Die Schweiz hat gestern wieder mal abgestimmt und ich bin wieder mal wütend. Ich bin es zwar gewohnt, ideologische Niederlagen einzustecken, aber von Zeit zu Zeit gibt es Abstimmungen, deren Resultat nur zeigt, dass gerade die direkte Demokratie den Rechtsstaat gefährden kann.
Über die so genannte Initiative für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern habe ich schon geschrieben. Nun hat die Schweizer Bevölkerung gestern beschlossen, dieser mit Rund 52% statt zu geben und einen entsprechenden Artikel in der Bundesverfassung zu verankern.
Schon die unpräzise Formulierung der Initiative demonstriert ihre emotionalen Wurzeln. Da ist von ‘vor der Pubertät’ und von ‘pornographischen Straftaten’ die Rede. So formulieren nicht Juristen, so formulieren Aktivisten.
Die Parallelen zur unsäglichen Initiative zur lebenslangen Verwahrung nicht therapierbarer und extrem gefährlicher Sexual- und Gewaltstraftäter, die die Schweizer vor ein paar Jahren ebenfalls angenommen hat, sind kaum zu übersehen. Eine kleine Gruppe setzt durch, dass Straftäter härter angefasst werden sollen um die Bevölkerung besser zu schützen.
Grafik: Bundesamt für Statistik (BFS), Website Statistik Schweiz, 30. November 2008 (zur Vergrösserung auf Bild klicken)
Das Problem liegt darin, dass es in einer solchen Abstimmung kaum möglich ist, einen sachlichen Ansatz zu kommunizieren. Es gibt Dinge, die nicht gesagt werden können. Dies ist so, weil die so oft angerufenen ‘Leute von der Strasse’ solche Argumente nicht nachvollziehen wollen. Man entscheidet lieber mit dem Bauch. Das ist einfacher. Leider zu einfach. Es ist nunmal so, dass der Rechtstaat nicht nur unbescholtene Bürger vor Kriminellen schützen soll, sondern Straftätern auch Rechte garantiert. Nur durch einen solchen ‘Täterschutz’ kann man staatliche Willkür verhindern. Wenn die Justizministerin das Abstimmungsresultat kommentiert mit “Offenbar haben juristische und sachliche Argumente nicht zu überzeugen vermögen”, dann wird impliziert, dass es noch andere akzeptable Argumente gibt. Dem ist nicht so. Wie soll eine Debatte ohne sachliche Argumente geführt werden? Ich kann solche Argumente aus einer persönlichen Erfahrung heraus unmöglich nachvollziehen, egal ob sie religiös oder emotional begründet sind. Aber welche Politikerin, welcher Politiker ist bereit hinzustehen und zu sagen, man müsse Täter schützen. In einer Demokratie müssen Minderheiten geschützt werden und seien es noch so unliebsame. Was niemand verstehen will ist, dass man dies tun muss nicht weil diese Personen sich inakzeptabel verhalten sonder trotz ihres Verhaltens.
Aus einer persönlichen Betroffenheit zu argumentieren kommt zwar gut an, ist aber nicht relevant. Ja, ich finde Sexualdelikte an Kindern ebenfalls abstossend. Ich heisse Mord und Totschlag nicht gut. Trotzdem haben diese Täter Rechte und Anspruch auf einen Schutz vor staatlicher Willkür und es ist völlig egal ob wir ‘das Volk’ (schauder) sie mögen oder nicht.
Unverjährbarkeit und lebenslange Verwahrung? Ein solch absolutes Rechtsverständnis ist abstossend und überheblich. Über die Ewigkeit können sich meinetwegen Theologen den Kopf zerbrechen, aber sie darf kein Massstab sein, um ein weltliches Urteil über Individuen zu fällen. Niemand soll für immer ‘verwahrt’ werden ohne Chance auf Besserung und niemand soll sich im Normalfall für immer für ein Vergehen verantworten müssen.
Es gibt das Konzept der Unverjährbarkeit für schwere Verbrechen wie Genozid oder Kriegsverbrechen. Ist Kindsmissbrauch denn mit Massenmord gleichzusetzen? Falls nicht, ist es schlimmer als Mord oder Folter? Ist es so viel schlimmer als ein Kind bewusstlos zu prügeln? Dies sind Fragen die wir nicht beantworten wollen, wohl aus Angst zu verharmlosen. Dieser Mangel an Proportionen wurzelt wohl auch in einer rational kaum zu rechtfertigende Besessenheit mit Sexualität und Delinquenz in diesem Zusammenhang. Diese sieht man deutlich in populären Medien und sie schwappt von dort in die politische Diskussion.
Profitieren tun am Ende jedoch diejenigen, die im Wissen des fehlenden rechtsstaatlichen Fundaments aus Populismus und Demagogie auf diesen Zug aufspringen. Diese können nicht verlieren. Werden diese Massnahmen später wegen internationaler Verpflichtungen nicht vollständig umgesetzt oder gar vom Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg für nicht zulässig deklariert, fängt das grosse Geschrei von der ‘internationalen Einmischung’ in nationale Angelegenheiten an. Natürlich hält dies niemanden in diesem Land davon ab, der ganzen Welt mit erhobenem Zeigefinger die Einhaltung von Menschen- und Minderheitenrechte zu predigen und sich ständig auf die humanitäre Tradition der Schweiz zu berufen. Diese Rechte sind offensichtlich immer nur die Rechte, die die anderen nicht einhalten.
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