Mitt Romney hat auf seiner Auslandreise einen sicheren Schritt nach dem anderen in diverse Fettnäpfchen gemacht. Angefangen hat er mit undiplomatischen (wenn auch korrekten) Aussagen zur Organisation der olympischen Spielen. Er hat dann seinen Hürdenlauf in Israel und Polen fortgesetzt und hat auch dort ein paar der Hürden einfach überrrannt statt übersprungen.

Aber ich will hier die ganzen Fehltritte, Missverständnisse und undiplomatischen Scharmützel gar nicht nochmals auflisten. Das haben genug andere schon getan. Eine gute Zusammenfassung findet man zum Beispiel hier bei der NZZ von Niklaus Nuspliger. Es ist vielleicht sogar etwas unfair, dass nun die von der Sun zugegebenermassen gut getextete Schlagzeile “Mitt the Twit” (in etwa “Mitt die Dumpfbacke”) überall die Runde macht. Romeny spielt intellektuell ziemlich sicher in einer anderen Liga als einige sogar zum Präsidenten gewählten Politkern. Immerhin habe ich bei der Geschichte dank dem Telegraph ein neues Wort gelernt: Wazzock.

Ich wollte vor allem eine Aussage von Romney hier kurz diskutieren:

Mitt Romney told Jewish donors Monday that their culture is part of what has allowed them to be more economically successful than the Palestinians (…) “As you come here and you see the GDP per capita, for instance, in Israel which is about $21,000, and compare that with the GDP per capita just across the areas managed by the Palestinian Authority, which is more like $10,000 per capita, you notice such a dramatically stark difference in economic vitality. (…) And as I come here and I look out over this city and consider the accomplishments of the people of this nation, I recognize the power of at least culture and a few other things.”

Mitt Romney sagte jüdischen Spendern am Montag, dass ihre Kultur ein Grund dafür sei, warum sie wirtschafltich mehr Erfolg als die Palästinenser haben (…) “Wenn man hier her kommt und man sich beispielsweise das pro Kopf Bruttoinlandprodukt ansieht, in Israel ist es etwa 21’000$ und nun vergleicht man dies mit dem anliegenden Gebiet welches von den Palästinensichen Autonomiebehörden geführt wird, dieses bewegt sich mehr um die 10’000$ pro Kopf, der drastische Unterschied in der ökonomischen Vitalität ist nicht zu übersehen (…) Wenn ich also hier her komme und über die Stadt schaue und über die Errungenschaften der Menschen dieser Nation, erkenne ich die Macht der Kultur und einiger anderen Dinge”

Die Reaktionen darauf waren heftig (eine ähnliche Diskussion um ein solche schlechtes Argument gab es übrigens auch einmal hier im Blog). Das die Palästinenser sich angegriffen fühlten ist nicht weiter erstaunlich (sie bezeichneten die Aussage als “rassistisch”). Hier soll es aber um jene Reaktionen gehen, die Drezner als den “Albtraum eines Forschenden in den Sozialwissenschaften” nannte. Da Romney für diese Aussage kritisiert wurde (ja auch das CIA World Factbook weist daraufhin, dass die von der Autonomiebehörde geführten Gebiete durchaus grössere Probleme als ihre Kultur haben, die ihren ökonomischen Output erklären könnten), verteidigte er sich. Er liess das “und einige andere Dinge” fallen und sprach nur noch von Kultur. Er lieferte auch noch Autoren nach, die gemäss seiner Meinung eben diese These stützen.

Nun meldete sich einer nach dem anderen dieser Autoren zu Wort um festzustellen, dass Romney nichts von ihren Büchern respektive Thesen verstanden hätten. Unter ihnen Jared Diamond in der New York Times (Guns, Germs and Steel) oder Daron Acemoglu und James Robinson in Foreign Policy (Why Nations Fail). Drezner vergleicht die Situation mit der Kinokassen-Szene aus Woody Allens “Annie Hall”. Ein sehr schönes Bild wie ich finde.

Bei der Frage wie bestimmend Kultur für wirtschaftlichen Erfolg ist, sind wir bei einem Klassiker der Politikwissenschaften angelangt und auch darum ist die Diskussion interessant. Das Problem mit dem Konzept Kultur ist oft, dass es unglaublich schwammig und schlecht definiert ist. Das ist vermutlich auch ein Teil des Reizes, dass solche kulturelle Argumente immer wieder gemacht werden. Es kann alles bedeuten, was man gerne möchte und die Mobilität der Torpfosten ist im Argument schon enthalten. Man ist sich aber weitgehend einig, dass der entscheidende Faktor in der Regel Institutionen sind. Institutionen im politikwissenschaftlichen Sinn. Das heisst also Regeln oder Praktiken, die sich halten und das Verhalten andere Akteure bestimmt und/oder prägen. Kultur wäre eher etwas wie Wert und Überzeugungen (siehe dazu den verlinkten Artikel von Acemoglu und Robinson). Die autonomen Gebiete unter der Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde sind also eher ein gutes Beispiel für die Bedeutung von Institutionen und nicht Kultur.

Zumindest hat Romneys wenig durchdachte, faktisch dünn unterlegte, sich auf schlecht definierte Konzept stützende und sich auf ein denkbar schlechtes Beispiel beziehende Aussage nun eine interessante Diskussion ausgelöst. Selten bekommt man die Möglichkeit, diese Debatte breiter führen zu können und etwas sozialwissenschaftlichen Hintergrund für oft einfach dahingeworfene Begriffe wie Kultur (“wir wissen ja was es bedeutet”) einzubringen.

Zum Schluss aber noch eine andere politische Randnotiz: Ebenfalls interessant finde ich, wie immer wieder erwähnt wird, dass Romneys Patzer nicht so schlimm seien, dass US Präsidentschaftswahlen nicht mit Aussenpolitik gewonnen werden. Ich glaub das stimmt zwar. Aber es ist ein Teil des Bildes des Kandidaten. Er hat diesen Auslandsabstecher bestimmt auch nicht geplant weil es völlig irrelevant ist (dann hätte er lieber die Zeit in den USA auf Kampagnen-Pfaden verbracht). Es mag nicht entscheidend sein, aber er wollte staatsmännisch und weltgewandt erscheinen und sich als Freund Israels profilieren. Ersteres scheiterte ziemlich klar. Wie sehr es das zweite Ziel beeinflusst hat, ist schwer zu sagen.

Kommentare (5)

  1. #1 Jörg
    August 3, 2012

    Der Trip nach Israel war auch klar ein Angriff auf Obama (neben den Bergen an Millionen in Spenden, die er da eingetrieben hat). Kurz vor der Reise wurde Obama naemlich angegriffen, dass er ungefaehr ueberall hin gereist sei ausser Israel.

  2. #2 threepoints...
    August 5, 2012

    “Romeny spielt intellektuell ziemlich sicher in einer anderen Liga als einige sogar zum Präsidenten gewählten Politkern. ”

    -> Kann man das so sicher sagen?

    Was also würde das denn bedeuten, so er Präsident werden würde?

  3. #3 mutmaßlicher Abitourist
    August 5, 2012

    Au weia. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Romney zwischen den Zeilen das jahrhundertealte und -bewährte antisemitische Bild des “raffgierigen Juden” geparkt und in einen seiner Audienz genehmen Kontext gesteckt hat. Wenn da nicht mal in jemandes Hinterkopf die stumpfe Gleichung steckt, “jahrhundertelang ghettoisiert? Jahrhundertelang Geld- und Bankgeschäfte getätigt? Das muss Teil der Kultur dieses Volkes sein!”.

    Sorry, falls das zu paranoid klingt, aber der Typ riecht braun.

  4. #4 Jack
    August 5, 2012

    Der Mann macht Sarah Palin wirklich ernsthafte Konkurrenz, wenn es um undurchdachte Aeussrungen und an den Haaren herbeigezogene Thesen geht. Wuerde der gute Frank Zappa noch leben, haetten Beide eine gute Chance darauf, dass ihnen ein eigener Song gewidmet wuerde.

    Auch gut:

    https://www.thedailyshow.com/watch/tue-july-31-2012/democalypse-2012—national-geogaffe-ic—romney-abroad?xrs=synd_facebook

  5. #5 Stöver Hermann
    August 10, 2012

    @Jack: Tolle Episode. Kann ich jedem nur ans Herz legen.

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