Vor ein paar Tagen fand sich beim Scientific American ein Blogeintrag mit dem Titel Humanities aren’t science. Stop treat them like one. Die Autorin (die an einer Doktorarbeit in Psychologie arbeitet) kritisiert darin, dass Sozial- und Geisteswissenschaften die Naturwissenschaften nachahmen, aber halt keine “harten” Wissenschaften seien. Sie sollen dies endlich akzeptieren und sich entsprechend anpassen. Eine kurze Replik ist angebracht.
Gleich zum Einstieg muss ich festhalten, dass es mir nicht ganz klar ist was die Autorin genau als These vertritt: Manchmal scheint es sich um eine Methodenkritik zu handeln (primär quantitativer Ansätze in Nicht-Naturwissenschaftlichen Fächern), manchmal scheint es nur eine Kritik von zu weit gehenden Schlussfolgerungen in gewissen Studien zu sein, einige Zeilen lesen sich wie sie vor allem einige Geisteswissenschaften kritisiert und manchmal betrifft es wiederum alle Geistes- und Sozialwissenschaften. Auch auf die Gefahr hin in Anbetracht dieser unklaren Kritik dem Eindreschens auf einen Strohmann bezichtigt zu werden, finde ich ist der Post eine unfaire Kritik, vielleicht nicht zuletzt wegen dieser sehr mobilen Zielscheibe.
Meine Kritik an der Kritik ist auf drei Ebenen: Da ist zuerst die unklare Begrifflichkeit, die die Bloggerin verwendet. Zweitens stören mich ein paar spezifische Argumente die sie vorbringt (so sehr, dass ich versucht bin das Wort in Anführungs- und Schlusszeichen zu setzen). Drittens und auf einer allgemeineren Ebene werfe ich der Autorin vor, eine Zweiteilung vorzunehmen, die so klar gar nicht existiert.
Da ist also zuerst die Verwirrung um Begriffe geklärt werden. Auf Englisch wird science (Wissenschaft) meist für die Naturwissenschaften verwendet. Es ist daher zugegebenermassen etwas verwirrliche, dass Begriffe wie Social Science oder Poltical Science trotzdem dieses Wort angefügt haben. Die Autorin scheint dieser Verwirrung zum Opfer zu fallen, scheint sie oft eine breitere Definition für science zu akzeptieren. Mehrmals grenzt sie hard science von anderen ab. Wenn es aber “harte Wissenschaften” gibt, dann gibt es auch die weichen. Science wird also für diverse Disziplinen von ihr verwendet und impliziert als Begriff akzeptiert. Dies führt die im Titel enthaltenen These ad absurdum und es bleibt unklar, was für sie science genau ist. Erschwerend kommt dazu, dass sie für ihre Argumentation nicht zwischen Humanities (Geisteswissenschaften) und Social Science (Sozialwissenschaften) zu unterscheiden scheint.
Auf einer spezifischeren Ebene habe ich am Eintrag auch Dinge zu bemängeln. Wenn immer jemand Forschung mit dem Doppelargument “was bringt uns das” und “Verschwendung von Steuergeldern” kritisiert, gehen bei mir Warnlampen an. Nicht weil ich der Meinung wäre, dass öffentlich finanzierte Forschung nicht hinterfragt werden soll und muss, sondern weil es meist ein populistisches Blanko-Argument ist, dass von Leuten vorgebracht wird, die oft nicht viel von der kritisierten Forschung verstehen. Auch stellte es jede Form von Grundlagenforschung grundsätzlich in Frage (auch die Naturwissenschaften werden oft mit diesem Doppelargument in Frage gestellt). Auf diese wichtige Debatte wird im Post nicht eingegangen. Die Unterstellung der Steuergeldverschwendung wird mit der rhetorischen “Was bringt es”-Frage einfach so in den Raum gestellt, nach dem verschwörerischen Motto, wir kennen die Antwort ja und sind uns alle einig.
Dann wäre da das von der Autorin kritisierte Papier. Eine soziale Netzwerkanalyse von mythologischen Erzählungen im Vergleich mit moderner Fiktion. Ich habe diese Studie (wie die Autorin, wie ich verdächtige) nicht gelesen. Trotzdem ist es offensichtlich, dass die Autorin die Studie primär auf der Basis ihrer vorgefassten Meinung kritisiert. Erstens scheint sie ein Problem mit der dafür verwendeten “sehr komplizierten Mathematik”. Doch wenn diese dafür missbraucht wurde oder die Autorinnen oder Autoren der Studie diese nicht verstanden haben, dann sollte diese Kritik spezifisch gemacht werden. Dies einfach anzunehmen ist überheblich und unfair. Ich finde auch die Fragestellung des Papiers eigentlich interessant. Es entsteht der Eindruck, dass was die Blogautorin vermutlich kritisieren will, ist nicht primär die Methode, sondern die (angeblichen?) Schlussfolgerungen der Studie: Dass dies ein Hinweis sei, dass die Mythen auf echten historischen Begebenheiten beruhen würden.
Ich verstehe auch nicht, was an der Verwendung von statistischen Methoden in der Psychologie und den Politikwissenschaften (im Eintrag in diesem Zusammenhang genannte Fächer), handelt es sich doch um ein sehr nützliches Instrument. Wird damit in diesen Disziplinen Schindluderei betrieben? Ja. Gibt es viele, die die Methoden benutzen ohne sie wirklich zu verstehen? Sicherlich. Doch das selbe gilt zum Beispiel oft auch in der medizinischen Forschung. Soll sie deshalb auf statistische Methoden verzichten? Niemand ausser vielleicht Homöopathen würden dies ernsthaft verlangen, da es trotz aller Unzulänglichkeiten, das beste ist, was uns zur Verfügunge steht. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, dass die Art und Weise wie die Autorin diesbezüglich den Begriff proof (Beweis) verwendet, nahelegt, dass sie diejenige ist, die diese Instrumente nicht ganz verstanden hat. Ich finde in diesem Kontext von “Beweis” zu schreiben eher befremdlich.
Zum Schluss noch die dritte Kritikebene: Die meines Erachtens falsche Dichotomie zwischen “harten” und “weichen” Wissenschaften. Ich stelle nicht in Frage, dass sich Untersuchungsobjekte wie Sozialverhalten oder literarische Texte sich klar von solchen wie Naturgesetzen oder chemischen Prozesse unterscheiden. Nur ist es nicht ein entweder oder. Die Mathematik kann diesbezüglich vielleicht auf die Physik runterschauen, welche wiederum die Geologie belächelt, die sich über der Biologie sieht, welche “härter” als die Archäologie ist, die sich wissenschaftlicher als die Ökonomie gibt, etc. In dieser Nahrungskette gibt es keine klaren Trennlinien, Ränder überlappen und die Methoden müssen der spezifischen Fragestellung angepasst und die Schlussfolgerungen entsprechend vorsichtig formuliert werden. In all diesen Fächern gibt es schlechte Forschung und überinterpretierte Resultate. Diese können aber nicht allgemein an der Kombination von Disziplin und verwendeter Methode festgemacht werden. Dies scheint die Blogautorin jedoch zu versuchen.
Die wissenschaftliche Methode schliesst in meinen Augen quantitative Ansätze ebenso mit ein wie qualitative. Wichtig ist die Transparenz, die Resultate nachvollzieh- und kritisierbar macht. Die Methode ist eine gemeinsame Sprache (und für viele ist das Abstrahieren bis auf das Niveau von Formeln und Zahlen eine solche). Eine derartige Kritik offeriert uns die Autorin des Blogposts aber nicht. Ihr reicht die Verknüpfung einer Methode mit einer ganzen Gruppe von Disziplinen. Doch ist nicht oft die gegenseitige Befruchtung an den Rändern verschiedener Disziplinen was zu den interessantesten und originellsten Forschungsansätze führt? Der Autorin scheint mehr einer Art methodischer Getthoisierung der Disziplinen vorzuschweben.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich teile die Kritik, dass nicht zuletzt in meinem Fach viel mit Statistiken zu blenden versucht wird und dass der Druck in Richtung quantitativen Methoden oft nicht zu besseren Resultaten führt, sondern eher das Gegenteil der Fall ist. Diese Kritik muss aber auf die spezifische Forschung bezogen werden. Oder eine disziplinbezogen Diskussion über methodische Prioritäten und Nutzen soll geführt werden (etwas was seit Jahren zum Beispiel in den Politikwissenschaften stattfindet). Was sicher nicht konstruktiv ist, ist ein Rundumschlag, der gleich einem ganzen Satz an Disziplinen der Nutzen quantitativer Forschung absprechen möchte. Das ist dann eher “Methode Broder”: Hauptsache provoziert, ob viel Ahnung des kritisierten Objektes oder nicht. Was Aufmerksamkeit schafft und sein applaudierendes Publikum findet muss seine Berechtigung haben. Eine wirkliche Diskussion bleibt hingegen leider auf der Strecke.
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