In den letzten zwei Tagen las man häufig die Schlagzeile: “Proteste in islamischen Ländern wegen Anti-Islam Film.” Für viele ist dies nur eine weitere Bestätigung der Dünnhäutigkeit und Gewaltbereitschaft der Muslime. Nichts neues seit den Protesten gegen die dänischen Karikaturen also: Westliche Meinungsfreiheit kollidiert mit islamischen Autoritarismus.
Trotz redlicher Bemühungen vieler Medien werden die Proteste primär durch diese Linse (Meinungsfreiheit gegen Islam) verstanden und dargestellt. Die Proteste finden in islamischen Ländern statt, der Film ist aber das Machwerk eines Individuums aus einem Land mit einem Namen, welches nicht primär als christlich definiert wird. Die Kernbotschaft, die beim durchschnittlich interessierten Publikum vermutlich hängen bleibt, ist ein weiterer Legostein für den Bau des nicht wirklich existierenden Zusammenprall der Kulturen.
Bevor ich mit meiner Kritik beginne, möchte ich aber eine Sache aus dem Weg räumen: Weder der Islam noch eine andere Religion sollten ein Recht haben, wegen ihrer Befindlichkeiten von allem was ihnen als diffamierend oder blasphemisch vorkommt, per Gesetz geschützt zu werden. Auch wenn es sich um miserable Satire oder absichtliche Provokationen handelt. Irgendjemand wird sich immer in irgendwelchen religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Lebt damit und vertraut darauf, dass euer allmächtiger Gott die Sache schon selber regeln kann. Ausserdem ist geistlose Satire kein Verbrechen. Nicht in einem juristischen Sinn zumindest.
Aber einmal abgesehen davon, dass auch Christen schon vor nicht sehr langer Zeit Molotow-Cocktails geworfen haben, wegen eines vermeintlich blasphemischen Films, Religion als Erklärungfaktor für die Proteste (damals wie heute) greift viel zu kurz und verschleiert Politik und Kontext mehr, als das sie erklären würde. Zuerst zum Kontext. Gestern hat Blake Hounshell, ein Redakteur bei Foreign Policy und meist durchaus intelligenter Kommentator des Weltgeschehens folgendes getwittert:
Headline you will never see: Thousands of angry Jewish-Americans storm Egyptian embassy to protest anti-Semitic film.
— Blake Hounshell (@blakehounshell) September 14, 2012
Diese schlechte Analogie illustriert die Schieflage der Wahrnehmung dieser Ereignisse gut. Einmal abgesehen davon, dass ja keine “wütenden US amerikanischen Muslime” eine Botschaft gestürmt haben, ignoriert sie die völlig anderen Umstände. Die Aussage ist (wenn wir das Wort “niemals” nur rhetorisch und nicht buchstäblich verstehen) plausibel. Aber man könnte genau so sagen:
Schlagzeile die wir nie sehen werden: Pakistanis bringen Familie in den USA mit unbemannter Drohne um. Militante Regimegegner im Haus vermutete.
Es ist offensichtlich, warum dies sehr unwahrscheinlich ist. Der aktuelle geopolitische, ökonomische und technische Kontext erlaubt es Pakistan gar nicht, so etwas zu tun. Diese Aussage schafft kein moralisches Äquivalent, es erklärt nichts und bringt uns keine neuen Einsichten. So viele Faktoren werden verdreht, dass sie wertlos ist. Und nur weil die Aussage darum “korrekt” ist, macht das die Pakistaner nicht zu besseren Menschen.
Der zweite Punkt der in der Berichterstattung meines Erachtens untergeht, ist die Politik hinter den Protesten und Botschaftserstürmungen. Die Religion ist das Pulver und der Film ist der Funke. Aber es gibt jene die über Zeitpunkt und Ort bestimmen und darum bemüht sind, dass die Zündung nicht einfach spontan erfolgt. Diese sollten auch im Zentrum des Interesses stehen.
Global gesehen ist es für viele islamistische Bewegungen eine ausgezeichnete Gelegenheit sich als Hüter der eigenen Kultur zu definieren und sich gegen die Barbaren im Westen abzugrenzen. Sie haben genau so ein Interesse am Aufrechterhalten des Trugbildes eines Zusammenpralls der Kulturen, wie die islamophoben Populisten bei uns. Dazu kommt regionale Politik. In Libyen haben die Islamisten eine Wahlschlappe einstecken müssen. In Tunesien sehen sich die Salafisten mit einer starken Präsenz gemässigter Islamisten mit Regierungsverantwortung konfrontiert. In Ägypten gibt es unzählige andere islamistische Gruppierungen neben den Muslimbrüdern, die in gegenseitiger Konkurrenz stehen. Sie alle wollen sich in den drei Ländern als wahre Gläubige profilieren, als die treueren Anhänger Mohammeds erscheinen und so ihre Positionen festigen oder gar ausweiten. Liest man wie die Proteste zum Beispiel in Benghazi eskaliert sind, wird es offensichtlich, dass es ziemlich sicher nicht einfach ein spontaner Lynchmob war, der den Raktenwerfer auf die Schulter schwang, nachdem er auf YouTube den Film gefunden hatte.
Solange aber die Schlagzeilen die Gewalt auf einen Anti-Islam Film und beleidigte aggressive Muslime reduziert, werden jene gestärkt, die jetzt von dieser Situation profitieren: Fundamentalisten jeder Couleur und Produzenten von schlechter Satire. Das können wir wirklich nicht wollen.
P.S.: Es stellt sich nun heraus, dass der Regisseur des Films vor allem Erotikfilme gedreht hat. Soviel zum Thema make love, not war!
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