Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hielt gestern einen Sonderparteitag ab. Während die Wirtschaft implodiert, unser Planet überhitzt und die Welt von einer Pandemie bedroht wird, hat diese Partei beschlossen, sich dem offenbar grössten Problem unserer Zeit anzunehmen: Ausländer und Asylsuchende. Ein sonderparteitägliches Wort zum Sonntag meinerseits dazu.

Man möchte mir verzeihen, dass ich dieses Blog mal wieder zum Ventilieren missbrauchen muss, aber es geht nicht anders. Um es mit Max Liebermann zu sagen: “Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.” Man gönne mir einer dieser menschlichen Ausbrüche.

Was verlangt die Partei zur Lösung aller unserer Probleme? Schärfere Gesetze, härtere Strafen und mehr Rückschaffungen. Sie warnt vor Islamisierung und einer ‘Machtübername’ der Ausländer und den Medien, die das alles verharmlosen würden (ein Hauch von Verschwörungstheorie hängt diesem Argument an). Sie stellt sich als die einzige Partei dar, die es wage, gegen diese vermeintlichen Missstände anzugehen. Dies führte zur herrlich und wohl ungewollt doppeldeutigen Aussage eines Redners am Parteitreffen: “Es gibt sicher wieder die, die sagen, ich sei rassistisch, aber wir müssen dazu stehen und wir müssen das ernst nehmen”.

Worüber sprechen diese Leute eigentlich? Die Partei ist bekanntermassen sehr kreativ, wenn es darum geht, ihre Daten zurechtzubiegen (wie auch schon hier gezeigt). Sie behaupten zum Beispiel, die neue Justizministerin sei an einem Anstieg von Asylgesuchen Schuld. Man könnte meinen, jemand auf diesem Posten beeinflusst die Asylgesuchszahlen quartalsweise. Schaut man die Zahlen etwas längerfristig an, ist es schwer zu verstehen, warum uns der Untergang droht. Die folgende Grafik habe ich mit Zahlen vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements erstellt:

asyl.jpg

Es bleibt anzufügen, dass die rote Linie, die die neu gestellten Asylgesuche darstellt noch weiter relativiert werden muss. Die Annerkennungsquote dieser Gesuche liegt je nach Jahr zwischen 5.5% und 23%. Wir sprechen also von einer sehr kleinen Zahl von Personen, die uns angeblich so bedroht.

In welchem Ausmass dass Asylgesetz als Instrument zum Ansprechen von populären Ressentiments benutzt wird, zeigt die Geschichte dieses Gesetzes selbst. Die Schweiz hat die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (und das Zusatzprotokoll von 1967) relativ bald unterzeichnet. Ein Gesetz trat aber erst 1981 in Kraft. Seit damals wurde es volle sieben Mal revidiert (heisst normalerweise verschärft). 1983, 1986, 1988, 1990 und 1994 fanden Teilrevisionen statt. 1998 wurde das Gesetz total revidiert. 2006 wurde eine weitere weitgehende Revision vom Volk mit grossem Mehr (67.8%) angenommen. Die Regierung hat inzwischen schon wieder weitere Verschärfungen vorgeschlagen als Antwort auf eine SVP Volksinitiative unter dem sinnigen Titel ‘Ausschaffungsinitiative‘ (wer einen starken Magen hat, kann die Befürworterseite selbst googeln).

Anscheinend braucht es nun eine weitere Revision. Man müsste sich langsam um die Fähigkeiten der Gesetzgeber sorgen, wenn sie kein Gesetz zustande kriegen, dass ein paar Jahre funktioniert. Das Problem ist, dass es nun seit Jahr nach dem selben Muster abläuft: Die SVP verlangt eine Verschärfung, weil sie weiss, dass sie dies politisch gesprochen risikolos tun kann, da es sich um eine winzige Minderheit ohne Stimmrecht und Lobby handelt. Dazu zapft sie latenten Rassimus und Missgunst in der Bevölkerung an. Die anderen Parteien fürchten den Zorn der Bevölkerung und zeigen vorauseilenden Gehorsam der SVP gegenüber. Das Resultat ist ein Asylgesetz, dass kaum noch verschärft werden kann, ohne gegen wichtige völkerrechtliche Bestimmungen zu verstossen (wenn es dies stellenweise nicht schon tut). Diese Politik wird auf dem Buckel einer kleinen Gruppe Menschen ausgetragen, die häufig traumatisiert sind, aus ihrem Land fliehen mussten (oder selbst ohne juristischen Asylgrund, kaum aus purer Reiselust, geflohen sind) sind und die Schweiz um Hilfe bitten. Wenn noch einer dieser Politiker die ‘humanitäre Tradition’ der Schweiz hochhält, muss ich mich übergeben. Diese ist in diesen Belangen genau so hohl und virtuell wie das angebliche Problem mit Migration.

Kommentare (5)

  1. #1 Jonas
    Mai 4, 2009

    Tja die Demokratie ist halt nur so lange schön, wie einem die Abstimmungsergebnisse gefallen, oder?
    Die SVP bringt also mit demokratischen Mitteln die Regierung dazu Gesetze so zu verändern, wie es die Mehrheit des Volkes anscheinend will. Da würde ich spontan sagen: “Gute Arbeit”.

  2. #2 ali
    Mai 4, 2009

    @Jonas
    1. Das ist ein populistischer Demokratiebegriff, wie ihn die SVP gerne verwendet, aber mehr einer Mehrheitsdiktatur gleicht als einer Demokratie. Demokratie kennt viele Grenzen zum Mehrheitsprinzip (Minderheitenschutz, Quoten, Rechtsstaat).

    2. Schreibe ich irgendwo, dass man die Demokratie abschaffen soll oder dass ich das System ändern will oder die SVP verbieten? Demokratie heisst nicht, dass ich die Meinung der anderen übernehmen muss.

    3. Demokratie bedingt auch eine gewisse Kultur von Seiten der Abstimmenden. Es benötigt einen gewissen Grad an Aufgeklärtheit, eine Fähigkeit Information zu verarbeiten, Toleranz, etc. Bei Fragen um das Asylrecht frage ich mich manchmal, ob das wirklich vorhanden ist bei solchen Ideen.

    Das ist genau was mich ärgert: Statt sich mit Konzepten auseinander zu setzen und Argumente vor zu bringen, versteckt man sich hinter der Mehrheit und sagt: “Ich habe sowieso Recht, da ich die Mehrheit im Rücken habe”.

  3. #3 Jonas
    Mai 4, 2009

    @ali:
    zu 1.: Ich bin mit dem Schweizer System nicht so vertraut, aber ich vermute mal, dass es so etwas wie ein (Bundes)Verfassungsgericht geben wird, welches ein Auge darauf hat, dass bestimmte Standarts eingehalten werden.

    zu 2: Niemand verlangt, dass unwidersprochen Meinungen zu übernehmen sind, auch nicht die der Mehrheit. Aber man muss es schlichtweg akzeptieren, dass auch die eigene Meinung oft nicht übernommen wird. Sie bedienen sich ihrer Mittel (in dem Fall des Blogs) um ihren Standpunkt zu verdeutlichen, die SVP wählt andere Mittel (Volksinitiative, Parteitag), ich kann da kein Problem erkennen.
    Nebenbei bemerkt bedienen ich beide Seiten offenbar gerne der Polemik.

    zu 3: Ihr Argument wird in Deutschland gerne gebracht, wenn es die Verhinderung von Volksbegehren geht. Ich persönlich glaube, es ist auch Aufgabe des politischen Wettstreits ist, den “gemeinen Pöbel” zu überzeugen. Dies gelingt in dem Fall den Gegnern der SVP nicht. Daher wäre es eher angebracht das Versagen der anderen politischen Kräfte zu geißeln.
    Ich bleibe dabei, in diesem Fall leistet die SVP erfolgreiche Arbeit, auch wenn das Ergebnis nicht jedem gefällt.

  4. #4 ali
    Mai 4, 2009

    @Jonas

    1) Es gibt kein eigentliches Verfassungsgericht, aber ein oberstes Gericht (‘Bundesgericht’), wo man sich ‘hochklagen’ kann, wenn man seine Grundrechte verletzt sieht. ABER: a) Die Asylinitiativen der SVP sind auf Verfassungsebene und können so zuerst einmal nur vom Parlament für ungültig erklärt werden (was natürlich nicht passiert) oder dann später wegen Völkerrechtsinkompatibilität oder Widersprüchen mit als wichtiger gewichteten Verfassungsnormen. b) Genau dieses verhältnismässige ‘schwache’ Gericht ist ebenfalls von der SVP unter Beschuss, weil es angeblich eine ‘politische Auslegung des Rechts’ über den Volkswillen stelle (mit genau diesem ‘das Volk hat immer Recht’ Argument). Mit diesem Argument kann man die SVP also wirklich nicht verteidigen.

    2)

    ich kann da kein Problem erkennen.

    Dann hättest du dir den Kommentar dazu sparen können:

    Tja die Demokratie ist halt nur so lange schön, wie einem die Abstimmungsergebnisse gefallen, oder?

    Oder war das ein sinnfreier Kommentar?

    3) a) Es gibt eine relative grosse politikwissenschaftliche Literatur zu dieser ‘Civic Culture’ und viel Arbeiten dazu. Es ist nicht etwas, dass ich aus dem Hut zaubere, weil es mir gerade in den Kram passt. b) Die SVP tut das doch nicht, weil sie direkt die Bevölkerung von einem echten Problem befreien möchte. Sie macht das, weil sie weiss, so schmerzlos stimmen sammeln zu können und das auf dem Buckel einer relativ machtlosen Minderheit. Ethik gilt nicht für Politiker solange sie das Volk hinter sich wissen? c) Ich habe genau das einfache Mitlaufen der meisten anderen kritisiert im obigen Post. Lesen musst du schon selber.

    Dass die SVP erfolgreich ist, habe ich auch gar nicht bestritten (und ist offensichtlich). Ich argumentiere bewusst mit der Frage nach der ‘Substanz’ ihrer Argumentation als erster Schritt in Richtung dieses Diksurses, den du ja auch zu wollen scheinst. Statt ins Leere zu argumentieren, wie wäre es mit inhaltlichen Argumenten? Da liegt nämlich das Problem. Es gibt sie nicht wirklich. Darum kann man auch kaum gegen die Hetze gegen an argumentieren. Statt sich einer politischen Debatte zu stellen, versteckt man sich häufig hinter der Mehrheit. Bewusst oder nicht, genau das machst du mit deinen Argumenten auch.

  5. #5 Nico
    Mai 4, 2009

    “Dies gelingt in dem Fall den Gegnern der SVP nicht. Daher wäre es eher angebracht das Versagen der anderen politischen Kräfte zu geißeln.”
    Macht er doch. Ein
    “Die anderen Parteien fürchten den Zorn der Bevölkerung und zeigen vorauseilenden Gehorsam der SVP gegenüber.”
    ist doch ein Angriff auf die Vorgehensweise der etablierten Parteien, oder nicht? 😉