Alle die sich nun schon wie Kinder auf Weihnachten gefreut haben, dass ich den zweiten Teil zu meinem Abstieg in die Abgründe von Handelsverträgen nachliefere, bitte ich um Verzeihung. Der kommt hoffentlich morgen. Damit ihr aber nicht ohne Eintrag ins Bett müsst, möchte ich hier eine Randnotiz zu einem Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung anbringen.

In den Schweizer Medien machte gestern die Nachricht die Runde, dass unsere Justizministerin ihre Angestellten in einen Schreibkurs schickt. Anscheinend waren die Texte ihrer Chefbeamtinnen und -beamten nicht verständlich genug. Dass das ganze natürlich auch ein guter PR Coup für sie ist und sie damit Volksnähe demonstrieren kann, blieb in allen Artikeln, die ich gelesen habe, unerwähnt. Aber das ist hier nicht das Thema.

Die generierte Aufmerksamkeit veranlasste die NZZ dazu heute am Abend einen Kommentar nachzuschieben. Sie verortet darin auch gleich einen Schuldigen für die sprachlich ungelenken Staatsdienerinnen und -diener: Die Schweizer Universitäten.

Die offensichtliche Ironie des Kommentars hat mich dazu bewegt, darüber zu bloggen. Eigentlich hat der Kommentator mich schon abgehängt, als er den direkten Sprung von Administrationsdeutsch zu den Schweizer Universitäten machte. Weder weiss man, ob das Problem tatsächlich existiert und in der Schweizer Verwaltung weit verbreitet ist, noch wie viele der Betroffenen tatsächlich einen Hochschulabschluss haben (beim Anti-Intellektualismus der Schweizer Politik, ist das nicht selbstverständlich), noch ob das ein allgemeines Problem ist (ich nehme an, dass im Justizdepartement noch mehr Juristinnen und Juristen arbeiten als sonst in der Verwaltung, wo sie auch schon zahlreich sind).

Der Autor argumentiert auschliesslich mit Einzelbeispiele und persönliche Erfahrungen:

An Unis ist eine bizarre Kultur verbreitet: Akademische Texte werden oft bemängelt, wenn sie komplizierte Sachverhalte einfach erklären. Vor allem in Dissertationen und Habilitationsschriften gibt es einen Zwang zur Kompliziertheit. Akademisch belohnt wird, wer monströse Formulierungen und viel Fachjargon verwendet. Welche Blüten dieses System treibt, erlebte eine Anthropologie-Studentin unlängst an der Universität Freiburg. Die Frau, die nebenher als Journalistin arbeitete, wurde vom Professor dafür kritisiert, dass sie in Seminararbeiten zu kurze Sätze formuliere.

Nun das ist nicht meine Erfahrung (und ich und der Autor scheinen die selbe Universität besucht zu haben).1 Ich habe hier schon die Notwendigkeit von Jargon verteidigt. Eine Unterscheidung zwischen Texten, die sich an ein Fachpublikum richten und solche die für eine breite Öffentlichkeit bestimmt sind, wird im Kommentar nicht vorgenommen. Tatsächlich fragt man sich, ob der Journalist irgend etwas substantielles zu bieten hat um seine Behauptungen zu untermauern, ausser dass er damit allgemein weit verbreitete Klischees anspricht und viele in dem bestätigt, was sie vorher schon zu wissen glaubten. Man erhält fast den Eindruck, dass hier eine Abrechnung stattfindet.

Ich könnte jetzt natürlich den Kommentar mit meinen Erfahrungen zu demontieren versuchen, Beispiele bringen, die dem Bericht des NZZ Journalisten widersprechen und behaupten, dass man an “den” Schweizer Universitäten sehr wohl mehr als zwei Vorträge halten muss und Kommunikation gefördert wird (manchmal). Ich könnte gerade die Mehrsprachigkeit anführen, als Chance aber auch als Hinderniss (nicht zuletzt für die Schweizerdeutschsprachigen). Das tue ich aber nicht. Weil ich habe an der Universität gelernt, dass Einzelfälle und persönliche Erfahrungen keine allgemeinen Schlüsse zulassen. Ich habe dort gelernt, dass man transparent mit seinen Daten und Quellen sein soll, aus denen man Schlüsse zieht. Und ich habe dort gelernt zu differenzieren und argumentative Kausalketten klar darzustellen. Anscheinend kann man vom Autor nicht gleiches behaupten (oder er hat es wieder vergessen). Dies sind sogar noch fundamentalere Konzepte die Universitäten vermitteln sollten, als eine geschliffene Sprache. Vielleicht hat er also recht und es gibt tatsächlich ein Problem mit dem Schweizerischen Bildungssystem. Oder ist er doch nur ein Einzelfall?

1 Meine Erfahrung ist vor allem, dass es kaum jemanden kümmtert. Weder werden Texte verkompliziert noch wird man zum Vereinfachen angehalten, solange der Text für jemanden vom Fach verständlich ist. Wenn alles in einer Fremdsprache passiert (zuerst Französisch und später dann Englisch bei mir), wird man auch pragmatisch.

Nachtrag: Auf Twitter hat sich Markus Häfliger, der Autor des Kommentars, zu Wort gemeldet. Er sagt, dass die beabsichtigte Hauptaussage eine andere war, als wie ich den Kommentar verstanden habe: “Dass [die Unis] das aktiv/bewusst fördern, glaube ich nicht. Gute Sprache ist vielen profs/unis einfach egal”. Dem will ich, zumindest was die Deutschschweiz anbelangt, nicht widersprechen (für die Romandie ist es vielleicht schon wieder etwas komplizierter, aber nicht unbedingt in einem positiven Sinn). An dieser Aussage hätte ich mich nicht so gestossen. Friede, Freude, Eierkuchen und ein Hoch auf Twitter.

Kommentare (8)

  1. #1 Spoing
    Juli 25, 2012

    Sehr schön war dazu auch die Überschrift bei BILD
    “Professoren alamieren: Studenten können nicht mehr richtig schreiben”
    Aber wenigstens ist den Lesern sofort aufgefallen, dass dort ein “r” vergessen wurde.
    Konsequent wäre also morgen die Überschrift:
    “Leser alarmieren: Journalisten können nicht mehr richtig schreiben!”

  2. #2 Florian Aigner
    Juli 25, 2012

    Ich kann den Ärger über den NZZ-Kommentar nicht nachvollziehen. Dass im angelsächsischen Raum viel stärker als in Zentraleuropa auf Klarheit im Ausdruck, auf Verständlichkeit und Präsentationstechnik gelegt wird, ist eine Beobachtung, die nicht nur die Autorin dieses Kommentars gemacht hat, sondern viele Leute – darunter auch ich. Auch Ali Arbia bestätigt das in seiner Fußnote indirekt, wenn er schreibt, dass auf diese Dinge an seiner Universität einfach kein Wert gelegt wird. Ist das nicht traurig genug?

    Der NZZ-Journalistin vorzuwerfen, sie argumentiere nur mit eigenen Erfahrungen und anekdotischer Evidenz finde ich etwas unfair. Ein Zeitungskommentar muss natürlich sauber argumentieren, aber er ist kein wissenschaftliches Paper. Man darf in einer Zeitung über seine Beobachtungen berichten, ohne eine saubere sozialwissenschaftliche Studie dazu verfasst zu haben.

    https://www.scienceblogs.de/naklar/2012/05/post.php

  3. #3 ali
    Juli 25, 2012

    @Florian Aigner

    Ein Teil des Ärgers erklärt sich dadurch, dass ich den Verdacht hege, dass der Kommentar viele (die nie einen Schweizer Vorlesungsaal von innen gesehen haben) alleine deshalb überzeugen wird, weil er in der Schweiz gängig Vorurteile betreffend Elfenbeinturm usw. bedient. Die Aussage des Kommentars ist dazu nicht, dass darauf kein Wert gelegt wird sondern, dass man zum unverständlichen Schreiben geradezu angehalten wird. Da spielt sicher auch etwas Kontext und Schweiz-spezifischer Ballast mit.

    Ich glaube auch, dass es einen kulturell Unterschied gibt und das gerade auf Englisch eine andere Schreib- und Erklärkultur existiert. Den grössten Teil meines Studiums bewegte mich in eben dieser Welt (und ich habe in der Schweiz studiert).

    Ich erwarte auch nicht, dass in einem Zeitungskommentar wie in einer Fachpublikation argumentiert werden muss. Mein Punkt war, dass ich finde, dass persönliche Erfahrungen und Anekdoten eine etwas schwache Argumentationslinie sind um das ganze Schweizer Universitätswesen zu bashen und zu suggerieren, dass sich die Wissenschaft sprachlich im Elfenbeinturm verschanzt. Teil der gelobten Rhetorik-Kurse in den USA ist auch korrektes Argumentieren.

    P.S. Du hast mich etwas verunsichert mit der weiblichen Form. Der Autor heisst aber “Markus”.

  4. #4 MartinB
    Juli 25, 2012

    Also mir fällt schon auf, dass viele Wissenschaftler (und ja, das könnte ich mit mehr als 2 oder auch mehr als 10 Beispielen belegen) einen Hang zu seltsamen Formulierungen haben – da heißt es gern mal
    “Ein Anstieg der Messwerte der Spannung ist zu beobachten.”
    statt
    “Die Spannung steigt an”

    Wenn ich so etwas bemängele, höre ich gern “Aber so klingt das doch wissenschaftlicher.”

  5. #5 ali
    Juli 25, 2012

    @MartinB

    Ich behaupte auch nichts anderes. Aber wie geschrieben, ich glaube die Relevanz dieser Tendenz ist abhängig vom Publikum das angesprochen wird. Auch wenn ich einverstanden bin, dass es schöne wäre, wenn die Unis auch die Kommunikation der Resultate vermitteln würde (und ich auch nicht behaupte, sie täte dies), denke ich nicht, dass dies ihre primäre Aufgabe ist. Das man an den Unis darauf getrimmt werde, so zu formulieren, halte ich für einen Vorwurf der schwer genug wiegt (Elfenbeinturm und so…), dass man doch ein bisschen etwas haben sollte, das dies zeigt. Nur weil die Aussage des Autors sich auch mit unseren Eindrücken deckt (und da nehme ich mich für Teile davon nicht aus), heisst das nicht, dass wir es einfach als korrekt akzeptieren sollten.

    Es gibt eine (vielleicht gar Mehrheit) von Forschenden, die für das breite Publikum schlecht formuliert. Aber ist das wegen einer “bizarren Kultur” an den Unis. Heisst das, dass akademische Texte “bemängelt werden, wenn sie komplizierte Sachverhalte einfach erklären” und gibt es in “Dissertationen und Habilitationen einen Zwang zur Kompliziertheit? Wird man tatsächlich “akademisch belohnt” wenn man “monströse Formulierungen und viel Fachjargon verwendet”? Ich glaube diese Vorwürfe gegen wesentlich weiter als ein blosses Wissenschaftler können nicht kommunizieren/formulieren. und das hat mich etwas geärgert. Nicht zuletzt wegen was ich im letzten Kommentar schon geschrieben habe.

  6. #6 Sven Türpe
    Juli 26, 2012

    Eine Unterscheidung zwischen Texten, die sich an ein Fachpublikum richten und solche die für eine breite Öffentlichkeit bestimmt sind, wird im Kommentar nicht vorgenommen.

    Auch für Fachpublikum kann man klar oder weniger klar schreiben. Das ist keine Frage des unvermeidlichen Jargons, sondern des Stils, der Aufbereitung und der investierten Mühe. Schreibe ich meine Gedanken so herunter, wie sie mir gerade in den Sinn kommen, oder sortiere ich sie so, dass sie leicht nachzuvollziehen sind? Setze ich voraus, dass meine Leser jeden einzelnen Fachbegriff kennen und exakt in derselben Weise verwenden wie ich, oder nehme ich nur ein Basisvokabular als selbstverständlich hin und erkläre speziellere Fachbegriffe kurz? Mache ich die Struktur meines Gedankenganges auch demjenigen verständlich, der nicht alle Details nachvollziehen kann oder möchte? Kann ich überhaupt das Wesentliche von den Details trennen? Wie stark nehme ich das Kurzzeitgedächtnis meines Lesers in Anspruch? Zimmere ich Sätze mit multiplen Referenzen in die Umgebung oder eine liefere ich eine Folge klarer Aussagen? Benutze ich Abkürzungen, vielleicht gar unübliche, oder mache ich mir die Mühe, Bezeichnungen jedesmal auszuschreiben? Gehe ich dort ins Detail, wo es darauf ankommt, oder versuche ich lediglich, mit meiner Detailkenntnis anzugeben? Verheddere ich mich in Passivkonstruktionen oder lasse ich die Gegenstände meiner Betrachtung handeln? Demonstriere ich meine Gedanken an nachvollziehbaren Beispielen oder stelle ich sie abstrakt in den Raum? Wieviel Struktur bringe ich mit Zwischenüberschriften, Aufzählungen, Hervorhebungen, usw. in den Text?

  7. #7 Sven Türpe
    Juli 26, 2012

    “Ein Anstieg der Messwerte der Spannung ist zu beobachten.”
    statt
    “Die Spannung steigt an”

    Dieses Beispiel finde ich etwas unglücklich. Zwischen Beobachtungen (Anstieg der Messwerte) und ihrer Interpreation (Anstieg der Spannung) zu unterscheiden, ist oft wichtig. Bei Spannungsmessungen vielleicht nicht mehr, in bahnbrechenden Untersuchungen aber schon.

  8. #8 ali
    Juli 26, 2012

    Ich habe nach einer Twitterkonversation mit dem Autor einen Nachtrag hinzugefügt.