misra) den Namen “Quanten-Zeno-Effekt” bekommen hatte. Zenon war eine griechische Philosophin (ja, ich weiß, Zenon war ein Mann, das hat aber mit Grammatik nichts zu tun, egal ob ihr jetzt in den Kommentaren “mimimi” schreit), die versucht hat, zu beweisen, dass es keine Bewegung geben kann, unter anderem mit dem “Pfeil-Paradoxon” (Etwa so zu umschreiben: “Da, wo ein Pfeil ist, kann er sich nicht bewegen denn da ist er ja, da wo er noch nicht ist, ist er nicht und kann sich dort auch nicht bewegen.”) Nein, Zenon war nicht doof, und dass es Bewegung gibt, war schon irgendwie klar – es ging eher darum, durch solche Paradoxien herauszufinden, wie eigentlich Raum und Zeit funktionieren können.
So oder so hat die Ähnlichkeit zu Zenons Pfeil-Paradoxon den Namen “Quanten-Zeno-Effekt” (im Englischen schreibt man Zeno, im deutschen – korrekter – Zenon) motiviert.
Dass der Effekt erst relativ spät wirklich beachtet wurde, liegt auch daran, dass man immer besser darin wird, Quantenzustände detailliert zu manipulieren und zu messen. Die ersten Messungen des Effekt stammen aus den 80er Jahren, inzwischen kann man den Effekt sogar routinemäßig nutzen. Er spielt anscheinend auch eine Rolle beim Magnetsinn der Vögel, der ja auf Quanteneffekten beruht. Nett ist es auch, wenn man den Zeno-Effekt mit anderen Effekten kombiniert. Man kann beispielsweise den Zeno-Effekt mit dem berühmten Elitzur-Bomben-Tester kombinieren (bei dem man eine Bombe detektieren kann, ohne mit ihr in irgendeiner Weise in Kontakt zu kommen), wie beispielsweise hier geschehen. (Durch Kombination der Effekte lässt sich die Wahrscheinlichkeit, die Bombe zu detektieren, ohne dass sie explodiert, beliebig dicht an 1 bringen, dazu schreibe ich vielleicht bei Gelegenheit auch nochmal etwas mehr.)
Insgesamt ist der Quanten-Zeno-Effekt in vieler Hinsicht ein Musterbeispiel für seltsame Quanteneffekte: Einerseits ist er im Rahmen der Quantenmechanik ziemlich offensichtlich, andererseits aber auch verblüffend und seltsam.
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