Bei der Edward Snowden Live-Berichterstattung über jeden Besuch der Toiletten des Moskauer Sheremetyevo Flughafen wurde ein mediales Drama inszeniert, welches die Perspektive auf die Fakten verzerren kann. Das Blickfeld verengt sich auf das Hier und Jetzt und alles wird in diese eine, personifizierte Geschichte gepresst. Das passiert oft im schnellen News-Zyklus (und ich halte mich nicht für immun). Hier ist es aber von besonderer Relevanz, da die Natur der Sache, geheime Abhörprogramme US amerikanischer Geheimdienste, die Geschichte zum Opernball für Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker macht. Die Meisterdisziplin des selektiven Faktenverdrehens.
So konnte man vor ein paar Tagen stellvertretend für dies Gruppe bei Fefe lesen (ja ich weiss, aber ich lese auch AchGut, da kriegt man nicht einmal interessante Links):
Bei Verschwörungstheorien kommt ja häufig der Einwand, SO eine krasse Theorie müsse ja von SO vielen Teilnehmern geheim gehalten werden, das sei ja total unrealistisch.
Das ist schon in seiner Struktur ein typisches Argument für Verschwörungstheorien: Man wird mit einer Behauptung konfrontiert, die eine inkorrekte implizite Annahme enthält. Dies in der Hoffnung, dass man diese in der Antwort einfach akzeptiert und somit bestätigt (und natürlich somit schon verloren hat).
Da mir als Politikwissenschaftler dieser Einwand als ein wichtiger gegen viele Verschwörungstheorien erscheint und zudem im Gegensatz zu Schmelztemperaturen von Stahl, Flugbahnen von Flugzeugen und Dialysegeräte in Afghanistan, tatsächlich ein bisschen in meinen Kompetenzbereich fällt, möchte ich das nicht so stehen lassen.
In der schwarz-weissen Welt der Verschwörungstheorien funktioniert der “Beweis” dann so: Kann ich nachweisen, dass einmal etwas von der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde, dann validiert das alle anderen Spekulationen ebenfalls. Dass Leute, die Skepsis äussern, nicht generell die Existenz von geheimen Regierungs- oder Militärprogrammen anzweifeln, sondern nur implausible Spekulationen ohne handfeste Hinweise, wird ignoriert.
Aber selbst wenn es so wäre, ist der Fall Snowden kein solcher “Beleg.” Da wären wir dann bei der “SO krassen Theorie.” Nicht jede Verschwörungstheorie ist zum gleichen Grad unplausibel. Da gibt es Abstufungen (obwohl die skurrilsten, scheinen jene zu sein, die sich am hartnäckigsten halten). Wenn mir jemand erzählt, die Bush-Regierung hätte die Zwillingstürme des World Trade Centers gesprengt um im Irak einzumarschieren, dann ist das eine Hypothese, die in Anbetracht der Fakten ziemlich absurd ist und zig aus der Luft gegriffene Annahmen benötigt. Wenn man hingegen postuliert, der US Geheimdienst würde im grossen Stil Daten sammeln, dann halte ich das für etwa so aufregend, wie zu behaupten, dass in einer Backstube Brötchen gebacken werden.
Verfolgt man das Weltgeschehen mit ein bisschen Aufmerksamkeit, dann hat man in seriösen Quellen schon über diese Brötchen, die in den Geheimdienstbackstuben gebacken werden, gelesen. Zum Beispiel gab es da den Fall Thomas Drake. Nicht nur konnte man in diesem Artikel des New Yorkers schon im Mai 2011 lesen, was der vermutete Umfang dieser Programme ist, der Fall ist auch ein Paradebeispiel wie die Administration Obama gnadenlos gegen Whistleblowers vorgeht (die Sachlage war diesbezüglich wesentlich klarer als bei Snwoden).
Oder die verrückten Ideen des früheren Admiral Poindexters, seinem Information Awareness Office (von 2002 [sic!] ebenfalls im New Yorker Magazin):
the Office’s main assignment is, basically, to turn everything in cyberspace about everybody—tax records, driver’s-license applications, travel records, bank records, raw F.B.I. files, telephone records, credit-card records, shopping-mall security-camera videotapes, medical records, every e-mail anybody ever sent—into a single, humongous, multi-googolplexibyte database that electronic robots will mine for patterns of information suggestive of terrorist activity.
Zum Schutz der Privatsphäre wurde damals lapidar festgehalten:
“The privacy of individuals not affiliated with terrorism” will be protected via “technologies for controlling automated search and exploitation algorithms and for purging data structures appropriately.”
Kommt euch das bekannt vor?
Es gibt auch Unterschiede in der Geheimhaltungsstufe. Wir wissen nach wie vor sehr wenig über das genaue Funktionieren des Lauschangriffs des US Geheimdienstes. Dank Snowden gibt es nun immerhin (bessere) Belege, dass diese Programme auch ausserhalb der Köpfe einiger hohen Tiere im US Verteidigungsdepartement stecken. Die Namen, mit denen Snowden hausiert findet man jedoch auch in Stellenanzeigen, in den Lebensläufen auf LinkedIn (siehe screenshot unten als Beispiel) oder zusammengetragenen Auflistungen (von 2012).
Nun ist es natürlich unmöglich zu zeigen, dass keine geheimen Grossverschwörungen existieren (dies gilt aber auch für Einhörner und Zyklopen). Das kann auch der Fall Snowden nicht. Er zeigt aber den selektiven Umgang mit Fakten von Menschen mit einem Hang zu solchen und wie sich Verschwörungstheorien von Unkenntnis nähren. Um eine Verschwörung plausibel zu machen, müssen die Belege von jenen gebracht werden, die solche postulieren. Die NSA Geschichte zeigt, dass es für jene Theorien, die nicht Hirngespinste aus Absurdistan sind, tatsächlich Hinweise in respektablen Quellen gefunden werden können (übrigens dank dem Internet auch im Nachhinein, wenn man sich die Mühe machen würde zu recherchieren). Fragen bezüglich vermeintliche Ungereimtheiten reichen jedoch nicht aus, um die grosse Konspiration zu belegen. Dazu braucht es positive Hinweise. Für den grossen NSA Lauschangriff gab es solche schon vor über einem Jahrzehnt.
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