Wie viele habe ich gestern vor dem Computerbildschirm mitverfolgt, wie die Informationen zu den tragischen Ereignissen in Oslo langsam durchsickerten. Wie schon bei anderen solchen Dramen, habe ich mich über die Berichterstattung und die Parade der geladenen Terror-Experten geärgert. Sie alle scheinen am Sherlock Holmes Syndrom zu leiden.
Als Teenager habe ich die Bücher über den berühmten Privatdetektiv von Arthur Conan Doyle verschlungen. Sherlock Holmes, ein asketischer, hagerer Einzelgänger und Rationalist fasznierte mich. Er weigerte sich unerklärliches und offensichtlich spukhaftes als solches zu akzeptieren und fand immer eine logische und irdische Erklärung dafür. Mit messerscharfer Logik verblüffte er seinen Freund Watson und erklärte ihm die Welt. Leider ist Sherlock Holmes aber nur ein mässig gutes Vorbild für einen Skeptiker (vermutlich kommt es auch nicht von ungefähr, dass sein Erfinder so ziemlich jeden Unfug glaubte, sogar an mit Elfen spielende Kinder). Das Problem ist, was Sherlock Holmes als die einzige mögliche logische Schlussfolgerung darstellt, ist oft nur eine mögliche Erklärung unter vielen. Wer nicht dies nicht hinterfragt, lässt sich leicht von dieser oberflächlichen “Logik” blenden (Ähnlichkeiten mit Verschwörungstheorien sind hier ebenfalls zu erkennen).
Genau so argumentierten aber viele Journalisten und geladene Terror Experten. Noch bevor bestätigt war, dass tatsächlich eine Bombe hochging, schwadronierten einige über einen möglichen Zusammenhang mit Norwegens NATO Mitgliedschaft, sein Afghanistan Engagement und diverse andere mögliche Gründe warum Islamisten sich Norwegen als Ziel herausgesucht haben könnten. Als es bestätigt war, dass es sich tatsächlich um einen Sprengsatz handelte gab es kein Halten mehr. Das Stichwort “Bombe” reichte als plumper Auslöser für die immer wieder gleiche Litanei. Zehn Jahre Berichterstattung in der Terror als vor allem islamistisches Phänomen dargestellt wurde, scheinen tiefe Spurrinnen in vielen Hirnen hinterlassen zu haben aus denen sie kaum noch ausbrechen können. Dies obwohl in Europa und den USA zahlenmässig der Islamismus nicht das Hauptproblem ist, was Terror anbelangt (siehe zum Beispiel den Europol Jahresbericht). Trotzdem war dies fast die ausschliessliche Linse durch welche man die dünne Datenlage interpretierte.
Immer wieder spielte sich das gleiche Ritual ab. Der Journalist, die Journalistin leitet ein mit “Ich weiss zu diesem Zeitpunkt ist noch kaum etwas bekannt” um dann zu “Wer könnte hinter diesen Anschlägen stecken” über zu leiten. Die Antwort begann meist ebenso floskelhaft mit “Im Moment kann man kaum etwas sagen” nur um dann genau dies im Detail zu tun. Einer dieser Terrorexperten gestern auf der BBC zeigte exemplarisch diese Scheuklappen die zwingend alles in die eine akzeptable Erklärung quetschen. Er behauptete die Anschläge trügen alle Zeichen einer jihadistischen Attacke. Es zeige auch gut wie der Kampf gegen den Terror weitergehen müsse und man nirgends sicher sein kann vor Al-Kaida. Man dürfe sich auch nicht verwirren lassen, dass einige berichten würden, dass der Schütze als “Blond und blauäugig” beschrieben wurde, schliesslich wisse man seit langem, dass diverse islamistische Terrororganisationen aktive “kaukasisch” aussehende Personen rekrutieren würden, weil sie wüssten, dass die Sicherheitskräfte (“vielleicht unbewusst”) nach einem nahöstlichen Profil suchen würden (vielleicht muss man diesem “Experten” zu gute halten, dass er sich wenigstens mit einer klaren Aussage hervor wagte und sich nicht ganz in Allgemeinplätzen verlor).
Es geht hier nicht darum nun zu behaupten ich hätte es von Anfang an besser gewusst. Als die Informationen reinkamen wusste ich genau so wenig wie alle anderen. Es hätte tatsächlich ein internationaler Komplott von Jihadisten sein können. Oder auch nicht. Das ist genau der Punkt. Dies ist aber eine Gelegenheit darauf hinzuweisen, weil es dieses Mal offensichtlich falsch war. Wenn man mit fehlender Logik zum richtigen Resultat kommt ist es in der Regel schwer zu erreichen, dass die Kritik gehört wird. Diese Mal ist anders.
Wenn Spekulationen nur auf dem bisherigen Diskurs beruhen, lässt man es lieber bleiben, ohne echte Anhaltspunkte zu kommentieren. Das Norwegen in Afghanistan Truppen stellt, hätte wahrscheinlich nicht einmal Sherlock Holmes’ Standard für eine logische Schlussfolgerung erfüllt. Es scheint so als ob die Anschläge in Norwegen nicht mit Islamismus in Verbindung stehen. Trotzdem ging ein Grossteil der Sendezeit gestern für Spekulationen drauf, die genau diese Verbindung herstellten. Dies wird sicherstellen, dass auch nächstes Mal in Abwesenheit irgendwelcher Daten, dieser Link das Expertenthema der Wahl sein wird.
Kaum jemand hat in der Regel damit ein Problem, weil die Experten mit dem Sherlock Holmes Syndrom uns das erzählen, was wir sowieso schon zu wissen glauben. Man muss sich aber fragen, für was man dazu überhaupt noch Experten braucht. Genau darum muss man jetzt den Experten ihre Kommentare von gestern immer wieder um die Ohren schlagen. Ein Bisschen mehr Bescheidenheit und Differenzierung bei der Interpretation von dünnen Informationen wäre angebracht und Journalisten müssten genau dies hinterfragen und nicht einfach abnicken.
Für eine solchen Anschlag braucht es im Extremfall nur einen Spinner. Allgemeine Rückschlüsse zu ziehen ist da Definitionsgemäss relativ schwierig. Der Gedanke einer internationalen Organisation, die uns böses will mag zwar sehr beruhigend wirken, sie verschleiert aber sehr viel Komplexität. Dies ist die Grundlage für die Pseudo-Logik die gestern vorgeführt wurde. Sherlock Holmes mag uns gut unterhalten. Wir sollten seine Welt aber nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
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