Die Diskussion über das Minarett-Bauverbot in der Schweizer Verfassung und das Abstimmungsergebnis von letztem Wochenende scheint wie der Rosa Batterie-Hase unermüdlich weiter zu gehen. Unzählige Beschimpfungen und Beleidigungen später sind leider nur wenig Argumente der Befürworter aufgetaucht, die tatsächlich die rechtsstaatlichen Implikationen der Annahme diskutieren. Hier folgt ein weiterer Versuch zur Versachlichung.
Es wurde festgestellt, dass niemand voraussehen kann, wie ein Gericht die Regeln beurteilen wird. Ein Urteil vorweg zu nehmen sei Kaffeesatzleserei. Es wurde ebenfalls geltend gemacht, dass es juristisch durchaus akzeptierte Formen der Ungleichbehandlung gibt. Zudem hätte eine rechtliche Einschätzung vorher stattfinden müssen und nicht erst nach der Annahme.
Tatsächlich stimme ich all diesen Argumenten mehr oder weniger zu. Da sehr viele diffuse vor allem aus einer gewissen Angst und oder xenophoben Motivation entspringende Argumente die rechtlichen Aspekte etwas vernebelt haben, werde ich hier kurz zusammenfassen was die rechtliche Einschätzung der Juristinnen und Juristen der Exekutive waren und zwar vor der Abstimmung. Zumindest in der Theorie hat die Schweizer Stimmbevölkerung in Kenntnis dieser Einschätzung “Ja” gestimmt.
Bevor ich aus der Botschaft der Regierung zur Vorlage zitiere, soll noch angefügt werden, dass es meines Wissens gewisse Instrumente in der Juristerei gibt um Massnahmen zu evaluieren.1 Dazu gehört das Prinzip der Verhältnismässigkeit. Kann ich das gesetzte Ziel auch anders, mit weniger Einschränkungen erreichen. Dazu sollte der Zweck der Regel klar definiert werden um die Mittel zu dessen Erreichung analysieren zu können. Auch hierarchisiert man im Recht. Nicht jede Ebene ist gleich wichtig, nicht jede Ebene eignet sich für jede Regel.
Nun aber zu den juristischen Einschätzungen die im Abstimmungskampf und im Parlament auch kommuniziert wurden:
Zwingendes Völkerrecht (jus cogens)
Die Initiative wäre für ungültig erklärt worden, hätte man sie im Widerspruch zu zwingendem Völkerrecht gefunden. Zwingendes Völkerrecht sind in der Regel durch Praxis und Deklaration universell akzeptiertes Recht. Dazu gehört zum Beispiel das Genozid- oder Folterverbot. Ein Teil der Genfer Konventionen ist ebenfalls zwingendes Völkerrecht. Es gibt Regeln bei denen es umstritten ist, ob sie zwingendes Völkerrecht darstellen oder nicht. Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass die Initiative nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst. Das heisst, dass andere internationale vielleicht trotzdem verletzt werden, die entsprechenden Verträge können aber theoretisch aufgelöst oder neu ausgehandelt werden.
Die Schweizer Verfassung
Weniger gut sieht es bei der helvetischen Verfassung aus:
Die Initiative, mit der sich der Anspruch verbindet, die Werte unserer Rechtsordnung zu verteidigen, steht selber im Widerspruch zu zentralen Werten unserer Verfassung. Zu nennen sind der Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV), die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV)
Anzufügen wäre die schon fast zur lächerlichen Nebensächlichkeit verkommende Tatsache, dass es einen Eingriff in die Kompetenz der Kantone in Sachen Bauvorschriften darstellt.
Da die Regelung selber ebenfalls Verfassungsrang hat, konnte dies kein Grund für eine Ungültigkeitserklärung sein. Die Schweiz kennt keine direkte Verfassungerichtbarkeit (man kann nur bei einer konkreten Verletzung klagen).
Die Europäische Menschenrechtskonvention
Die Unterschrift unter die Europäischen Menschenrechtskonvention von 1953 ist eine Voraussetzung will man ein Mitglied im Europarat werden. Sie ist ein Katalog von Grundrechten (z.B. Folterverbot, Recht auf Leben, etc.). Im Zusammenhang mit der Initiative waren vor allem zwei Artikel relevant: Artikel 9 (Religionsfreiheit) und Artikel 14 (Diskriminierungsverbot).
Beide Artikel erlauben Einschränkungen aber nur unter gewissen Bedingungen. Die Rechtsabteilung kam zu folgendem Schluss:
Zuerst das Fazit zu Artikel 9 der EMRK (Religionsfreiheit)
Die vorstehend […] Prüfung ergibt, dass die Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» gegen die von Artikel 9 EMRK geschützte Religionsfreiheit verstösst. Eine Rechtfertigung nach Artikel 9 Absatz 2 EMRK scheidet aus, da es sowohl an einem legitimen Eingriffszweck als auch an der vorausgesetzten Verhältnismässigkeit des Eingriffs (notwendige Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft) fehlt.
Nicht besser steht es um das Diskriminierungsverbot in Artikel 14 der EMRK:
Aufgrund der zuvor gemachten Ausführungen lässt sich feststellen, dass ein Bauverbot für Minarette gegen das Diskriminierungsverbot vonArtikel 14 EMRK verstossen würde, weil diese Bestimmung in Verbindung mit Artikel 9 EMRK angerufen werden könnte, eine am personenbezogenen Kriterium der Religion anknüpfende Ungleichbehandlung von Personengruppen in vergleichbaren Situationen vorliegt, dieser Ungleichbehandlung kein legitimer Eingriffszweck zugrunde liegt und das vorgesehene Verbot auch unverhältnismässig wäre.
Der UNO Pakt II
Im Zusammenhang mit der Initiative ging es vor allem um den Artikel 18 des Paktes, welcher die Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert. Der Artikel ist dem Artikel 9 der EMRK sehr ähnlich. Die Sachverständigen kommen zu folgendem Schluss:
Die Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» fällt in den Schutzbereich von Artikel 18 UNO-Pakt II. Da das angestrebte Verbot weder durch einen legitimen Eingriffszweck gedeckt ist noch verhältnismässig ausfällt, läge beim Inkrafttreten einer solchen Bestimmung ein Verstoss gegen Artikel 18 UNO-Pakt II vor.
Fazit
Wir können nun das Resultat in diesem Lichte interpretieren: Vielleicht wussten die meisten ‘Ja’ Stimmenden all dies gar nicht (oder als Alternative, beschlossen dies einfach zu ignorieren). Dann haben sie in Unkenntnis der Fakten entschieden.
Vielleicht wussten sie es, kamen aber zu einer anderen juristischen Beurteilung der Verträge und unserer Verfassung. Ich gehe einmal davon aus, dass die meisten nicht dazu in der Lage sind. Eine weitere Möglichkeit ist, dass es den Stimmbürgerinnen und -bürgern bewusst war, dass dieses Verbot sich über anderswo festgeschriebene Grundwerte hinwegsetzt, dass sie aber die konkret gestellte Frage als wichtiger einstuften, als die Werte, mit denen sie im Widerspruch steht.
Dann sind wir genau dort angelangt, wo ich mit meinem ersten Post ursprünglich angesetzt habe: Wollen wir ein Land sein, welches diese grundsätzliche Werte wegen Bauvorschriften und politischer Symbolik über Bord wirft? Können wir uns noch als Rechtsstaat bezeichnen, wenn wir bereit sind in unserer Verfassung Regeln zu akzeptieren, die so viele fundamentale Prinzipien ausser Kraft setzen, nur um ‘ein Zeichen zu setzen’? Wollen wir in letzter Konsequenz einen Standpunkt einnehmen, der uns plötzlich auf der gleichen Seite wie Saudi Arabien, Libyen oder Iran stehen lässt, wenn es in der UN um Menschenrechte geht?
Das sind keine rhetorischen Fragen. Man kann diese Fragen durchaus mit “Ja” beantworten und dies wurde in gewissem Sinne am letzten Wochenende auch getan. Dies ist aber nicht das politische System mit dem ich mich mein Leben lang identifiziert habe. Darum war ich so schockiert.
1 Ich bin kein Jurist. Mein juristisches Wissen, falls überhaupt vorhanden, ist vor allem völkerrechtlicher Natur. Sollte ich völligen Quatsch geschrieben haben, möchte ich die mitlesenden Spezialistinnen und Spezialisten bitte, dies kund zu tun, damit ich entsprechende Korrekturen anbringen kann.
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