Hier besteht das Problem: Das System diskriminiert nach Rasse. Die Gründe können vielfältig sein: Ökonomische Möglichkeiten, Vorurteile, effektive Umstände der Tat, etc. Aber das ist hier zweitrangig. Wichtig ist, dies lässt keine Rückschlüsse auf den spezifischen Fall zu. Wir wissen Substanz X erhöht das Risiko, an Y zu erkranken um 50%. Wir können aber bei Patient Meyer trotzdem nicht sagen, ob er wegen einer Exposition zu X erkrankt ist oder nicht. Darum können wir ohne zusätzliche Information auch nicht sagen, ob Zimmerman völlig zu Recht freigesprochen wurde, oder ob es anders ausgegangen, wäre sein Opfer Weiss gewesen und er Afro-Amerikaner.
Bis jetzt könnte man noch sagen, dass der Müller halt etwas spitz formuliert, nur eine Seite ins grelle Scheinwerferlicht zerrt, um eine Debatte zu provozieren. Wo er sich dann definitiv in die Abgründe rassistischer Vorurteile stürzt, ist in diesem unsäglichen Schlussabschnitt:
Während sich Amerikas Augen auf Sanford richteten, ging das Sterben andernorts weiter: Allein an dem Wochenende, an dem Zimmerman freigesprochen wurde, wurden im Süden Chicagos, Amerikas gefährlichster Gegend, fünf Männer erschossen, vier Schwarze und ein Latino. Der Aufschrei blieb aus, denn weisse Täter waren nicht auszumachen: 90 Prozent aller Tötungsdelikte an Afroamerikanern werden von Afroamerikanern verübt. Schwarze töten Schwarze – für Al Sharpton und Barack Obama kein Grund zur Empörung.
Dieses Argument konnte man auch im US Diskurs hin und wieder finden. Was ist daran so schlimm? Erstens stimmt es nicht. Afro-Amerikaner sind sehr wohl besorgt um die Kriminalität die von “Schwarzen gegen Schwarze” stattfindet und sind untere anderem auch deswegen mehr für schärfere Waffengesetze. Solche Morde machen einfach viel weniger Schlagzeilen und schon gar keine Europäischen. Wenn Müller so besorgt ist um die afro-amerikanischen Opfer von Kriminalität, könnte er ja auch ein paar provozierende Kommentare dazu schreiben. Oder wo sind seine Diskussionen zum hohen Gefangenen-Raten in den USA oder die überproportionale Vertretung von Schwarzen die in Zellen auf ihre Hinrichtung warten? Ich habe den Verdacht, die sind ihm ziemlich egal und es besteht ein grosser Verdacht auf Betroffenheitsgetrolle.
Zweitens bedient sich dieser Schlussabschnitt eines Klischees, in dem er eine andere Realität einfach ausblendet: Die meisten Verbrechen in den USA werden von Weissen verübt. Natürlich nicht wegen deren Hautfarbe sondern einfach weil sie die Mehrheit sind. Vermutlich werden global gesehen die meisten Verbrechen von Chinesen begangen. Die Morde von Weissen an Weissen bewegen sich in einer ähnlichen Proportion wie für Schwarze an Schwarzen. Was das Weiterverbreiten dieser Behauptung vor allem macht, ist Kriminialität als afro-amerikanisches Problem darzustellen. Implizit wird die Hautfarbe zum Erklärungsfaktor. Dies ist ein Grund der zu eben jenen Vorurteilen führt, die die Wurzel der Diskriminierung ist. Es ist das Klischee, das den Teufelskreis, den Müller mit seiner geheuchelten Besorgnis vorgibt durchbrechen zu wollen, weiter anheizt.
Das Problem ist zusammengefasst folgendes: Ein unbewaffneter Teenager ist tot. Erschossen wurde er von einem Vigilante, der den Notruf auf seiner Kurzwahlliste zu haben scheint (hier sind die 46 Anrufe die er seit 2006 getätigt hat) und zu dessen Waffenschein noch einige offene Fragen bleiben. Er tat dies nachdem ihm ausdrücklich gesagt wurde im Auto zu bleiben und nicht die Konfrontation zu suchen. Inwiefern rassistische Vorurteile mitgespielt haben, können wir nicht mit Sicherheit wissen (es besteht der Verdacht, aber wir haben nichts handfestes). Wir können auch nicht herausfinden, was sich genau abgespielt hat an diesem Tag, auch wenn Müller das Gegenteil vorgibt. Darum muss man wohl akzeptieren, dass mit der Rechtslage in Florida und dem Grundsatz, dass im Zweifel für den Anklagten entschieden werden soll, eine Verurteilung schwer zu rechtfertigen war. Zumindest mir als Laie mit den öffentlich zugänglichen Informationen drängt sich dieser Eindruck auf. Das Problem sind die Gesetze, die eine solche Situation überhaupt möglich machen. Waffenrecht, Stand your Ground und Vigilantismus machten den Freispruch und da müssten die USA wohl den Hebel ansetzen. Ausser man entscheidet, dass solche Fälle den Preis für die Freiheit ist. Dies kann aber in Anbetracht der Minderheitenaspekts nicht durch einen einfachen Mehrheitsentscheid passieren in meinen Augen. Sonst riskiert das System damit seine Legitimität in den Augen der Minderheit zu verlieren.
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