Letzte Woche habe ich zu klären versucht, was sich auf dem Papier für die Palästinenser geändert hat und was nicht. Blickt man von diesem Papier auf, stellen sich nach wie vor Fragen: Was hat sich konkret geändert, was bedeutet die Aufwertung zum UN Beobachter-Staat für den Friedensprozess und was ist als nächstes zu erwarten. Die Beschreibung der Spielregeln ist eine Sache, das Spiel hingegen zu interpretieren oder gar vorauszusagen ist natürlich eine andere.

Aus meinem letzten Eintrag geht hervor, dass sich zwei Dinge geändert haben: Erstens besteht langfristig eventuell eine Möglichkeit für juristische Schritte vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Zweitens, ist durch die Anerkennung als Beobachter-Staat Palästina näher am eigenen Staat als vorher. Man muss aber festhalten, dass sich ganz praktisch im Gaza und dem Westjordanland kurzfristig nichts ändert. In der Diplomatie ist es wie in der Wissenschaft: Selten geht es in grossen Sprüngen vorwärts, vollmundige Ankündigungen entpuppen sich meist als Hype und wenn tatsächlich mal was grösseres passiert, merkt man das oft erst im Nachhinein. In diesem Kontext muss man diese Veränderungen auch verstehen. Nicht eine Staatsgründung haben wir beobachtet, sondern nur das Bewegen einer Figur auf dem diplomatischen Schachbrett. Ob dies ein entscheidender Zug war oder im Gegenteil, das Spiel verkompliziert, wird man wohl erst später feststellen können.

Werden wir aber etwas konkreter.

Der erste Punkt, die theoretische Möglichkeit rechtliche Schritte einzuleiten, illustriert gut wie viel respektive wie wenig sich geändert hat. Die Palästinenser könnten, auch ohne das Statut zu ratifizieren, die Zuständigkeit für ihr eigenes Territorium anerkennen (und hier muss ich meinen Kommentar vom letzten Eintrag korrigieren, wo ich fälschlicherweise behauptet habe, eine Ratifikation sei notwendig). Ein solche Anfrage wurde früher schon einmal abgelehnt, unter anderem wegen der ungeklärten Statusfrage. Nun könnten sie wahrscheinlich den Status als Staat beanspruchen um das Gericht um Hilfe zu bitten. Die Palästinenser haben jedoch ausdrücklich gesagt, dass sie dies vorerst nicht tun werden (und sich so vermutlich zusätzliche UN Stimmen gesichert). Es trotzdem bald zu tun, wäre wohl diplomatisch äusserst ungeschickt.

Auch die Konsequenzen einer solchen Klage sind unsicher. Der Chefankläger müsste zuerst beschliessen, das überhaupt weiterzuverfolgen (was wohl nicht zuletzt wegen der politisch heiklen Situation alles andere als klar ist). Ausserdem ist der ICC nur zuständig, wenn die Verbrechen nicht im betroffenen Staat verfolgt werden (oder werden können). Etwas das Israel durchaus für sich beanspruchen kann (auch gab es, wie hier zu lesen war, internationale Untersuchungen zu genau dieser Frage).

Zusammengefasst lässt sich also sagen: An dieser Front wird sich so schnell kaum was ändern, schon alleine weil die effektiven Vorteile, die die Palästinenser daraus ziehen würden, vermutlich kaum die Nachteile aufwiegen (Risiko eine Freispruchs, Nichteintreten, weitere Optionen, etc.). Die Möglichkeit mit dem Schritt zu drohen ist viel nützlicher. Diese verlieren die Palästinenser im Moment, in dem sie die Drohung wahr machen.

Betreffend dem zweiten Punkt (Palästina als eigenständiger Staat) könnte man fragen, ob dies denn nicht ein Erfolg sei auf dem Weg zur Unabhängigkeit. Diese Frage würde ich mit “theoretisch ja, praktisch nein” beantworten. Es ist ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Anerkennung als Staat, das ist korrekt. Doch selbst eine vollständige Anerkennung würde den Palästinensern nur wenig nutzen, solange Israel de facto die Kontrolle über das Gebiet behält. Dies wird sich auch durch eine internationale Anerkennung nicht ändern. Der einzige Ausweg ist eine Lösung mit Israel zu finden (und in Anbetracht der militärischen Unterlegenheit muss diese fast zwangsläufig am Verhandlungstisch gesucht werden). Als weitherum anerkannter Staat könnte man Israel vielleicht das Leben etwas schwerer machen, doch das wäre es dann auch schon. Das Ziel der Palästinenser ist ein echter eigener Staat, nicht einer der nur auf dem Papier existiert.

Dass es sich um eine Vorwegnahme eines allfälligen Verhandlungsresultats handelt, stimmt meines Erachtens nur sehr beschränkt. Die Zweistaatenlösung wird weitherum als zwangsläufiges Verhandlungsresultat betrachtet. Die grosse Frage ist in welchen Grenzen. Daran ändert die Aufwertung sehr wenig bis gar nichts. Auch hier gilt wieder: Die allfällige Möglichkeit zum Beispiel als Vollmitglied in der UN aufgenommen zu werden ist als Verhandlungschip viel wertvoller, als eine unmittelbare Aufnahme.

Alles in allem war die Aufwertung also nur ein taktisches Manöver. Dieses brachte die Palästinenser auf dem Papier näher an einen eigenen Staat. Gleichzeitig gaben sie damit auch die Möglichkeit, mit diesem Schritt zu drohen, aus der Hand. Am bedeutendsten ist wohl der diplomatische Sieg. Wenn man die Liste der Länder betrachtet, die für die Aufwertung gestimmt haben, sieht man darin vor allem ein klares Signal an Israel, dass es auf dem diplomatischen Parkett immer isolierter dasteht. Dies wird Sorgenfalten bei Israels diplomatischem Corps verursachen. Ob es die Politik kümmern wird, deren Blick viel mehr auf ihre inländischen Zielgruppen gerichtet sind, ist aber eine ganz andere Frage.

Kommentare (2)

  1. #1 HE
    München
    Dezember 11, 2012

    Schön zusammengefasst – auch wenn sich die praktischen Konsequenzen wie ja geschrieben in Grenzen halten.
    Die Anerkennungskampagne ist in meinen Augen ein letzter Versuch, Unterstützung für Abbas und Fatah bei den Palästinensern zu gewinnen. Ohne diplomatische Erfolge wird er mittelfristig kaum gegen Hamas bestehen können. Die Frage ist, ob auf dieser Basis eine effektive Regierung und eine Bereitschaft zu Kompromissen in der Bevölkerung gegeben ist…

  2. […] gestellt, wurden aber mit Hinweis auf ihren unklaren Status abgewiesen. Mehr dazu in meinem neuen, versprochenen zweiten Eintrag.] Mitglieder können und da besteht der Unterschied zum Internationalen Gerichtshof, Klage gegen […]