Mein Post zu Racial Profiling hat unter anderem eine Diskussion über dessen Effektivität losgetreten. Ich habe Kommentator Martin auf seine interessanten Einwände eine Antwort versprochen und werde nun deshalb die Diskussion hier weiterführen.

Um es gleich vorwegzunehmen, den verlinkten Artikel von H. Press habe ich wohl etwas all zu schnell angeschaut. Korrekterweise hätte ich schreiben müssen

William H. Press rechnet uns zum Beispiel vor, warum stark diskriminerende Fahndung rein mathematisch nicht sinnvoll ist

Nun zu den anderen aufgworfenen Fragen. Zuersteinmal die Annahme, dass es eine klare Verbindung zwischen ethnischem Hintergrund und Terror im Luftraum gibt.

Zuersteinmal stelle ich fest, dass wir hier meines Erachtens über islamistische Terrorattacken sprechen. Islamisten gibt es auf Indonesien, ebenso wie auf den Philippinen, von den Uiguren via Yemen bis nach Algerien, gibt es solche radikale. Wenn wir die Ethnie als ‘Abkürzung’ benutzen wollen, ist dies nahezu unmöglich.

Implizit ist wohl meistens, dass es sich um einen nahöstlichen Menschentyp handelt (mich schaudert es schon eine solche Kategorisierung zu verwenden). Wegen meiner nordafrikansichen Wurzeln väterlicherseits falle ich wohl auch in diese Kategorie. Wie Stephen Colbert vor kurzem treffend bemerkte: “Ich sage nicht, dass sie alle gleich aussehen, ich sage nur ich kann sie nicht unterscheiden”.

Was sind nun aber die effektiven Zahlen. Ich habe im Worldwide Incident Trakcking System einmal nach allen Anschlägen und Anschlagsversuchen im Zusammenhang mit Luftfahrzeugen (Aircrafts) gesucht (die Datenbank beginnt am 1. Januar 2004 und endet am 30. September 2009). Das System spuckte 75 Ereignisse aus. Nicht alle sind Flugzeugentführungen oder Bombenanschläge (z.B. die Liste enthält auch einen Anschlag auf einen Militärhelikopter) doch eine Abgrenzung nach Zivilluftfahrt war nicht möglich und es geht hier um eine ungefähre Einschätzung. Ich konnte leider auch nur nach Ereignisländern und Motivation suchen.

Hier ist die Auflistung nach Ländern der Ereignisse:

Countries.png

Hier ist die Aufschlüsselung nach Motivation:

Motivation.png

Grenzt man die Suche auf Europa/Nordamerika ein, findet man gerade noch drei Fälle, zwei davon in der Türkei. Auf der Basis dieser Datenbank scheint es, dass der Eindruck der Dominanz islamistischer Terroristen eher durch die Medienberichterstattung entsteht (Russland und Georgien scheinen nicht zu Europa zu gehören gemäss der Datenbank). Die meisten Anschläge finden also nicht in Nordamerika oder Europa statt sondern in Ländern in denen ein Racial Profiling wohl praktisch alle Passagiere bedeuten würde. Auch die Motivation scheint nicht vom Islam dominiert zu sein.

Die Effektivität von solcher ethnischer Fahndung muss auch angezweifelt werden, wenn man viel genauere Kriterien zur Fahndung gar nicht richtig benutzt. Statt die Ethnie als Proxy für die Religion zu nehmen, könnte man viel konkretere Ansätze einsetzen. Der Fall des Unterhosen-Bombenlegers aus Nigeria zeigt aber, dass unzählige deutlichere Warnhinweise nichts ausgelöst haben. Ein Einweg-Ticket, bar bezahlt, der Vater ging zur US Botschaft um vor seinem eigenen Sohn zu warnen, ein Visa nach Grossbritannien wurde verweigert, etc. Die Flugverbotsliste ist inzwischen irgendwo zwischen 500’000 und 1’000’000 Einträgen. Das kann schlicht nicht mehr gehandhabt werden.

Sobald Racial Profiling systematisch durchgeführt werden würde, könnten sich die potentiellen Terroristen anpassen. Sie müssen nicht einmal ‘westliche’ Attentäter rekrutieren, sondern nur solche, die nicht in (klischeehaften) Kategorien der Sicherheitsbeamten fallen (man muss sich übrigens bewusst sein, dass diese Kategorien wohl auch Italiener, Griechen und Spanier mit zu dunklem Teint miteinschliesst). Wie der Schuhbomber Reid oder der US Taliban John Walker zeigen, wäre jedoch auch ersteres kein Problem.

Kommentator Martin, der diesen Post ausgelöst hat, weisst korrekterweise darauf hin, dass die Effektivität solcher Massnahmen von der Diskussion über deren moralischen Beurteilung getrennt werden soll. Wo die beiden Fragen sich berühren ist, wo man nach dem Gleichgewicht fragt. In Anbetracht dieser Datenlage ist Racial Profiling kaum zu rechtfertigen.

Nun habe ich keine Daten zur Ethnie der Verdächtigen der letzten Jahre gefunden. Interessant ist doch, dass der Versuch eines Anschlags von einem NIgerianer eine Debatte zu Racial Profiling von Perseonen aus dem Nahen Osten auslöst. Es geht nicht um Sicherheit sondern vermutlich um Politik. Mir scheint der Ruf danach ist vor allem politisch motivierter Aktivismus. Eine ähnliche Fahndung mit Kriterien wie Junge Männern oder Schwarze Hautfarbe wäre völlig inakzeptabel. Zum Schluss gilt es noch zu erwähnen, dass der Ausgangspunkt meines letzten Artikels (Yoavs Post), die Effektivität der Massnahme als gesetzt betrachtete. Eine so detaillierte Diskussion erwies sich dort als unmöglich. Genau dort liegt das Problem. Im Kern ist es politisch opportune Augenwischerei.

Kommentare (13)

  1. #2 Thilo Kuessner
    Januar 11, 2010

    Zu “Racial Profiling”: Wenn ich die Chronologs-Diskussionen der letzten Monate richtig verstehe, geht es da ja ausdrücklich nicht um eine Selektion nach Rassen, sondern nach Religionsgemeinschaften, also eigentlich “Religious Profiling”.
    Wobei ich da dann schon nicht verstehen würde, wie das überhaupt praktisch umgesetzt werden soll.
    Bei den christlichen Kirchen mag es ja noch einfach sein: Mitglied ist, wer Kirchensteuern zahlt. Beim Islam und vielen anderen Religionsgemeinschaften gibt es aber m.W. keine formale Mitgliedschaft, womit sich dann die Frage stellt, wer da eigentlich nach welchen Kriterien entscheiden sollte, wer als Moslem zu gelten hat und wer nicht.

  2. #3 Ulrich Berger
    Januar 11, 2010

    Eine ähnliche Fahndung mit Kriterien wie Junge Männern oder Schwarze Hautfarbe wäre völlig inakzeptabel.

    Wäre WO inakzeptabel? Das ist doch etwa bei den Polizeikräften in den USA m.W. längst Routine.

  3. #4 Arnd
    Januar 12, 2010

    Ich verstehe deine Zahlen nicht ganz bei der Motivation. Was ist mit “secular” gemeint? Nur dass es keinen religiösen Hintergrund gibt? Ich nehme das mal an. Dann heisst wohl “unknown” dass ein religiöser Hintergrund nicht sicher ist. Bei “Islam” und “Christ” ist die Ursache anscheinend geklärt. Die Motivation “secular” sagt nicht viel aus, sie steht wohl für “alles andere”. Was ich (im Gegensatz zu dir) nun aus diesen Zahlen lese ist dass die Motivation “Islam” die ganz klar dominierende Motivation ist. Mehr als ein Viertel aller Fälle ist klar islamisch motiviert und bei noch mehr Fällen kann es nicht ausgeschlossen werden (die “Unknown”).

    Man kann daraus natürlich nicht direkt Massnahmen ableiten. Was man aber sagen kann, ist dass der Islam in Bezug auf die Luftsicherheit den größten negativen Faktor darstellt, auch wenn das nicht “political correct” ist.

  4. #5 ali
    Januar 12, 2010

    @Thilo
    Ich wusste nicht, dass die Diskussion bei Chronologs eine Vorgeschichte hat. Bei Religious Profiling sehe ich noch weniger wie das funktionieren könnte. Da kann man schliesslich relativ einfach ändern, dass man nicht mehr in die Kategorie passt (Steuren nicht bezahlen, Wohnsitzverlegen, anderes Symbol um den Hals anziehen…).

    @Ulrich

    Routine vielleicht, aber nicht legal. Ich bezog mich auf den Diskurs und nicht zwangsläufig die Praxis. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich dir bestätigen es ist auch an Flughäfen üblich (in den USA finde ich es in der Regel übrigens einfacher zu reisen wohl eben weil profiling in diesem Sinne eigentlich verboten ist). Dies ist wohl auch schwer zu ändern, solange die ausübenden Sicherheitskräfte einen gewissen Spielraum haben (und den brauchen sie vermutlich). Ich dachte vor allem an die USA, als ich das schrieb und dort war das bis vor kurzem zumindest ein Tabu (wurde jedoch aufgeweicht wenn es um Migration von Mexiko geht).

    Was ich eigentlich sagen wollte war, dass in der typischen Politik-Ökonomie, wenn eine Gruppe betroffen ist, die gross genug ist, ist die Massnahme die zuerst als ‘unbequemer Realismus’ oder rational verkauft wird, plötzlich nicht mehr so populär.

    @Arnd

    Ich war an die vorgegebenen Kategorien der Datenbank gebunden. Der volle Name war “Secular/Anarchist/Political”. Auf der WITS Seite werden die Kriterien genauer definiert (diese Kategorie beinhaltet übrigens verhältnismässig viele Fälle aus Kolumbien, falls dieses Beispiel die Sache etwas klärt).

    WITS unterscheidet gemäss der Vertrauenswürdigkeit in ‘Hergeleitet’, ‘Wahrscheinlich’ und ‘Plausibel’. Trifft keine der drei Kategorien zu, wird es meines Wissens als ‘unknown’ eingestuft. Diese nun als ‘eventuell religiös motiviert’ umzuteilen geht daher etwas weit. Darum sehe ich auch nicht ganz wie die aus den Zahlen lesen kannst, dass ‘Islam’ die dominierende Motivation ist. Auf alle Fälle betrachtet ist er es doch nicht, selbst wenn man die ‘unknowns’ weglässt.

    Der Sinn dieser Auflistung war übrigens effektive Zahlen zu finden zur intuitiv richtig erscheinenden Behauptung einer ‘überproportionalen Vertretung’ dieser Gruppe in solchen Zwischenfällen.

  5. #6 Ulrich Berger
    Januar 12, 2010

    @ ali:

    Routine vielleicht, aber nicht legal.

    Vielleicht sprechen wir über verschiedene Dinge (Flughafenkontrollen vs. Polizeikontrollen). Du hast im letzten Post u.a. Antonovics and Knight (2009) zitiert; dort steht:

    The courts have tended to uphold racially biased policing patterns when they can be reasonably justified by racial differences in crime rates, but have consistently ruled against what appear to be purely racist policing practices.

  6. #7 ali
    Januar 12, 2010

    @Ulrich

    Vielleicht ist das Problem auch die Unterscheidung zwischen ‘Racial Profiling’ auf konkrete Fahndungshinweise hin oder als allgemeines Instrument. Liest man was das Justizministerium dazu zu sagen hat, scheint es mir als ob zumindest auf der Bundesebene nur ersteres wirklich zulässig ist. Da mit der Verfassung argumentiert wird hätte ich angenommen, dass auch auf der lokalen Ebene zumindest juristisch die Sache auch strikt ausgelegt wird (die Regeln wurden glaube ich sogar von Bush erlassen).

    Ich habe nur ganz kurz (keinerlei Anspruch auf Repräsentativität) Fälle gesucht, wo Racial Profiling als Fahndungsmethode der Polizei von Gerichten bestätigt wurde. Die paar die ich angeschaut habe, bezogen sich auf konkrete Fälle mit vagen Hinweisen auf die Ethnie. Es ging also in der Regel nicht um klare Fälle sondern um die Grauzone zwischen den beiden Konzepten.

    Amnesty International hat diese Karte hier zur Lage der verschiedenen Staaten. Ich vermute mal ‘keine Gesetze dagegen’ heisst nicht ‘erlaubt’, aber da müsste man wohl tiefer graben.

  7. #8 Martin
    Januar 13, 2010

    Zuerst mal danke dass du dir die Zeit genommen hast und sogar einen eigenen Eintrag dazu verfasst hast – das freut mich natürlich, dass ich etwas interessantes zu der Diskussion beitragen konnte.

    Leider habe ich gerade nicht genug Zeit, um darauf genauer einzugehen, hole das aber sobald wie möglich nach.

    Nur kurz zur Legalität von Racial Profiling: Der 4. Verfassungszusatz (Equal Protection Clause) setzt dem, wie du bereits gesagt hast, enge Grenzen, ich bin mir aber nicht sicher, ob das auch für Flugreisen und ganz besonders für internationale Flugreisen gilt. Bei der Einreise hat man (selbst als US-Bürger) sehr wenig verbriefte Rechte, zB darf das Gepäck inkl. Datenträger auch ohne Anfangsverdacht durchsucht werden, etc. Ich müsste da mal genauer nachforschen, ob Racial Profiling dabei auch legal ist.

  8. #9 Martin
    Januar 13, 2010

    Aber ein bisschen Zeit habe ich doch noch:

    In deinem Link zu den DoJ-Guidelines sind die Abstufungen schon deutlich zu sehen:
    Während bei Traditional Law Enforcement Activities ziemlich eindeutig steht, das Racial Profiling nicht verwendet werden darf, wenn nicht nach einem bestimmten Täter gefahndet wird, kommt bei National Security and Border Integrity die wunderschöne Formulierung (Hervorhebung von mir)

    In investigating or preventing threats to national security or other catastrophic events (including the performance of duties related to air transportation security), or in enforcing laws protecting the integrity of the Nation’s borders, Federal law enforcement officers may not consider race or ethnicity except to the extent permitted by the Constitution and laws of the United States.

    Sie müssen sich also an die Verfassung halten und dürfen nicht nach Lust und Laune Gesetze brechen… wie beruhigend.

  9. #10 Karl Mistelberger
    Januar 14, 2010

    Bloggen allein macht für das Thema nicht schlau genug. Da hilft nur ein gelegentlicher Blick auf die Realität: Shahida – Allahs Bräute

  10. #11 ali
    Januar 14, 2010

    @Karl Mistelberger
    Ich habe vergessen, dass Annekdoten und Einzelfälle die einzigen Argumente sind die wirklich zählen (vielleicht auch noch Dokus). Vermutlich ist mir das passiert weil ich meine ganze Zeit mit Bloggen verbringe. Danke mich an diese Tatsache zu erinnert zu haben. Was würde ich nur tun ohne Kommentatoren die ihre Füsse so fest auf dem Boden der Realität haben.

  11. #12 Beobachter
    Mai 8, 2010

    Ich bin erst gestern am Bahnhof einer großen deutschen Stadt aus einer Masse von hunderten von Reisenden (eines Zuges, der aus dem Ausland kam) von zwei Zivilbeamten der Bundespolizei regelrecht “überfallen” worden und aufgefordert worden mich auszuweisen. Da niemand sonst angehalten wurde und an mir bis auf mein südländisches Äußeres nichts “auffälliges” war, gehe ich von einem Fall von “racial profiling” aus. Es war eine sehr demütigende und bloßstellende Erfahrung und ich habe meinem Unmut gegenüber den zwei Beamten auch deutlich Ausdruck verliehen. Ich seh zwar ein, dass ein Staat das Recht hat, seine Außengrenzen zu schützen, aber lediglich das Aussehen als Anhaltspunkt zu nehmen und das als einziges Kriterium für polizeiliche Ermittlungsarbeit zu nehmen (wie die das offenbar machten, wie die eine Beamtin indirekt einräumte) zeugt von wenig Reflexion seitens der Entscheidungstrage (und ist sicher dem einzelnen Beamten nicht anzulasten) und erhöht mit Sicherheit nicht die Effizienz der Polizeiarbeit, wie mir der kontrollierende Beamte zu erklären versuchte.
    Dieses Vorgehen verstößt aber m.E. gegen den Artikel 1 des GG “Die Würde des Menschen ist unantastbar, gegen die informationelle Selbstbestimmung und gegen Menschenrechte.

    Ich habe jetzt leider gelesen, dass dagegen schon mal Klagen liefen (also gegen Schleierfahndung und ereignis- und verdachtsunabhängige Kontrollen), die aber abgewiesen wurden.

    Nun überlege ich, mich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden und zu klagen gegen dieses rassistische und diffamierende Vorgehen, ich denke dabei inbesondere an notwendige Änderungen des Bundespolizeigesetzes in den § 21-24.

    Kennt sich jemand aus, wie man da am besten vorgeht?

  12. #13 ali
    Mai 8, 2010

    Ich glaube du musst zuerst den internen (nationalen) Rechtsweg ausschöpfen um vor den Menschrechtsgerichtshof in Strassburg gehen zu können. Das kann sehr lang und teuer werden. Da müsstest du wohl einen Deutschen Anwalt konsultieren. Wenn du dich da informieren möchtest könnte dir vielleicht irgend eine Menschrechts NGO mit entsprechenden Adressen weiterhelfen.

    Ich verstehe dass du sehr verägert bist über diese Kontrolle (ähnliches ist mir auch schon passiert). Ich weiss nicht wieviel man dagegen tatsächlich unternehmen kann (da musst du jemanden Fragen, der die Situation in Deutschland besser kennt) aber schraube deine Hoffnungen nicht all zu hoch.

    Falls die der Europäische Menschrechtsgerichtshof trotzdem interessiert findest du hier ein paar Antworten zu Fragen (Englisch).