In Syrien geht Assad mit brutaler Gewalt gegen seine Bevölkerung vor (hier eine erschreckend aktuelle ältere Karikatur). Die Berichte von organisiertem bewaffneten Widerstand und Deserteuren aus der Armee werden häufiger. Die Staatengemeinschaft scheint wenig gewillt etwas zu unternehmen und im UN Sicherheitsrat scheiterten der jüngste Vorstoss an den Veto-Stimmen von China und Russland. Was sind überhaupt die Optionen der Staatengemeinschaft?
In den letzten Tagen sind mir zwei Texte unter die Augen gekommen, die die Situation in Syrien analysieren und Vorschläge für ein weiteres Vorgehen machen. Ich möchte beide hier kurz zur Diskussion stellen, da sie, zumindest soweit ich das beurteilen kann, diskussionswürdige Punkte ansprechen und durch ihren Pragmatismus. Es sind auf jeden Fall besonnere Stimmen zwischen den lauten Rufen der üblichen Verdächtigen.
Der erste Bericht ist eine Zusammenfassung einer Chatham House (PDF) Expertendiskussion. Ein grosser Teil davon ist eine Ist-Zustands Analyse. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde glauben nicht, dass das Assad Regime noch eine langfristige Perspektive hat. Kurzfristig wird es sich aber um so mehr an die Macht klammern. Man sieht Syrien auf dem Weg in einen Bürgerkrieg und ortet bei Regionalmächten den Willen sich mit Waffen und Ausbildung einzumischen. Gleichzeitig glauben die Experten auch nicht, dass Russland bereit sei, Assad bis zum bitteren Ende zu unterstützen.
Verschiedene mögliche Szenarien wurden diskutiert:
- Das Regime überlebt die Krise, stemmt sich gegen den totalen Legitimitäts- und Popularitätsverlust und klammert sich noch ein paar Jahre an die Macht (bis zu fünf Jahre ist die Zahl die genannt wird).
- Das Regime überlebt mit Reförmchen, die intern als Blitzableiter und extern als Rechtfertigung dienen.
- Hohe Militärs spalten sich von der Armee ab und gründen eine (alawitisch geführte) Gegenbewegung. In diesem Fall könnte die Türkei sich als Vermittlerin für einen politischen Kompromiss ins Spiel bringen.
- Das Regime verliert vollends die Kontrolle und ein Yemen ähnlicher Deal lässt Assad und seine Entourage ins Ausland entkommen (Iran, Russland wären Möglichkeiten). Sollte sich in diesem Szenario Assad nicht absetzen könnte es zu einem totalen politischen Zusammenbruch des Landes kommen und Syrien gar zum Failed State werden.
- Das “Libyen Szenario” (Intervention von Aussen) ist unwahrscheinlich, da wenig Wille zu einem Eingreifen zu existieren scheint.
Ein interessanter Punkt der im Papier angesprochen wird ist, dass man die international Gemeinschaft kritisiert, eine “gemischte Botschaft” an Assad zu senden. Die Sorge, dass Syrien zerfallen könnte, sei genau was das Regime im Ausland zu kultivieren versuche. Dies würde Assads Diskurs bestätigen und im signalisieren, dass er als das kleinere Übel betrachtet wird. Ich sehe da aber ein schwer lösbares Dilemma, besteht doch tatsächlich ein Risiko, welches in die Kalkulationen miteinbezogen werden muss.
Der zweite Artikel ist der Leit-Kommentar des Economist dieser Woche und ist eine gute Ergänzung zum soeben besprochenen Bericht. Der Artikel beginnt mit einer Kritik an der Internationalen Statengemeinschaft (“The outside world, to its shame, has shown no such resolve [as the inhabitants of Homs]”; “Die Aussenwelt hat zu ihrer Schande keine solche Entschlossenheit gezeigt [wie die Einwohner von Homs]”). Man müsse vor allem aber nicht nur für die Menschen in Syrien etwas unternehmen, das religiös, ökonomisch, ethnisch und politisch stark fragmentierte Syrien könnte sonst nämlich in einen unkontrollierbaren Bürgerkrieg schlittern, was auch geopolitisch nicht wünschenswert ist. Das Ziel müsse sein, Assad von der Macht zu entfernen und dabei den Verlust an Menschenleben zu minimieren, zwei Ziele die inzwischen oft gegensätzlich zu sein scheinen.
Bombardierungen oder Waffenlieferungen würde Assad in die Hände spielen, da er
den Konflikt am liebsten militärisch austragen möchte. Die Bedingungen
für einen NATO Einsatz wie in Libyen seien auch nicht gegeben.
Waffenlieferungen würden im Moment in Anbetracht der fragmentierten
Opposition nur die Gefahr von noch grösserem Chaos bergen.
Gemäss dem Kommentar ist die beste Lösung sich an die Demontage von einem von Assads Trümpfen zu machen: Die fehlende Einheit der Opposition. Damit formuliert der Economist einen Vorschlag, der dort ansetzt wo das vorhergehende Papier aufgehört hat: Wie geht man mit der Fragemtierung von Syrien um. Die Opposition müsse sich strukturieren und eine einzige Stimme finden. Eine gemeinsame und vor allem glaubwürdige Führung muss her. Dies würde vielleicht auch die Minderheiten überzeugen, die im Moment noch Assad aus Angst, was ihnen ohne ihn blühen könnte, unterstützen. Es würde vielleicht auch die Russen überzeugen, nicht länger auf das Verlierteam zu setzen, könnten sie doch Zugang zum Hafen Tartus verlieren. Um diese Opposition dann zu stützen soll die Türkei, abgenickt von der Arabischen Liga und der NATO, in Nordwest-Syrien eine Schutz-Zone einrichten (ähnlich wie für die Kurden im Nordirak existierte). Doch Sicherheiten gibt es natürlich keine, nochmals der Economist im O-Ton:
A haven carries risks, if only because the opposition is so fractious.
But it is likely to cause less bloodshed than joining the civil war
directly or letting Mr Assad slaughter his people at will. And a free
patch of Syria would be powerful evidence that Mr Assad’s brutal days
are numbered.Ein sicherer Hafen birgt auch Risiken und sei es nur weil die Opposition so fragmentiert ist. Aber ein solcher würde sehr wahrscheinlich weniger Blutvergiessen verursachen als das Mitmachen in einem Bürgerkrieg oder wenn man Assad sein Volk nach Gutdünken abschlachten lässt. Ausserdem würde ein Fleck freies Syrien ein eindrücklicher Beleg sein, dass Assads brutale Herrschaft sich dem Ende zuneigt.
Zumindest in der Theorie spricht einiges für den Vorschlag (und hier kehre ich zu meinem eigenen Meinung zurück). Wie die Opposition tatsächlich vereinigt werden kann ist aber wohl praktisch, wie im soeben zitierten Schlussabschnitt auch erwähnt, eher schwierig. Die Frage ist auch was in den anderen Gebieten passieren wird und ob dies, wenn es schief läuft, nicht einfach auf eine de facto Teilung des Landes hinausläuft. Später wird sich auch die Frage stellen, wenn man tatsächlich unterstützen will. Homs ist nicht nur eine Hochburg des Widerstandes, sondern auch der Islamisten. Wenn anschliessend das grosse Heulen und Zähneklappern losgeht, dass nun ein Frühling von den Islamisten gekapert würde, als ob dies nicht vorhersehbar gewsen wäre, dann hilft das nicht der Glaubwürdigkeit des Westens. Da muss dann klar Stellung bezogen werden, auf welcher Seite man steht (und damit meine ich das Ausland und die Syrer): Demokratien mit ihren nicht immer genehmen Resultaten und Menschenrechten oder geopolitischem Opportunitätsdenken. Am Ende muss dem Syrischen Volk geholfen sein. Und dies so bald als möglich.
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