Viel mediale Aufmerksamkeit erhielt in den letzten Tagen die Geiselnahme und das später Massaker in der algerischen Gasproduktionsanlage. Was abgesehen vom menschlichen Drama und der spärlichen Informationen die Story im News-Nachbrenner zu einem gefundenen Fressen macht, ist wie sich die Attacken als Projektionsfläche anbieten: Man kann darin wahlweise eine weitere Schlacht im sogenannten “Krieg gegen den Terror” sehen, eine Reaktion auf die französische Intervention in Mali, eine Wiederauflackern (oder letzte Zuckungen) des algerischen Bürgerkrieges oder ein weiteres Warnsignal für das Erstarken salafistischer Extremisten in Nordafrika. Vermutlich ist es alles zusammen und nicht zuletzt darum reflektiert jede dieser Interpretationen für sich mehr die Sichtweise der Analysierenden als eine simple Realität.
Die Gruppe, die mit der Attacke in Zusammenhang gebracht wird, ist Al-Kaida im islamischen Maghreb (AKIM). Die oft verwendete Formel einer “Al-Kaida nahestenden Organisation” oder “Gruppe mit Verbindungen zu Al-Kaida” sind Hinweise darauf, dass es sich hier vermutlich nicht um Islamisten handelt, die ihre Befehle kaum regelmässig direkt von der Kaida-Spitze entgegennehmen. Dass Terrororganisationen wie ein Franchise-System à la McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken funktionieren können habe ich in diesem Blog auch schon in anderem Zusammenhang thematisiert. Ebenso wie ich schon darüber schrieb, dass der Fokus auf Al-Kaida und seine Führer die Effektivität von Terrorakten erhöht (zum Beispiel hier oder hier).
Die Gruppe hiess ursprünglich Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC) und benannte sich erst 2007 um. Für einige zeigte dies eine Neuansrichtung, für andere war es ein letzter verzweifelter Versuch einer sich im Untergang befindender Organisation, etwas vom Terrorglanz Bin Ladens zu erheischen. Tatsächlich handelte es sich bei der GSPC um eine Abspaltung des Groupe Islamique Armé (GIA), einer der wichtigsten (und brutalsten) Akteure im Bürgerkrieg Algeriens der 90er Jahre. Um zu zeigen, dass die Umbenennung auch neue Loyalitäten bedeutet folgte damals eine Kampagne von Selbstmordattentaten. Nicht alle Militanten waren von den Gewaltexzessen begeistert. Die AKIM verlagerten darauf hin ihren Wirkungsschwerpunkt in die Sahelzone wo man unter anderem mit Entführungen von sich reden machte. Der Krieg in Mali bot dann eine neue Chance, bei einem Konflikt auf dem Konflikt-Trittbrett einer weit zurückgehenden Auseinandersetzung zu fahren.
Ebenfalls interessant ist der Zusammenhang mit den Ressentiments direkt gegen Frankreich gerichtet. Die ehemalige Kolonialmacht Algeriens hat eine dunkle und brutale Geschichte im Land, die am Ende zur Unabhängigkeit Algeriens (und fast zu einem Putsch in Frankreich selber) führte. Etwas dem man sich erst seit kurzem von offizieller Seite zu stellen beginnt. Im Dezember des letzten Jahres bildete sich eine Splittergruppe von AKIM und warnte in einem Videoclip Frankreich vor einer Intervention in Mali (wohlgemerkt: Nicht die USA, oder die internationale Gemeinschaft, sondern spezifisch Frankreich). Der Name dieser Gruppe war al-Mouwakoune Bi-Dima (jene die mit Blut unterzeichnen). Dies ist anscheinend der selbe Name, der früher von einer Untergruppe der GIA benutzt wurde, eine Gruppe die Attentate und Terrorattacken gegen Französische Ziele unternahm (einige erinnern sich vielleicht noch an die Entführung des Air France Fluges 8969 im Jahre 1994) [An dieser Stelle seien diese beiden ausführlichen Artikel (auf Englisch) über die Organisation und das erwähnte Video empfohlen (eins und zwei)]
Gemäss den im Moment verfügbaren Informationen war das Kommando, welches die Attacke auf die Gasanlage durchführte ein internationaler Haufen. Sie haben anscheinend auch spezifisch nur Ausländer festgehalten und getötet. Dies zeigt wiederum die globalere Dimension der Anschläge.
Alle diese Faktoren wirken zusammen. Würde nicht ein Diskurs eines “Krieges gegen den internationalen Terrorismus” gepflegt, würde dieser Anknüpfungspunkt fehlen. Niemand wäre interessiert McDonald’s Geld für das Betreiben einer Filiale zu zahlen, wenn das goldene M nicht eine etablierte Marke wäre. Trotzdem würden alle andere Elemente (von Algeriens Bürgerkrieg, der Kolonialen Vergangenheit oder die Intervention in Mali) deswegen nicht verschwinden. Es wäre aber gut zur Kenntnis zu nehmen, dass die Schlagkraft internationaler Terrororganisationen vor allem in unseren Köpfen geschaffen wird. Es sind immer verschiedene Erklärungsmuster möglich und sie alle haben einen “wahren” Kern. Auch Terroristen sind Opportunisten. Und wir können ihnen solche Opportunitäten schaffen. Wenn wir uns auf eine Sichtweise versteifen (z.B. Globaler Krieg gegen den Terror, Zusammenprall der Kulturen, etc) riskieren wir das eigentliche Problem damit erst in die Welt zu setzen.
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