Seit ich als Kind den berühmten Film “Reise in die Urzeit” gesehen habe, bin ich Dinofan und träume von einem Tierfilm, der Dinos einfach als Tiere zeigt, so wie andere Tierfilme auch. Mit “Prehistoric Planet” ist dieser Traum jetzt wahr geworden.

Ja, es gab auch andere tolle Dinofilme wie “Walking with Dinosaurs” (Dinosaurier – im Reih der Giganten) oder “When Dinosaurs Roamed America” (Als Dinosaurier die Erde beherrschten), aber so spannend die waren, waren sie manchmal doch unrealistisch und nicht immer auf dem aktuellen Foschungsstand.

Prehistoric Planet spielt da noch einmal in einer anderen Liga. Kein Wunder – der hauptverantwortliche Scientific Consultant ist Darren Naish, den Dino-Fans (neben diversen Forschungsartikeln) von verschiedenen Büchern, seinem Blog TetZoo und den von ihm organisierten Workshop “TetZooCon” kennen (der die letzten beiden Jahre online war…). Darren ist bekannt für sein absolut enzyklopädisches Wissen über die verschiedensten Tiere und ihre seltsamen Verhaltensweisen und Überlebensstrategien. Dieses Wissen ist in “Prehistoric Planet” eingeflossen und in so ziemlich jeder Folge gibt es ungewöhnliche anatomische Merkmale oder Verhaltensweisen der Dinos.

WARNING: Spoilers ahead (Aber nur harmlose)

Da ist zunächst mal das Aussehen der Dinos (ich poste keine Bilder, Apple hat bestimmt jede Menge fiese Anwälte, die nur darauf lauern, irgendwelche Copyrightverletzungen zu ahnden, aber ihr guckt die Serie ja eh selbst, hoffe ich, sonst googelt einfach). Noch nie sahe Dinos so realistisch aus – Tyrannosaurus ist kein Monster, sondern ein fürsorglicher Vater mit einem weniger schrecklichen Look als der T. rex aus Jurassic Park (über den aus Walking with Dinosaurs schweige ich höflich…), sondern mit einem Gesicht, das eben nicht designed wurde, um Menschen Angst einzujagen, sondern das einfach realistisch aussieht. Nie sahen gefiederte Velociraptoren so echt aus wie hier, wie große, bodenlebende Raubvögel, aber eben doch mit ihrem ganz eigenen Charakter. (Und der kleine Diss gegen Jurassic Park “It would have looked a lot like a terrifying turkey” war das Sahnehäubchen.)

Zeitgemäß gibt es an vielen Dinos Federn oder Dinoflausch, nicht nur große Federn, die wie Flugfedern aussehen, sondern auch zotteliges Fell am Deinocheirus und Therizinosaurus (Beschwerde: Der wurde wirklich zu kurz gezeigt!!!), kleine dünne Haare am Kopf der großen Raubsaurier oder seltsame stachelige Auswüchse am Pachyrhinosaurus. Und natürlich Fell an den Flugsauriern, den heimlichen Stars der Serie.

Überhaupt, die Flugsaurier. An denen sieht man, wie viel Sorgfalt in die Serie gesteckt wurde: Sie starten ziemlich genau so, wie detaillierte biomechanische Berechnungen es nahelegen, indem sie sich mit den Vorderbeinen nach Vor katapultieren, da haben sie Vögeln gegenüber einen echten Vorteil, weil sie die muskulösen Flügel auch zum Starten nutzen können, während Vögel sich ja mit den Beinen abstoßen müssen; vielleicht ein Grund, warum Flugsaurier deutlich größer werden konnten als Vögel. Die großen Flugsaurier mit schweren Köpfen fliegen mit leicht nach vorn gestreckten Flügen, weil ihr Schwerpunkt weit vorn liegt. Die Azhdarchiden wie Hatzegopteryx aus der letzten Folge werden (eine Idee, die ursprünglich von Naish veröffentlicht wurde) als im wesentlichen a Boden laufende Raubtiere gezeigt, die wie Störche von oben nach Beute schnappen. Überall sieht man also zeitgemäße Forschung einfließen. (Was mich allerdings überrascht hat war, wie sehr die Flughaut eingezogen war, wenn die Flugsaurier herumliefen, da war stellenweise ja kaum etwas von der Membran zu sehen. Wird das durch die Muskeln in der Flughaut ermöglicht?)

Das trifft auch bei der Wahl der Dinos zu: Klar, ohne T. rex und Triceratops geht es nicht, aber es gibt eben auch ungewöhnliche Dinos wie Mononykus, die Funde des Deinocheirus werden einbezogen, um dieses wirklich seltsame Tier zu zeigen, neuere Arten wie Dreadnoughtus oder Austroposeidon haben einen Auftritt und eher unbekannte Arten wie Qianzhousaurus und Atrociraptor (dessen Gesicht in der Sendung tatsächlich mit Feder bedeckt war, endlich mal ein Raubsaurier, der nicht mit der inzwischen zum absoluten Standard gewordenen federlosen Schnauze gezeigt wurde!) und die Teufelskröte Beelzebufo tauchen auf.

Auch das Verhalten der Tiere ist nicht so Stereotyp, wie es sonst oft dargestellt wird. Klar, es gibt das übliche Fressen, Jagen, vor Raubtieren Fliehen, Paarungspartner suchen – was Tiere eben so tun, das geht bei einem Tierfilm ja kaum anders. Aber wie die Tiere es tun, ist oft ungewöhnlich. Velociraptoren, die an Klippen jagen, Mononykus, der nach Termiten gräbt, Flugsaurier, bei denen es (wie bei vielen heutigen Tieren) unterschiedliche Strategien der Männchen gibt, einige dominant, einige, die sich als Weibchen tarnen und so zum Ziel kommen, T rexe und Carnotaurier, die um Weibchen werben (der  Carnotaurus mit seinen blauen Stummelarmen ist inzwischen schon fast zum Meme geworden), unterschiedliche Arten der Brutpflege und und und. Alles zwar zum Teil spekulativ, aber immer in Analogie zu heute lebenden Tieren gewählt.

Apropros spekulativ: Natürlich muss man auch mal etwas wilder spekulieren. Dreadnoughtus etwa hat knarrende Luftsäcke am Hals – für die gibt es keinen fossilen Beleg, aber unplausibel sind sie nicht. Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass genau dieser Dinos genau solche Luftsäcke hatte – aber wenn man keine solchen spekulativen Strukturen zeugen würde, wäre es auch nicht realistisch – Dinos waren vermutlich oft verrückter ausgestattet, als wir an den Knochen ablesen können. (Ich empfehle das Buch “All Yesterdays” zu diesem Thema.) Quetzalcoatlus in Südafrika ist auch eine ziemlich heftige Spekulation – aber klar, so große Flugsaurier waren vielleicht interkontinentaltauglich.

Natürlich ist nicht alles immer perfekt. Ich fand die Erzählweise zum Teil etwas überdramatisiert (brauchten wir wirklich zwei Folgen, in denen Waldbrände auftauchen?) und der body count an toten Dinobabies ist schon ziemlich hoch… An einigen Stellen (insbesondere in der letzten Folge) wirkten einzelne Teile auch etwas abgehackt; die Spekulation mit den lehmfressenden Triceratops, die regelmäßig tief in Höhlen absteigen müssen, um ein Gegengift zu fressen, schien mir nicht so plausibel, und den Sinn der Szene mit den Leuchtpilzen habe ich auch nicht verstanden.

Als jemand mit einem Interesse an Biomechanik fand ich keine offensichtliche Fehler. John Hutchinson hat auf Twitter angemerkt, dass T. rex vielleicht doch nicht so ein guter Schwimmer war, ich selbst fand, dass der T. rex beim Laufen und besonders beim Stehen eine etwas größere “Spurweite” hatte als ich es erwartet hätte (vielleicht gibt es aber auch fossile Spuren, die das stützen und die ich nicht kenne, bin ja kein echter Experte), aber im wesentlichen sah alles wirklich plausibel und gut aus.

Was absolut fehlte waren Säugetiere und Vögel. Einmal tauchen kurz Enantiornithen auf, einmal jagt ein Troodon nach Säugetieren, davon abgesehen aber Fehlanzeige. Das fand ich etwas schade, denn sowohl Vögel (Hesperornis z.B. bei den Meeresszenen) als auch Säugetiere hätten das Bild des Ökosystems abgerundet.

Was auch wirklich hilfreich gewesen wäre, wäre ein kurzes Bild der kreidezeitlichen Erde, jedes Mal dann, wenn die Szenerie wechselt. Immerhin lagen die Kontinente damals anders und nicht jeder, der die Serie guckt, wird gleich wissen, wie denn die “Western Interior Seaway” durch Amerika verlief oder wie das Tethysmeer am Ende der Kreidezeit aussah. Ein kurzer Schwenk und Zoom auf den jeweiligen Ort hätte es deutlich leichter gemacht.

Aber das sind wirklich nur Kleinigkeiten, Luxusprobleme und Meckern auf allerhöchstem Niveau. Die Serie ist großartig, ein Meisterwerk und wird Maßstäbe setzen. Und wenn ihr sie noch nicht geguckt habt, dann kann ich nur empfehlen, das nachzuholen. Für 7 Tage kann man bei AppleTV sogar ne kostenlose Probemitgliedschaft abschließen, ihr braucht dann nur ein passendes Gerät zum gucken (ein Browser auf dem PC geht aber auf jeden Fall ohne Probleme).

Kommentare (6)

  1. #1 Kai
    28. Mai 2022

    Danke für den Tipp! Ich hatte mir AppleTV vor kurzem wegen Severance geholt und auch den Trailer zu dieser Serie gesehen. Allerdings haben mich amerikanische “Dokus” zu Dinosaurien bisher immer abgeschreckt: in solchen Dokus wird leider selten klar gemacht, was Fakten und was Spekulation sind. Oft wird dann aus Dramaturgiegründen irgendeine wilde Geschichte gezeigt, die auf keinerlei wissenschaftlicher Basis gründet, die dann aber als Fakt verkauft wird.

    Wenn die Serie etwas wissenschaftlicher ist (und deinem Urteil kann man da vertrauen) werd’ ich mir sie mal anschauen.

  2. #2 Bettina Wurche
    28. Mai 2022

    Danke für diesen Text! Vor allem Deine Anmerkungen zur Biomechanik sind ein echter Mehrert.
    Wir sind noch nicht ganz durch, aber auch ganz schön begeistert. Und deine kritischen Anmerkungen zum fehlenden geographischen Überblick, dem olympiareif schwimmenden T. rex sowie den Luftsäcken des Dreadnoughtus teile ich.
    Ja, die Säuger und Vögel hätten auch vorkommen sollen, so hängt das Bild des Erdmittelalters etwas schief. Aber nur ein kleines Bißchen : )

  3. #3 MartinB
    28. Mai 2022

    @Kai
    In der Serie selbst wird nicht erzählt, was Spekulation ist. (Es gibt zu jeder Folge ein kurzes Erklärvideo, wo immer eine Sache detailliert wissenschaftlich erläutert wird.) Aber alle Spekulationen haben eine saubere wissenschaftliche Basis.

    @Bettina
    Danke.

  4. #4 rolak
    28. Mai 2022

    Dinofan

    Bei mir ists eher ‘DokuFan’ – und wg der Erwähnung “Erzählt .. im Original von Sir David Attenborough” kam das heute früh vorbeigekommene Angebot aber sowas von sofort auf die Einlagern!-Liste. Und dann läßte den Rechner seine Arbeit erledigen, während die Herrschaften sich in der Stadt verlustieren, kommst zurück und -zack- Rezension sagt

    kann ich nur empfehlen

    Anscheinend richtig gewählt 😉
    Und schönen Dank für die Hinweise auf die -äh- Vorkommnisse, bei denen etwas genauer hingesehen und nachgedacht werden sollte!

  5. #5 knorke
    29. Mai 2022

    Hab mit die erste Folge angeschaut und bin recht angetan. Es ist nicht auf Drama anelegt sondern sehr nüchtern geschildert – es könnte ohne Weiteres eine Doku über noch lebende Tiere sein was mir sehr gefällt.

    Allerdings die Geografie, Klima und sowas hätte man versuchen können etwas besser einzufangen. Es wird sehr großräumig zwischen Schauplätzen gesprungen ohne das man so richtig einen Bezug dazu bekommt – jedenfalls wirkt es so auf mich.

  6. #6 MartinB
    29. Mai 2022

    @knorke
    Deswegen ja mein Vorschlag mit dem Globus, das würde es mMn viel einfacher machen, nachzuvollziehen, wie viele unterschiedliche Ökosysteme überall auf der Welt existierten.