Der US Wahlkampf ist in vollem Gang. Täglich wird darüber berichtet. Trotzdem stellt sich diese Gefühl von Drama und Spannung viel zögerlicher ein, als dies vor vier Jahren der Fall war. Zumindest hier im Blog, gab es 2008 sogar eine Sonderseite mit (fast) täglichen Updates. Dabei sprechen die Medien allgemein von einem “Kopf an Kopf”-Rennen.
Jedes Auf und Ab, jedes kleinere und jedes grössere Ereignis, jeder Patzer und jede neue Grundsatzrede wird immer sofort von unzähligen Expertinnen und Experten kommentiert und (oft peseudo-)analysiert. Was bedeutet das für die Wahlchancen von Obama/Romney? Wie müssen die Kampagnen reagieren? So bedeutungsvoll wie jeder kleine Umfragehüpfer angeblich zu ist, so schnell sind diese Analysen wieder vergessen. Vielleicht zum Glück für die Pundits. Würde sich jemand erinnern, würde man sie danach wohl oft nicht mehr so ernst nehmen.
Die letzte Umfrage (die natürlich in den Kontext der Parteinkongresse gestellt wurden) zeigt einen leichten Vorsprung für Obama. So berichtet die NZZ von einem 46% zu 44% Vorsprung für den Amtsinhaber. Dies ist nicht gerade viel betrachtet man die Unsicherheiten die mit solchen Umfragen immer verbunden sind.1 Es ist aber nicht allzu lange her, als es noch hiess, beim aktuellen Wirtschaftsgang und den Arbeitslosenquoten hätte Obama nahezu keine Chance auf Wiederwahl. Die New York Times hatte einen Rechner ins Netz gestellt, als die Nomination des Republikanischen Kandidaten respektive der Kandidatin noch völlig offen war. Bei der aktuellen Wachstumsrate (1.7%) und einer 45% Zustimmung zur Amtsführung für Obama gibt dieser Romney eine 61% Wahrscheinlichkeit zu gewinnen (der Rechner schlägt leicht aus wenn man diese Zustimmungsrate verändert und genau diese ist in den letzten Tagen in die Höhe geschnellt). Es erinnert ein wenig an die Vorhersagen in der Fussballberichterstattung: “Bis auf eine Ausnahme wurde Team XY noch nie in den letzten 30 Jahren bei Regen in einem Rückspiel geschlagen, wenn die gegnerische Mannschaft nach den ersten 50 Minuten es nicht geschafft hat, das erste Tor zu erzielen (ausgenommen es war ein Elfmeter)”. Es ist nicht selten die nächstbeste Alternative zum Kaffeesatzlesen.
Die Medien berichten natürlich lieber über ein dramatisches Rennen. Aber am Ende ist es nicht eine direkte Stimmenmehrheit, die die Wahl sichert, sondern die Anzahl Elektorenstimmen. Diese sind zwar mehr oder weniger proportional zur Bevölkerung der Staaten verteilt, aber es könnte trotzdem sein, dass ein Kandidat eine rein numerische Stimmenmehrheit erhält, aber die Wahl wegen dieser Wahlleute-Stimmen trotzdem verliert. Schaut man sich diese Stimmen an, sieht es für Obama wesentlich besser aus.
Screenshot von New York Times FiveThirtyEight Blog: Election Forcast
Die New York Times hat ein nettes Tool mit dem man seine eigenen Szenarien basteln kann (und eine ganze Liste von solchen Seiten findet man bei meinem fast-Namensvetterblog, der sicherlich in Sachen Umfragen wesentlich kompetenter ist als ich). Dunkelblau und dunkelrot sind die Staaten, die nahezu sicher sind (“nahezu” heisst, sollte sich der Kandidaten nicht plötzlich als Abtreibungsarzt entpuppen, der in einem Al-Kaida Trainingslager war, sich die Reise mit Drogendeals finanziert hat und sich den Weg zur Kandidatur mit Orgien für die Parteigrössen erkauft hat). Heller diejenigen Staaten, die eine klare Tendenz zeigen, aber zumindest theoretisch noch kippen könnten. Gelb sind dann die sogenannten Battle States wo das Rennen noch völlig offen ist: Colorado, Florida, Ohio, Iowa, New Hampshire, Nevada, Virgina, Wisconsin. Auf diese Staaten wird von beiden Kampagnen das grosse Geld geworfen werden und dort wird sich ziemlich sicher entscheiden, wer die nächsten vier Jahre ins Weisse Haus ziehen wird. Wie man an den Zahlen leicht erkennen kann, hat Romney eher mit Gegenwind zu kämpfen. Selbst in der schlechtesten Prognose für Obama, führt er noch mit 201 zu 191 (mit 146 offenen Elektorenstimmen)
Obama hat noch einen weiteren Trumpf in der Hand, der vielleicht zugunsten eines spannenderen Rennens unterbewertet wird. Wahrnehmungen von Kandidaten werden in der Regel ganz am Anfang geprägt. Es ist viel schwieriger jemanden der schon vier Jahre regiert hat, in der öffentlichen Wahrnehmung neu zu definieren. Dies wird die grössere Kriegskasse die Romney zur Verfügung steht, wesentlich weniger effektiv machen, als das sie gegen eine noch nicht bekannte Kandidatin oder Kandidaten wäre.
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