Gestern war es auf diversen sozialen Medien kaum zu verpassen. Überall wurde zu einer Aktion “Kony 2012” aufgerufen und einem 30 minütigen Filmchen verlinkt. Es dauerte auch nicht lange bis ein Chor von kritischen Stimmen sich dazu gesellte. Kann tatsächlich jemand dagegen sein, einen mutmasslichen Kriegsverbrecher zur Strecke zu bringen?
Ich habe den Eindruck, dass der Aufschrei in meinem Internationale Beziehungen lastigen Netzwerk grösser war als bei anderen. Dies erfasst wahrscheinlich auch gut das Kernproblem. Hier ist der zweifelsohne nicht schlecht gemachte und emotionalisierende Film, der sich gestern viral im Netz verbreitete.
Der Kritik dieses Film (die unter anderem mit diesem Tumblr einen Anfang nahm) folgte Konfusion, wie auf Deutsch zum Beispiel hier (via Tweet von fatmike182). Ich kann mich ohne grössere Recherchen nicht zur Kritik von angeblich manipulierten Zahlen äussern und noch weniger zum Grad der finanziellen Transparenz der Organisation Inivisble Children, die das ganze angerissen hat (sie haben auch inzwischen auf die Kritik reagiert). Aber die Aktion ist eine gute Illustration eines grösseren Problems.
Wer Geld sammeln will, sieht sich oft mit einem Dilemma konfrontiert: Was am effektivsten ist, ist meist nicht sehr differenziert. Man muss emotionalisieren um die Hände zu den Geldbeuteln zu kriegen. Natürlich bewegt man sich da auf einem Spektrum und es funktioniert nicht bei allen, aber am Ende muss nur die Bilanz positiv sein. Ich möchte hier vor allem den politischen Aspekt dieser Aktion in diesem Licht betrachten.
Invisible Children selbst sagt Ausgangspunkt und Kern der Aktion sei, dass Joseph Kony völlig unbekannt sei und sie dies ändern möchten. Wenn wir die leichte Überheblichkeit dieser Prämisse ignorieren und davon ausgehen, dass es korrekt ist, dass den meisten Joseph Kony und die Lord’s Resistance Army nicht bekannt sind (gemeint ist damit wohl kaum Uganda), dann stimmt es wohl, dass es wichtig wäre, diese Menschen zu informieren. Genau hier setzt aber meine Kritik der Aktion an. Der Film informiert nicht primär, sondern weil er emotionalisiert und verkürzt, propagiert er eine Karikatur der Situation. Dies mag mit noch so guten Absichten geschehen (the road to hell is paved with good intentions [Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert] wie es in den USA so schön heisst) am Ende wird Unwissenheit mit einem zu einfachen und vielleicht gar falschen Bild ersetzt.
Da ist zuerst die Kritik zum Ton über das Verhältnis zwischen den USA (aber man könnte auch “der Westen” oder “die industrialisierten Staatengemeinschaft” sagen) und Uganda. “Afrika” wird verwendet als ob es sich bei dem Kontinent um ein Land handeln würde. Dies ist leider allgemein üblich und das zum Beispiel der öffentlich-rechtliche Schweizer Nachrichtenradiosender seit Jahren einen “Afrika-Korrespondenten” (dies beinhaltet interessanterweise nicht den Maghreb) hat, der immer wieder von den “Frauen in bunten Tüchern” berichtet, die irgendwo Wasser holen gehen ärgert mich genau so. Nicht weil es dies “in Afrika” nicht gäbe, aber weil es nur ein kleiner Ausschnitt ist, der aber zum Klischee wird. Es sind die schutzlosen Ugander, die die Hilfe der Amerikaner benötigen um aus dem Schlamassel herauszukommen. Die können ohne “uns” nicht zu ihren Kindern schauen oder Bösewichte schnappen. Das ist eine Variation auf eine zivilisatorische Mission, die man zu Kolonialzeiten so gerne als Begründung für die Politik benutzte. Dass bei Facebook seit gestern viele rassistische Kommentare diesbezüglich aufgetaucht sind (“Let’s get the N….”), zeigt, dass es durchaus die Knöpfe einiger unheimlicher Mitmenschen drückt.
Das zweite grosse Problem ist, dass man Kony als das Böse schlechthin personifiziert. Im Clip kommt das zu tragen, als der Macher seinem Sohn mit einer Foto von Kony erklärt, dass dies einer der “Bösen” (“bad guys”) sei. Der Sohn vergleicht dies sogleich mit “Krieg der Sterne”. Eins solches Schwarz-Weiss Denken hat aber in der vielschichtigeren Realität kein Platz. Ein Reiz von Märchen oder Geschichten, wie Herr der Ringe oder Star Wars ist, dass man genau weiss, wo die Guten sind. Raum für Ambivalenz gibt es nicht. Doch handelt es sich hier nicht um ein Märchen und dementsprechend komplizierter ist alles.
Nun ist Kony tatsächlich ein äusserst unappetitlicher Vertreter unserer Spezies und es wäre wichtig, dass er vor Gericht gestellt wird und für seine schlimmen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Aber die ugandische Armee zum Beispiel, mit welcher Invisible Children arbeiten will, wird auch Folter, Plünderung und Vergewaltigung nachgesagt. Zudem wird suggeriert, dass wenn Kony gefasst würde, das Problem irgendwie gelöst wäre. Als ob alles was in den letzten 24 Jahren an Greultaten begangen wurde, auf Kony zurückgeht. Nun kann man durchaus entscheiden, dass der Zweck in diesem Fall die Mittel heiligt, man sollte dies aber in voller Kenntnis der geheiligten Mittel tun. Wenn der Film Unkenntnis voraussetzt, tut er nichts um diesbezüglich aufzuklären.
Meine dritte Beanstandung betrifft indirekt auch diesen Fokus auf Kony. Der Film suggeriert, die USA müssen irgendwie intervenieren, oder zumindest der ugandischen Armee helfen, Kony zu fassen. Der ganze äusserst komplexe Kontext eines Konfliktes, der mehrere Länder betrifft und seit 24 Jahren andauert, wird völlig ausgeblendet. Je nach Form, könnte eine solche Intervention den Konflikt wieder aufflammen lassen. Dass Kony auf der Flucht ist und vermutlich nur noch einen relativ kleinen Trupp befehligt erfährt man im Film nicht (oder nur zwischen den Zeilen). Das Uganda zwar Interesse an Militärhilfe hat, aber nur ein sehr beschränktes, dem inzwischen eher bedeutungslosen Kony nachzulaufen, erfährt man auch nicht. Das genaue Wie wird (vermutlich bewusst) offen gelassen und kann alles heissen: Vom schlichten Aufrechterhalten der US Ausbilder dort bis zu Drohneneinsätzen oder gar eigenen Kommandos vor Ort. Die Situation ist schlicht verdammt kompliziert und man kann nicht einfach Kony als den bösen Buben brandmarken, einmarschieren um ihn vor den internationalen Strafgerichtshof zu zerren und alle Probleme sind gelöst. Im Gegenteil, man könnte viele Probleme schaffen, die die Situation verschlechtern. Eine übersimplifiziertes Bild der Situation ist da eher gefährlich als nützlich.
Wo liegt dann aber das Problem bei den vielleicht nur guten Absichten der Aktivistinnen und Aktivisten? Da ist die breite Masse die man zum Slacktivism für die Sache motivieren möchte. Einmal dort klicken, einmal jenes “liken”, dort Fan werden, Link verschicken und den Twitter Avatar aus Solidarität ändern. Dies ist kaum ein Aufwand und beruhigt das Gewissen. Ein grosser Teil dieser Gruppe wird aber kaum mehr über den Konflikt wissen als vorher (ausser eben, dass Kony in der Geschichte der Bösewicht ist). Die Taktik und die Strategie bleiben völlig offen und es bedarf blindes Vertrauen in die Verantwortlichen, dass sie mit diesem öffentlichen Druck und Geld im Rücken schon das richtige unternehmen werden.
Gute Absichten alleine genügen nicht. Es gab bestimmt auch viele, die meinten mit Hilfe des US Militärs, die Afghanen von den Taliban und den Irak von Sadam Hussein zu befreien. Beides tatsächlich ehrenhafte Ziele. Was eine fehlende Kenntnis der spezifischen Umstände für Konsequenzen haben kann und dass es immer auch einen Preis zu zahlen gibt, haben wir alle gesehen.
Da schliesst sich der Kreis wieder zum Clip. Der Konflikt sollte tatsächlich einen wichtigeren Platz im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit haben. Der Film füllt diese Lücke aber mit einer Karikatur. Diese ist unter Umständen gefährlicher als die Unwissenheit. Vielleicht ist das für Invisible Children nur ein Mittel um Geld zu sammeln. Dann ist es manipulativ. Vielleicht wollen sie wirklich einfach alles daran setzen, Kony zu erwischen. Das ist aber in dieser Form naiv und je nach gewähltem Mittel gar kontraproduktiv. In beiden Fällen bezweifle ich, dass sie unser Vertrauen und Geld verdient haben.
Aber was also tun? Ist es nicht besser etwas statt gar nichts zu unternehmen? Eine gute Frage auf die ich nur eine halbe Antwort bieten kann. Auf jeden Fall sollte man versuchen informiert zu bleiben und so mitzuhelfen, dass die Region nicht vom politischen Radarschirm verschwindet. Zum Beispiel ist es interessant, dass Invisible Children den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes im Clip so sehr für ihre Aktion einspannen, aber nicht erwähnen, dass die USA nicht Mitglied sind. Das könnte man doch zum Beispiel seinem Senator oder Repräsentanten ebenfalls ans Herz legen. Manchmal erhält man den Eindruck, die Aktion mit dem Fokus auf Kony hätte Rache als Antriebsfeder. Dies ist oft eine schlechter Ausgangspunkt für Gerechtigkeit.
Als kleiner Anfang für die Informationsoffensive hier eine Leseliste von Kritiken der Aktion und zum Konflikt (leider alles auf Englisch):
- Ein Bericht von letzten November zur Situation der Lord’s Resistance Army von der International Crisis Group und die allgemeine Seite zu Uganda.
- Foreign Policy Passport mit guten Überlegungen zur politischen Agenda.
- Der Artikel in Foreign Affairs vom November 2011 zum US Einsatz in Uganda inklusive Kritik an Invisible Children.
- Die Washington Post mit einer milden Kritik zur Kony 2012 Aktion.
- Der kritische Tumblr Visible Children als Reaktion auf die Kampagne.
- Duck of Minerva mit einer Leseliste.
- Ein Kommentar zu gut gemeinter Hilfe von Aussen.
- Ein Kommentar, der den in der Botschaft der Organisation enthaltenen Diskurs kritisiert.
Kommentare (11)