Am 14. Juli 1789 stürmte der Mob auf der Suche nach Pulver und Munition das Pariser Stadtgefängnis La Bastille. Das Schleifen dieses Gefängnisses welches stellvertretende für die Staatsmacht stand, steht wohl wie wenig anderes als Symbol für die Französische Revolution. Aus aktuellem Anlass eine literarische Randnotiz zu diesem Ereignis.
Eigentlich hätte ich über die Entlassung des Finanzministers des Königs schreiben können, ein Akt der von vielen als einer der Auslöser der Revolution betrachtet wird. Sein Name war Jacques Neckar, ein Rechtsprofessor der Univeristät Genf und niemand geringeres als der Vater der Madame de Staël. Aber ich möchte hier über eine andere Genfer Verbindung schreiben. Es geht um einen Skandalautor.
Einer der Gefangenen in der Bastille war nämlich der Marquis de Sade an den wir uns heute vor allem noch für seine sehr expliziten und freizügigen Romane erinnern und als Namensgeber für den Begriff Sadismus (obwohl erst später nach ihm benannt). Wenige Tage vor der Erstürmung der Bastille in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli wurde der Marquis de Sade verlegt (gemäss Wikipedia wurde er bei der Erstürmung befreit, eine Version die mir zum ersten Mal begegnet und an der ich gewisse Zweifel hege). Bei dieser Nacht und Nebel Aktion musste der Marquis de Sade alles in der Bastille zurücklassen.
Unter dem, was in der Bastille blieb, war das Manuskript für 120 Journées de Sodome, ou l’Ecole du libertinage (Deutsch: Die 120 Tage von Sodom oder die Schule der Libertinage). Um es vor seinen Aufsehern zu versteckten, schrieb er es in einer winzigen und dichten Schrift auf kleine Papierstücke, die er auf einer 12.10 m langen und 11.5 cm breiten Rolle aufklebte. Nachdem die Bastille dem Erdboden gleich gemacht wurde, fand man diese Rolle wieder.
Sie tauchte am Ende des 19. Jahrhunderts wieder bei einem gewissen Iwan Bloch (der unter dem Pseudonym Eugen Dühren veröffentlichte) auf. Dieser gilt als einer der Pioniere der Sexualwissenschaft und schrieb auch über den Marquis de Sade. Von dort gelangte die Rolle in die Bibliothèque Gérard Nordmann.
Das Manuskript wurde erst vor ein paar Jahren (2004) zum ersten Mal in Genf an der Fondation Bodmer im Rahmen einer temporären Ausstellung öffentlich zugänglich gemacht und ist jetzt dort nun als ständige Leihgabe immer noch zu bewundern (über das Museum habe ich schon berichtet, der Himmel für alle Bibliophilen). Die Rolle fasziniert weil sie den Geisteszustand des Marquis de Sade so stark zu vermitteln scheint. In der kleinen und engen Schrift glaubt man sein besessenes Schreiben genau so wieder zu erkennen wie einen gewissen Wahnsinn. Der Umfang der Rolle verstärkt diesen Eindruck nur. Wer Gelegenheit dazu hat, sollte das Museum unbedingt besuchen. Die Rolle ist nur eines von vielen Austellungsstücken die mehr als eine Geschichte erzählen.
Bildquellen: Das erst Bild des Manuskript von “120 Journées de Sodome, ou l’Ecole du libertinage” stammt von www.fondationbodmer.org, das zweite und auch das Cover von Iwan Blochs “Das Sexualleben unserer Zeit” von 1907 von Wikimedia Commons.
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