Die meisten habe es vermutlich mitgekriegt (Florian war bei uns wieder einmal Erster, im Sprachlog las man es schon gestern) und ich habe es auch schon auf Englisch verbloggt: Silvana Koch-Mehrin wurde am 15. Juni der Doktortitel von der Universität Heidelberg aberkannt. Nun hat das Europäische Parlament sie zum Vollmitglied einer Kommission gemacht, die sich um Forschungspolitik in der EU kümmert. Darum wurde eine Petition gestartet. Ihr seid alle gebeten diese Info weiter zu verbreiten.
Frau Koch-Mehrin scheint leider nicht ganz verstanden zu haben, was das Problem ist. In ihrer Pressemitteilung zur Aberkennung des Doktortitels meint sie, sie hätte schon lange gewusst, dass ihre Doktorarbeit “kein Meisterstück” gewesen sei und sie hätte darum dafür auch nur eine “mittelmässige Note” erhalten, für “Fleiss und nicht Sorgfalt.” Das scheint mir bei dem Ausmass des Plagiats (angeblich auf rund 80 Seiten unvollständige oder fehlende Quellenangaben) geradezu frech. Warum das Aneignen von fremden Ideen gerade im akademischen Betrieb absolut inakzeptabel ist, darüber habe ich schon im Zusammenhang mit der Causa Guttenberg gebloggt. Der Gipfel ist aber den Spiess umzudrehen und den getäuschten die Schuld in die Schuhe zu schieben, schreibt Frau Koch-Mehrin in ihrer Stellungnahme doch:
Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es aber sicher auch, eine vorgelegte Arbeit ordentlich zu prüfen.
In anderen Worten: “Wenn du keine Alarmanlage in deinem Haus montierst, bist du schuld, wenn ich dir das Tafelsilber klaue. Mir kann man da kaum einen Vorwurf machen.” Sie hat offensichtlich nicht verstanden, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert. Nicht zuletzt deswegen ist sie kaum qualifiziert in einer Kommission mitzuarbeiten, die sich unter anderem mit Wissenschafts- und Raumfahrtspolitik befasst.
Ich bin normalerweise skeptisch was E-Petitionen betrifft. Zu schnell sind sie unterschrieben, zu schnell wieder vergessen. Hier mache ich eine Ausnahme, weil ich glaube, dass es reicht die Aufmerksamkeit auf das Thema zu ziehen und eine solche Petition ist ein gutes Mittel hierzu. Frau Koch-Mehrin ist schliesslich auch als Vize-Präsidentin des Europäischen Parlamentes zurückgetreten und es kommt bestimmt nicht von ungefähr, dass ihre Stellungnahme nur auf Deutsch zu finden ist. Um aber den nötigen Lärm zu machen, müssen alle mit anpacken und diese Information weiterverbreiten. Bloggt, zwitschert und facebooked also bitte über die Petition.
Aber zum Schluss noch zum zweiten Teil des Titels. In meiner Twitter Timeline erschien plötzlich die Anfrage ob ich helfen könnte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von der ganzen Sache. Ich klickte auf den Link und war gleich im PiratePad (welches ich noch nie vorher benutzt hatte und nur vom Hörensagen her kannte). Dort stand schon eine bunte Version eines Petitionstextes auf Deutsch und Englisch wo fleissige Internetmitbewohnerinnen und -mitbewohner gemeinsam rumformulierten. Es brauche noch eine Französische Version, hiess es, darum hätte man nach mir gerufen. Ich wies daraufhin, dass ich zwar Französisch spreche aber auch nach vielen Jahren es immer noch nicht schaffe einen offiziellen Text fehlerfrei zu schreiben. “Das kriegen wir schon hin” hiess es und ich machte mich an eine Übersetzung. Kaum fertig wurde via Twitter ein französischer Muttersprachler mobilisiert, der den Text in eine für die der Sprache Voltaires mächtigen, in eine (hoffentlich) akzeptable Form brachten. Nicht einmal 90 Minuten später stand der Petitionstext (plus noch eine zweite französische Version die parallel dazu verfasst wurde).
Darum liebe ich das Internet: Meine unzulängliche französische Orthographie war eben so wenig ein Hindernis, wie die Inexistenz der Deutschkenntnisse meines französischen Lektors um zum Ziel zu gelangen. Eine Gruppe, die sich nie getroffen hat, zufällig zusammengewürfelt, verfasst dank Twitter und Co. in kurzer Zeit einen Text, den man als Einzelmaske nicht hätte erstellen können. Nur als kooperative Aktion konnte es funktionieren. Ich weiss nicht einmal wieviele Kontinente an der Sache beteiligt waren. All dies um andere zu mobilisieren um gemeinsam etwas zu erreichen.
Ich würde das Internet nicht gleich zu meiner Religion erklären wie Jim Gilliam im Video. Aber ich verstehe ganz sicher was er meint:
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