Nun ist Kony tatsächlich ein äusserst unappetitlicher Vertreter unserer Spezies und es wäre wichtig, dass er vor Gericht gestellt wird und für seine schlimmen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Aber die ugandische Armee zum Beispiel, mit welcher Invisible Children arbeiten will, wird auch Folter, Plünderung und Vergewaltigung nachgesagt. Zudem wird suggeriert, dass wenn Kony gefasst würde, das Problem irgendwie gelöst wäre. Als ob alles was in den letzten 24 Jahren an Greultaten begangen wurde, auf Kony zurückgeht. Nun kann man durchaus entscheiden, dass der Zweck in diesem Fall die Mittel heiligt, man sollte dies aber in voller Kenntnis der geheiligten Mittel tun. Wenn der Film Unkenntnis voraussetzt, tut er nichts um diesbezüglich aufzuklären.
Meine dritte Beanstandung betrifft indirekt auch diesen Fokus auf Kony. Der Film suggeriert, die USA müssen irgendwie intervenieren, oder zumindest der ugandischen Armee helfen, Kony zu fassen. Der ganze äusserst komplexe Kontext eines Konfliktes, der mehrere Länder betrifft und seit 24 Jahren andauert, wird völlig ausgeblendet. Je nach Form, könnte eine solche Intervention den Konflikt wieder aufflammen lassen. Dass Kony auf der Flucht ist und vermutlich nur noch einen relativ kleinen Trupp befehligt erfährt man im Film nicht (oder nur zwischen den Zeilen). Das Uganda zwar Interesse an Militärhilfe hat, aber nur ein sehr beschränktes, dem inzwischen eher bedeutungslosen Kony nachzulaufen, erfährt man auch nicht. Das genaue Wie wird (vermutlich bewusst) offen gelassen und kann alles heissen: Vom schlichten Aufrechterhalten der US Ausbilder dort bis zu Drohneneinsätzen oder gar eigenen Kommandos vor Ort. Die Situation ist schlicht verdammt kompliziert und man kann nicht einfach Kony als den bösen Buben brandmarken, einmarschieren um ihn vor den internationalen Strafgerichtshof zu zerren und alle Probleme sind gelöst. Im Gegenteil, man könnte viele Probleme schaffen, die die Situation verschlechtern. Eine übersimplifiziertes Bild der Situation ist da eher gefährlich als nützlich.
Wo liegt dann aber das Problem bei den vielleicht nur guten Absichten der Aktivistinnen und Aktivisten? Da ist die breite Masse die man zum Slacktivism für die Sache motivieren möchte. Einmal dort klicken, einmal jenes “liken”, dort Fan werden, Link verschicken und den Twitter Avatar aus Solidarität ändern. Dies ist kaum ein Aufwand und beruhigt das Gewissen. Ein grosser Teil dieser Gruppe wird aber kaum mehr über den Konflikt wissen als vorher (ausser eben, dass Kony in der Geschichte der Bösewicht ist). Die Taktik und die Strategie bleiben völlig offen und es bedarf blindes Vertrauen in die Verantwortlichen, dass sie mit diesem öffentlichen Druck und Geld im Rücken schon das richtige unternehmen werden.
Gute Absichten alleine genügen nicht. Es gab bestimmt auch viele, die meinten mit Hilfe des US Militärs, die Afghanen von den Taliban und den Irak von Sadam Hussein zu befreien. Beides tatsächlich ehrenhafte Ziele. Was eine fehlende Kenntnis der spezifischen Umstände für Konsequenzen haben kann und dass es immer auch einen Preis zu zahlen gibt, haben wir alle gesehen.
Da schliesst sich der Kreis wieder zum Clip. Der Konflikt sollte tatsächlich einen wichtigeren Platz im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit haben. Der Film füllt diese Lücke aber mit einer Karikatur. Diese ist unter Umständen gefährlicher als die Unwissenheit. Vielleicht ist das für Invisible Children nur ein Mittel um Geld zu sammeln. Dann ist es manipulativ. Vielleicht wollen sie wirklich einfach alles daran setzen, Kony zu erwischen. Das ist aber in dieser Form naiv und je nach gewähltem Mittel gar kontraproduktiv. In beiden Fällen bezweifle ich, dass sie unser Vertrauen und Geld verdient haben.
Aber was also tun? Ist es nicht besser etwas statt gar nichts zu unternehmen? Eine gute Frage auf die ich nur eine halbe Antwort bieten kann. Auf jeden Fall sollte man versuchen informiert zu bleiben und so mitzuhelfen, dass die Region nicht vom politischen Radarschirm verschwindet. Zum Beispiel ist es interessant, dass Invisible Children den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes im Clip so sehr für ihre Aktion einspannen, aber nicht erwähnen, dass die USA nicht Mitglied sind. Das könnte man doch zum Beispiel seinem Senator oder Repräsentanten ebenfalls ans Herz legen. Manchmal erhält man den Eindruck, die Aktion mit dem Fokus auf Kony hätte Rache als Antriebsfeder. Dies ist oft eine schlechter Ausgangspunkt für Gerechtigkeit.
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