In den meisten Science-Fiction-Romanen oder Filmen gehören sie ja zum absoluten Standard: Die künstliche Gravitation und die Anti-Schwerkraft. Klar. Zum einen wollen wir, dass unsere Heldinnen an Bord ihrer Raumschiffe ganz normal herumlaufen können und eben nicht schweben müssen, und Konstrukte wie Magnetstiefel sind immer nur bedingt realistisch umsetzbar (obwohl sich die SF-Serie “The Expanse” wirklich viel Mühe dabei gegeben hat und das Ergebnis auch nicht schlecht war, aber Haare z.B. müssten trotzdem anders herumschweben). Und zum anderen wollen wir, wenn unsere Raumschiffe mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs All brettern, nicht, dass unsere Heldinnen bei den dazu notwendigen Beschleunigungskräften (die beste Schiffe bei Perry Rhodan z.B. erreichten ja Werte von 1000km/s², also 100000fache Erdbeschleunigung) nicht wie eine Briefmarke plattgequetscht werden.
Bringen wir mal etwas “science” in die “science fiction” – was müsste man denn tun, um künstliche Schwerkraft zu erzeugen? Das ist im Prinzip (dank der Allgemeinen Relativitätstheorie, kurz ART) ganz einfach. Die sagt nämlich ganz simpel, dass Dinge nach unten fallen, weil dort die Zeit langsamer geht. Wenn ihr auf der Erdoberfläche steht, beobachtet ihr eine Schwerebeschleunigung von 10m/s^2 (oder1 g), und zwar deshalb, weil die Zeit um so langsamer vergeht, je weiter ihr nach unten kommt. Für eine Sekunde auf dem Boden vergehen in 1 m Höhe etwa 0,11 Femtosekunden (0,00000000000000011s, ich hoffe, ich hab mich nicht verzählt bei den Nullen) mehr, in zwei Metern Höhe 0,22 fs mehr und so weiter. Dadurch ist die Raumzeit gekrümmt, und das sorgt dafür, dass ihr nach unten fallt. Wenn ich im Detail nachvollziehen wollt, warum diese leichte Veränderung des Zeitablaufs für das sorgt, was wir im Alltag als “Schwerkraft” wahrnehmen, dann klickt entweder auf meine Artikelserien (Serie “Wie man die Raumzeit krümmt” und “Von Einstein zu Newton”) oder, noch besser (weil ausführlicher erklärt und weil $$$$$$), ihr kauft mein Buch, für das ihr rechts (oder unten auf nem Mobilgerät) die diskret eingeblendete Werbung seht. Mit dem “Warum” will ich mich heute gar nicht nochmal befassen, sondern ich nehme das einfach als gegeben hin: Dinge fallen in Richtung langsam verlaufender Zeit.
Wir sind also mit unserem Raumschiff irgendwo im All, schweben da so herum und würden lieber gern fest auf dem Boden stehen. Was müssen wir also tun? Da Dinge in Richtung langsamer verlaufender Zeit fallen, müssen wir also dafür sorgen, dass die Zeit am Boden unseres Decks langsamer vergeht als bei unseren Köpfen – und zwar eben genau um 0,11fs pro Höhenmeter und Sekunde. Wir brauchen also irgendeine Form von Zeitverlangsamung. Zum Glück sind wir ja in der Science Fiction, also denken wir uns mal spontan was aus: Bei Star Trek beispielsweise gibt es “Chroniton-Partikel”, die den Zeitablauf beeinflussen können. Wir können uns also vorstellen, dass wir irgendwie einen Chroniton-Generator haben, der solche Teilchen erzeugt, so, dass wir bei unseren Köpfen eine etwas kleine Dichte davon haben als bei unseren Füßen, was die Zeit passend beeinflusst. Wie wir das genau machen, soll hier egal sein, vielleicht haben wir im Boden irgendeinen Generator, der die Teilchen erzeugt und dafür sorgt, dass sie am Boden etwas dichter verteilt sind als weiter oben.
Umgekehrt können wir uns auch vorstellen, dass wir damit Antigravitation erzeugen können. Nehmen wir mal einen Antigrav-Lift: Das wäre also ein Schacht auf der Erde, zum Beispiel in einem Gebäude, wo ich einfach hineinsteige, um dann sanft in die Höhe zu schweben. Innerhalb des Schachtes müssten wir dann die entsprechenden Chroniton-Partikelfelder andersherum generieren. Wenn wie die Schwerewirkung der Erde genau kompensieren wollen, müssten wir unsere Chronitonen also so anordnen, dass sie um so dichter sind je höher wir im Schacht sind, und zwar so, dass die Zeit jetzt pro Höhenmeter um 0,11fs pro Sekunde langsamer vergeht. Das würde dann den Effekt durch die Erde genau kompensieren und wir wären im Schacht schwerelos. Jetzt müssen wir uns nur noch leicht abstoßen (oder es gibt in unserer SF-Welt eine Art Traktorstrahl) und schon können wir nach oben oder unten schwebens.
So weit, so gut. Was man bei dieser Überlegung aber auch sieht ist, dass das Ganze nicht völlig unproblematisch ist. Nehmen wir nochmal das Raumschiff: Wir haben also am Boden einen langsameren Zeitablauf als unter der Decke. Stellen wir uns ein großes Raumschiff vor, mit vielleicht 100 Meter Höhe. Dann vergeht die Zeit oben schneller als unten, und zwar um 11fs. Außenrum ist das Universum, dort haben wir ja keine unserer Chroniton-Partikel erzeugt, dort vergeht die Zeit also ganz “normal”. Nehmen wir an, dass wir die Oberseite unseres Raumschiffs quasi nahtlos an den äußeren Zeitverlauf anschließen, dann vergehen unten am Raumschiffboden also 11 Femtosekunden pro Sekunde weniger zeit als direkt dahinter im Vakuum. Von hier nach außen muss es jetzt aber irgendwie einen Übergang geben. Das führt dann natürlich dazu, dass ein Gegenstand, der sich von unten unserem Schiff nähert, eine entsprechende Schwerebeschleunigung erfährt. Wenn die Übergangszone einen Meter dick ist, dann haben wir hier also eine Schwerkraft von etwa 100g. Da ist vielleicht schon etwas Vorsicht geboten, falls wir durch einen Staubgürtel oder so etwas fliegen (aber vermutlich haben wir ja einen Schutzschirm).
Mal wieder ein Expertinnenhinweis: Ich betrachte hier die einfache Näherung der ART, nach der die benötigten Schwerefelder so gering sind, dass wir uns komplett auf die Veränderung des Zeitablaufs beschränken können und nach der die Effekte zum Beispiel durch die Krümmung des Raums vernachlässigbar sind. Im Prinzip kann man sich vieles von dem, was ich hier tue, auch mit Äquipotentiallinien in der Newtonschen Physik überlegen.
Noch etwas schwieriger wird die Angelegenheit, wenn wir unsere lokale Schwerkraft sehr stark begrenzen wollen. Nehmen wir beispielsweise an, wir wandeln mal wieder auf Perry Rhodans Spuren und tummeln uns auf Gol, einem Planeten der Wega (oder alternativ auf Mesklin, der Extrem-Schwerkraft-Welt von Hal Clement – falls Ihr “Schwere Welten” nicht kennt, unbedingt lesen, wenn ihr “harte SF” mögt). Auf Gol haben wir eine Schwerebeschleunigung von satten 916g (und Perry et al. hatten deshalb ganz schöne Probleme, aber wenn man unsterblich werden will, muss man da halt durch). Lokal in unseren Bodenfahrzeugen (vornehm “Shift” genannt) hätten wir aber doch lieber nur 1 g (sonst müsste die Serie ja “Perry Rhodan – die Flunder des Universums” heißen). Wir brauchen also ein entsprechend starkes Feld an Chronitonen im Inneren unseres Fahrzeugs. Und was passiert an der Grenze zwischen Innen und außen? Dort müssen sich ja die Zeitabläufe irgendwie angleichen.
Ich versuche das mal irgendwie grafisch zu veranschaulichen:
Hier seht ihr meine hervorragende Zeichnung eines Kettenfahrzeugs. Die Farbe kennzeichnet den Zeitverlauf, je roter, desto langsamer. Wenn wir das Ganze so wählen, dass wir oben im Fahrzeug denselben Zeitverlauf haben wie außerhalb, dann bekommen wir unten im Fahrzeug natürlich einen sehr viel schnelleren Zeitverlauf als außerhalb. An der Seite unseres kleinen Panzers gibt es also einen sehr abrupten Übergang von einer Zone mit schnellerem zu einer mit langsamerem Zeitverlauf. Und weil eine lokale Änderung des Zeitverlaufs eine Schwerebeschleunigung ist, sehen wir, dass entsprechend ziemlich große Kräfte auf zum Beispiel unsere Scheinwerfer wirken, die müssen wir sehr robust bauen, denn hier ist der Gradient ja sogar noch höher als der senkrechte Gradient außen. Es wirken also vermutlich nicht “nur” 916 g, sondern noch deutlich mehr, je nachdem, wie wir das genau konstruieren und wie dick wir die Übergangszone machen, möglicherweise einige Tausend.
Wir können natürlich auch auf die Idee kommen, die Übergangszone etwas nach außen zu verlagern, damit unsere Scheinwerfer nicht leiden, etwa so (nein, ich habe mir wirklich keine große Mühe mit der Zeichnung gegeben, sorry):
Unser Panzer selbst merkt also nichts mehr von der erhöhten Schwerkraft. Allerdings erzeugen wir jetzt direkt vor unter hinter ihm eine Zone, in der die Schwerkraft sehr stark ist. Wenn der Planet, auf dem wir herumfahren, eine Atmosphäre hat (und die hat Gol bekanntermaßen), dann merkt die natürlich die extreme Schwerkraft auch: Gas wird direkt vor und hinter unserem Fahrzeug verdrängt, wenn wir fahren, dürfte es erhebliche Turbulenzen geben. Auch unten im Boden (je nachdem wie tief die Zone unseres Antigravs reicht) gibt es entsprechende Effekte, hier wird der Boden möglicherweise lokal extrem verdichtet, weil sich ja der Zeitablauf (die Farbe im Bild) sehr abrupt ändert. All das (die Beschleunigung des Gases, das Verdichten des Bodens) braucht natürlich Energie – das Fahren wird also entsprechend aufwendiger.
Noch schlimmer wird es, wenn wir uns die Bewohner des Planeten Oxtorne im Perry-Rhodan-Universum angucken. So eine Oxtornerin hat zwar etwa die Größe eines gewöhnlichen Menschen, ist aber deutlich massiver gebaut und hat eine Masse von 700kg. Auf Oxtorne herrscht eine Schwerkraft von satten 4,8g. Und wenn so eine Oxtornerin auf der Erde oder in einem terranischen Raumschiff herumspaziert, dann will sie das vertraute Schweregefühl natürlich nicht missen, sie trägt also einen sogenannten Mikrogravitator, der für sie lokal 4.8 g erzeugt.
Hier also eine exzellente Zeichnung unserer Oxtornerin mit eingeschaltetem Mikrogravitator (es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis ich gebeten werde, die Innenillustrationen und Titelbilder bei Perry Rhodan zu zeichnen)
Wieder gilt: je roter, desto langsamer verläuft die Zeit. Und ihr seht, dass irgendwo eine Grenze zwischen der langsameren Zeit und der Umgebung ist. Wenn die Oxtornerin auf dem Boden steht und dort die Zeit an ihren Füßen langsamer verläuft als weiter darunter, dann spüren z.B. die Kacheln im Boden einen Zug nach oben. Wenn die Oxtornerin mit der Hand nach einem Glas greift, dann fliegt es ihr, sobald sie dicht genug dran ist, von selbst in die Hand.
Das Problem lässt sich auch nicht dadurch umgehen, dass ihr den Punkt, wo der Zeitverlauf identisch ist, verlegt. Klar, wenn er etwa in Schwerpunkthöhe ist, dann sind die Effekte am Fuß nicht ganz so stark, dafür ist es am Kopf jetzt unangenehm: Dort verginge die Zeit dann beim Kopf schneller als außen, es gäbe also eine Schwerewirkung weg von unserer Oxtornerin, die an ihren Wimpern zieht und auch für einen Luftzug sorgen dürfte. So richtig angenehm wäre das nicht. Und wenn wir das Mikrogravitationsfeld kurz unter der Haut der Oxtornerin enden lassen, damit die Umgebung nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, dann spürt die Haut entsprechend eine Kraft entweder hin zur oder weg von der Person, was vermutlich auch nicht so ganz angenehm wäre.
Die ganze Logik gilt natürlich auch andersherum: Wenn ihr etwas tut, was den Zeitablauf beeinflusst (das passiert in der science fiction ja dauernd), erzeugt ihr damit automatisch auch ein künstliches Schwerefeld. Schließt ihr beispielsweise jemanden in ein Stasisfeld ein, wo die Zeit viel langsamer verläuft, dann werden an der Grenze zu diesem Feld alle Gegenstände angezogen. Öffnet sich im Perryversum das Tor zum Universum der Druuf, wo die Zeit 72000 mal langsamer vergeht, dann werdet ihr an der Grenze zu diesem Universum entsprechend stark hinübergezogen, während es umgekehrt schwer wäre, aus dem Universum herauszufliegen (je nachdem, wie abrupt die Grenze wirklich ist). Und wenn wir einen Planeten in ein Feld einschließen, wo die Zeit extrem schnell verläuft (so ging es dem Planeten Trokan im “Zeitrafferfeld”, da lag der Beschleunigungsfaktor bei satten 3,7012 Millionen), dann wird an der Grenze dieses Feldes eine extreme Schwerkraft nach außen wirken.
So ganz einfach ist es also nicht mit der Antigravitation. Das muss uns aber natürlich nicht daran hindern, sie in der Science Fiction zu akzeptieren – wenn man durch Schwarze Löcher fliegen kann und sich in fünf oder sechs Dimensionen herumtreibt, dann kann man ja auch die ART so erweitern, dass solche Antigravitationseffekte stressfrei funktionieren. Das ist dann aber weniger “science” und mehr “fiction”.
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