Vor einer Woche bin ich auf diesen Blogeintrag von Kenan Malik gestossen. Der Autor war mir vorher unbekannt aber nach seinem Eintrag und nach dem Lesen seiner Kurzbio habe ich ganz sicher Lust mehr von ihm zu lesen (zum Beispiel sein neustes Buch “From Fatwa to Jihad”).
In den Debatten um die Integrationspolitik erhält man oft den Eindruck, dass sich zwei Lager gegenüberstehen, die auf unterschiedlichen Planeten leben. Auf der einen Seite sind jene, die dem Multikulturalismus das Wort reden. Eine Begriff der von der anderen Seite oft schon zur Verhöhnung der Idee selber herangezogen wird (“Multikulti”). Diese wiederum wird nicht müde zu betonen, dass nur erfolgreiche Assimilation eine valable Integrationspolitik sein kann. Kenan Malik listet in seinem Eintrag vier Probleme auf (er nennt es “Mythen”, wendet jedoch den Begriff in seinen Formulierungen meines Erachtens nicht konsequent an), die er den beiden normalerweise entgegengesetzten Polen vorwirft. Oft sind mit den Begriffen zudem unterschiedliche Dinge gemeint und sie werden dadurch zur Projektionsfläche. Hier sollen seine vier Thesen kurz wiedergegeben werden, um damit auch im Deutschen Sprachraum diese wichtige Diskussion um eine falsche Dichotomie zu führen. Hier seine Thesen und kurze Erklärungen dazu (ich empfehle trotzdem den vollen Eintrag bei ihm zu lesen):
1. The starting point for both multiculturalists and assimilationists is the need to manage the pluralism created by immigration. But Europe is today perhaps less plural than ever before.
Der Ausgansgpunkt für Multikulturalisten und Assimilationisten ist die Notwendigkeit einen Umgang mit dem durch Einwanderung entstandenen Pluralismus zu finden. Aber Europa ist heutzutage vermutlich weniger Vielfältig, als dass es je war.
Kenan Maliks These ist die: Beide “Denkschulen” gehen davon aus, dass Europa früher einheitlicher war und ziehen daraus unterschiedliche Schlussfolgerungen. Das homogene Europa sei jedoch ein Mythos. Früher zogen sich viele schärfere Trennlinien entlang des Einkommens und der Herkunft. Das einzige was sich wirklich drastisch geändert hat ist, dass es heute eben diese Wahrnehmung von Migration als Problem gebe.
2. The real debate is not between multiculturalism and assimilationism. It is between two distinct conceptions of multiculturalism and two distinct conceptions of assimilation.
Die wirkliche Auseinandersetzung ist nicht zwischen Multikulturalismus und Assimilationismus. Sie ist zwischen zwei unterschiedlichen Konzeptionen von Multikulturalismus und zwei unterschiedliche Konzeptionen von Assimilation
Multikulturalismus kann zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Manchmal ist damit die gelebte Bereicherung durch kulturelle Vielfalt in einer Einwanderungsgesellschaft gemein. Die zweite Bedeutung dafür ist “ein Satz von politischen Massnahmen mit dem Ziel, diese Vielfalt zu managen indem man Menschen in ethnische Schubladen steckt, deren Bedürfnisse und Rechte auf der Basis dieser Schubladen definiert und dann diese Schubladen für das Ausformulieren eben dieser Massnahmen verwendet” (a set of political policies, the aim of which is to manage diversity by putting people into ethnic boxes, defining needs and rights by virtue of the boxes into which people are put, and using those boxes to shape public policy).
Auch Assimilation hat gemäss Kenan Malik zwei Bedeutungen: Eine ist die Überzeugung, dass alle als Bürgerinnen und Bürger und nicht gemäss ihrer Herkunft oder Hintergrund behandelt werden. Die andere ist, dass dies eine gewisse kulturelle Homogenität welche zu einer Aufgabe von unterschiedlichem Verhalten zwinge, da sonst der Zusammenhalt der Gesellschaft untergraben werde (als Beispiel für diese Sichtweise nennt er die Burka-Verbote).
Ideal wäre nun gemäss Kenan Malik eine Kombination der jeweils ersten Definitionen. Historische sei aber in Europa vor allem eine Kombination der jeweils zweiten Definition befolgt worden. Statt die beste, sei dies die schlechteste aller Lösungen.
3. Both sides in the debate confuse the idea of peoples with that of values
Beide Seiten in der Debatte vermischen die Idee von Völkern mit jener von Werten.
Diese These erklärt Kenan Malik selbst am Besten: “Europäische Eltern zu haben ist kein Ausweis für aufklärerisches Gedankengut. Warum sollten wir automatisch annehmen, dass jemand mit Vorfahren aus Bangladesch oder Marokko zwangsläufig in die Scharia vertraut?” (Being born to European parents is no passport to Enlightenment beliefs. So why should we imagine that having Bangladeshi or Moroccan ancestry makes one automatically believe in sharia?). Wohlgemerkt, diese Verwechslung von Menschen und Werten findet auf beide Seiten in der Debatte statt einfach nur mit unterschiedlichen Annahmen.
4. Immigration does not create a problem of citizenship. The fraying of citizenship creates the perception that immigration is the problem.
Einwanderung schafft kein Staatsbürgerschafts-Problem. Das Ausfransen der Staatsbürgerschaft schafft die Wahrnehmung, dass Einwanderung das Problem sei.
Gemäss Kenan Malik ist die Prämisse, dass es ein Integrationsproblem und daher ein Staatsbürgerschaftsproblem gebe falsch. Die Wahrnehmung, dass letzteres existiere gehe alleine auf die falsche Prämisse zurück. Man würde eine Entfremdung vom Staat ebenso bei den Einheimischen feststellen. Die Daten für Grossbritannien zum Mangel an Identifikation durch Einwanderer sei bestenfalls unklar.
So schaffen Multikulturalisten und Assimilationisten die Probleme erst, die sie zu lösen vorgeben. Kenan Malik hat in seinem Eintrag schön auf den Punkt gebracht, was ich hier auch immer wieder anspreche, wenn ich zu Identität schreibe, aber noch nie die Worte dafür fand, um den Finger so präzise auf das Problem zu legen. Oder um ihn aus seiner Kurzbiographie zu zitieren:
I was born in India, brought up in Manchester and now live in London. I am English when watching football, British according to my passport, Italian after a night at the opera, modernist when imagining cities, radical when thinking of the Enlightenment, more so when contemplating the consequences of the free market, humanist when not contemplating God (and more so when I am), and allergic to pigeonholes.
Ich wurde in Indien geboren, in Manchester grossgezogen und lebe jetzt in Lonodon. Ich bin englisch, wenn ich Fussball schaue, britisch gemäss meinem Pass, Italiener nach einem Abend in der Oper, Modernist wenn ich mir Städte ausmale, radikal wenn ich an die Aufklärung denke, noch radikaler wenn ich an die Konsequenzen eines freien Marktes denke, humanistisch wenn ich nicht über Gott nachdenke (und noch mehr, wenn ich es tue) und ich reagiere allergisch auf Schubladisierungen.
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