Letzte Woche habe ich angekündigt etwas zum EU Parlament zu schreiben und dessen Strukturen und Funktionsweise etwas auszuleuchten. Wir packen den europäischen Stier hier gleich bei den Hörnern und versuchen etwas Klarheit zu schaffen wie entschieden wird.

Einer der Kommentare zu meiner Linksammlung letzter Woche fragte nach der tatsächlichen Macht des EU Parlamentes. Die verschiedenen Prozeduren, die zu Entscheidungen führen sind zentral um diese Frage zu beantworten. Jedem der versucht dies durch schnelles googeln zu recherchieren wird bald klar, dass alles etwas kompliziert ist. Ich versuche die ganze Sache so einfach wie möglich darzustellen, aber seid gewarnt, kurz ist nicht!

Das Parlament hat (wie auch nationale Parlamente) vor allem drei Möglichkeiten der Einflussnahme: Der Gesetzgebungsprozess, im Budgetprozess und durch Aufsichtsfunktionen. Der Gesetzgebungsprozess ist naturgemäss das Element, welches die grösste Palette an Möglichkeiten bietet. In der Regel schlägt die Kommission neue Gesetze vor, es ist aber der Rat der diese absegnet. Das Parlament steht dazwischen.

Das Parlament kann auf mehrere Arten den Gesetzgebungsprozess innerhalb der EU beeinflussen. Dies kann durchaus schon in einer Entwurfsphase in Zusammenarbeit mit der Kommission geschehen oder durch verlangen von Berichten. Das EP kann auch neue Budgetposten eröffnen, Berichte verlangen, auf welche die Kommission reagieren muss und das Parlament hat indirekt Einfluss auf das legislative Programme der Kommission. Von grösster Bedeutung für die Rolle des Parlamentes ist aber die Tatsache, dass für alle Fragen dessen Meinung eingeholt werden muss. Dies je nach Themenbereich in verschiedenen Prozeduren und je nach Prozedur mit unterschiedlichen Rechten. In diesem Post erkläre ich die verschiedenen Entscheidungsverfahren.

Anhörungsverfahren (Consultation Procedure)

Bis im Jahr 1987 war dies das Standardverfahren für alle Vorlagen. In diesem Verfahren wird das Parlament ein einziges Mal zu seiner Meinung zu einem Gesetzesprojekt der Kommission befragt. Daraufhin entscheidet der Rat (das heisst die Mitgliedstaaten gemeinsam) darüber. Die Meinung des Parlamentes ist nicht bindend.

Bedeutung: Das Parlament kann vor allem versuchen die Kommission davon zu überzeugen Änderungen anzubringen. Die Macht des Parlamentes besteht hier bestenfalls in der Möglichkeit, Gesetzgebung zu verzögern.

Zustimmungsverfahren (Assent Procedure)

Dieses Verfahren wurde zusammen mit dem als nächstes beschriebenen Verfahren der Zusammenarbeit durch den Single European Act (Einheitliche Europäische Akte) 1987 eingeführt. Das Europäische Parlament diskutiert in diesem Verfahren einen Vorschlag in einer einmaligen Lesung und kann keine Änderungen vornehmen. Am Ende wird mit (je nach Bereich) einfachem oder absoluten Mehr entschieden.

Bedeutung: Das Parlament besitzt ein Vetorecht.

Verfahren der Zusammenarbeit (Cooperation Procedure)

Dieses Verfahren wurde wie erwähnt 1987 gemeinsam mit dem Zustimmungsverfahren eingeführt. Der grosse Unterschied zum zuerst beschriebenen Konsultationsverfahren liegt darin, dass es eine zweite Lesung im Parlament gibt. Nachdem das Parlament seine Meinung zu einer Vorlage geäussert hat, muss der Rat dazu eine gemeinsame Position ausarbeiten (common position) welche zurück ins Parlament geht.

Bedeutung: Mit einer absoluten Mehrheit kann das Parlament die gemeinsame Position des Rates ablehnen. Dies ist aber kein Veto und hat vor allem symbolisches politisches Gewicht.

Mitentscheidungsverfahren (Co-Decision Procedure)

Dieses wohl wichtigste (und auch komplizierteste) Verfahren wurde mit dem Vertrag von Maastricht 1992 eingeführt. Die untenstehende Grafik vermittelt einen guten Eindruck von der Übersichtlichkeit. Auch die Tatsache, dass das Entscheidungsverfahren eine eigene Website hat, zeigt wohl, dass es sich um eine eher komplexe Angelegenheit handelt. Manchmal wird aus historischen Gründen zudem zwischen einem Mitenscheidungsverfahren I und II unterschieden, da der Vertrag von Amsterdam 1997 Änderungen am Mitenscheidungsverfahren einführte.

Das Verfahren ähnelt eigentlich dem Verfahren zur Zusammenarbeit bis zur zweiten Lesung (d.h. Abstimmung im Parlament, gemeinsame Position des Rates, zurück ins Parlament). Der Unterschied (und das wäre nun eben das Mitenscheidungsverfahren II) ist, dass falls in der ersten Lesung schon eine Einigung mit dem Rat zustande kommt, das Gesetz sofort verabschiedet werden kann.

Hat das Parlament mit einer absoluten Mehrheit Änderungen verabschiedet kommt es in ein Vermittlungs-Komitee (Conciliation Committee) zusammengesetzt aus der gleichen Zahl von Vertreterinnen und Vertretern aus dem Rat und dem Parlament. Findet man dort eine Einigung, muss das Gesetz mit einfacher Mehrheit vom Parlament und mit qualifizierter Mehrheit im Rat abgesegnet werden. Einigt man sich nicht, gibt es kein Gesetz. Der Maastrichtvertrag (Mitenscheidungsverfahren I) sah noch vor, dass der Rat sein Anliegen trotzdem durchsetzen konnte, diese Möglichkeit verschwand aber mit dem Vertrag von Amsterdam (Mitentscheidungsverfahren II).

Bedeutung: Das Parlament hat ein Vetorecht bei der Gesetzgebung in diesem Verfahren. Dies äussert sich auch darin, dass in diesem Verfahren Gesetze im Namen des Parlamentes und dem Rat verfasst werden (bei den nicht-veto Verfahren ist es nur der Rat der verabschiedet). Die Macht des Parlamentes vergrösserter sich mit den Änderungen des Vertrags von Amsterdam (Mitenscheidungsverfahren II)

Hier noch eine grafische Darstellung des Verfahrens (und wen es wirklich interessiert, findet hier einen Leitfaden zum Vermittlungsverfahren und Mitentscheindung):

Co_Decision.gif

Hat man das alles einmal verstanden, dann kommt die Politikwissenschaft zum Zug (falls sich jemand die Frage stellte, wo die Wissenschaft bleibt). Man sieht wie die Macht des Parlamentes im Dreieck mit der Kommission und dem Europäischen Rat vor allem darin besteht, dass es bei vielen Fragen Gesetzesvorlagen blockieren kann. Diese Macht sollte nicht unterschätzt werden und es gibt ausführliche Literatur zum Thema Veto-Players. Nimmt man zum Beispiel an, dass das Parlament viel integrationsfreudiger ist als der Rat (was in der Realität der Fall zu sein scheint), dann ist ein Vetorecht etwas abgeschwächt wenn es um neue Vorlagen geht, da das Parlament jeden Integrations-Knochen freudig nehmen wird und kaum eine Vorlage blockiert. Gleichzeitig wird aber ein integrationspolitisches zurückkrebsen schwierig für den Rat durchzusetzen. Natürlich kann das Parlament so via Änderungen Gesetzesvorschläge je nach Mehrheitsverhältnissen im Rat weiter in Richtung von mehr Integration drücken. Der Eintrag ist aber schon lange genug und ich spare mir das für ein anderes mal auf.

Die andere wichtige Frage ist natürlich wann und wie oft wird welches dieser Verfahren angewendet. Der Vertrag von Lissabon zum Beispiel bringt mehr Themen in den Machtbereich des Parlamentes. Aber auch das muss noch warten.

Kommentare (3)

  1. #1 Althir
    Juni 5, 2009

    Vielen Dank für den Artikel und den Link zum “Leitfaden zum Vermittlungsverfahren und Mitentscheindung”. Ich freue mich schon auf weitere Artikel zu diesem Thema.

  2. #2 V.Schmidt
    Berlin
    Mai 25, 2014

    Wie ich Deinem Beitrag entnehme hast Du Dich ausführlich mit dem Gesetzgebungsverfahren der Eu beschäftigt (..eigentlich werden ja keine Gesetze sondern “Verordnungen” und “Richtlinien” erlassen)
    Da ich mich morgen als Wahlhelfer gemeldet habe und wohl auch selbst wähle habe ich auch gerade versucht mich im Internet noch etwas “schlau zu machen”.

    Meine persönliche Meinung:

    1.Fast alle Wahlberechtigten wissen eigentlich nicht wirklich,wofür sie ihre Stimme abgeben und was das EP(Europäische Parlament) eigentlich überhaupt macht,von Details ganz zu schweigen.

    2.Würden die Wähler verstehen,das das EP eben kein legeslatives (gestzgebendes) Organ im klassischen Sinne ist,sondern maximal Vetorecht oder beratende Funktion hat,würden sich sicher viele fragen,warum sie überhaupt noch zur Wahl gehen sollen.

    Fazit : Aus den oben genannten Gründen (und weiteren Details,die hier keinen Platz mehr finden) halte ich die morgige Wahl für eine reine Schowveranstaltung,quasi eine Demokratiesimulation.

    Die eigentliche politische Macht liegt bei der Kommission.
    Die Kommissionspräsidentschaft wird vom Ministerrat bestimmt.Das darf dann noch darüber abstmmen.

    Wie seht Ihr das ?

  3. #3 V.Schmidt
    Mai 25, 2014

    Ergänzung : Auch das indirekte legeslative Initiativrecht des EP über die Kommission seit den Lissabonverträgen ist meiner Meinung nach kein echtes Initiativrecht,wie man es zB vom deutschen Bundestag her kennt.