Hier im Blog war es wieder etwas still in letzter Zeit. Der Grund ist, dass ich für diese Woche einen Workshop am Organisieren war. Am Dienstag habe ich mich in ein Flugzeug gesetzt und bin nach Tunis geflogen. Am Mittwoch war ich beim Mittagessen mit meinen Eltern, als ein BBC Breaking News Alert auf meinem Telefon auftauchte. Ich wollte das Banner schon weg klicken (es ist ja eh meistens Sport), las aber etwas von einem Anschlag in Tunis.

Was folgte hatte etwas surreales. Ich bin ausserhalb des Stadtzentrums. Ich kriege kaum etwas mit von Mahnwachen, von Polizeieinsätzen und anderen Aufregungen. Ich mache hier, obwohl nur ein paar Minuten vom Geschehen entfernt, was ich auch zu Hause in Genf machen würde: Ich mache mich schlau via internationalen Medien, Twitter und was ich sonst so finde im Netz. Insofern kommt mir die Annulierungswelle noch seltsamer vor als bei ähnlichen Ereignissen. Urlaub wird storniert. Konferenzen werden abgesagt, Anlässe verschoben. Obwohl sich hier, dem eigentlichen Hotspot, nichts verändert hat. Interessant ist auch der inhärente Doppelstandard: Nach den Anschlägen in Paris strömten alle in die Stadt um Solidarität zu bekunden. Nach Anschlägen in Tunis ziehen sich alle in ihr Schneckenhaus zurück und Regierungen warnen vor Reisen. Dabei ist das individuelle Risiko vermutlich nicht wirklich anders oder grösser. Paris ist näher als Tunis auch wenn es in Kilometer oft nicht ist.

Wer genau hinter den Anschlägen steht, darüber möchte ich gar nicht spekulieren, da man im Moment wenig gesichertes weiss, ausser dass einer der Attentäter den Behörden bekannt war. Was feststeht ist, dass die Attentäter äusserst effektiv waren. Ich meine das nicht in einem militärisch-taktischen Sinn sondern in einem politischen. Es gibt zwei Schwachpunkte die man mit einem Streich getroffen hat. Ohne positive wirtschaftliche Entwicklung wird die junge Demokratie Mühe haben in der Bevölkerung Akzeptanz zu gewinnen. Unabhängig davon ob gerechtfertigt oder nicht, das System wird für die Ergebnisse verantwortlich gemacht. Tunesien ist vom Tourismus abhängig. Nun werden Reisen annulliert und Buchungen nicht gemacht. Vermutlich auch von Menschen die eigentlich “total solidarisch” sind und im Januar Charlie und 2001 New Yorker waren. Solidarität ist schnell deklariert per Tweet. Mit echten Gesten wird. Ein Beispiel was man in der Politikwissenschaften als “mit den Füssen abstimmen” bezeichnet. In diesem Falle eine Stimme für die Terroristen.

Die zweite Achillesferse ist eine politische. Tunesien ist nicht nur das Land wo die arabischen Revolten begonnen haben, es ist auch das letzte der betroffenen Ländern wo es noch Hoffnung auf wahre Demokratisierung gibt. Die Anschläge liefern der Regierung nun einen guten Grund zu alten Polizeistaat Methoden zurückzukehren. Ein Reflex, den man auch in Ländern ohne unmittelbarer Vorgeschichte findet (Überwachungsstaat, Grenzkontrollen usw.), aber in einem Land mit noch fragilen politischen Institutionen noch viel verheerender ist. Ob die neue Regierung dieser Versuchung widerstehen kann, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.

Die Menschen hier in Tunesien stehen im Moment unter Schock. Man hört viel Stimmen die nun den Anfang vom (nicht guten) Ende zu sehen glauben. Dies scheint mir aber mehr emotional als analytisch. Die Demos und die Mahnwachen haben auch gezeigt, dass viele nach wie vor trotzdem nicht defaitistisch sind. Man stellt sich hinter den Demokratisierungsprozess. Ob es die Touristinnen und Touristen diesen Sommer auch tun werden, oder mit ihrer Abwesenheit den Prozess weiter sabotieren steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

 

 

 

Kommentare (15)

  1. #1 rolak
    März 21, 2015

    Schöner Stimmungsbericht.

    Annulierungswelle

    Hmm, obs an mir liegt oder an einer hier anderen Gewichtung in den Medien, egal, es stellte sich mir ausgeglichener dar.
    Ok, bis auf gewisse Spalter 😉

    Polizeistaat

    Terrorismus scheint mir das RundweltAnalogon der reannuellen Landwirtschaft zu sein, bewirken doch seine Aktionen, daß überhastete Entscheidungen getroffen werden, die den Staat zu dem zu machen drohen, was der Terrorismus schon anfänglich zu bekämpfen vorgab.

  2. #2 MoinMoin
    März 21, 2015

    Das ist doch wirklich der schlimmste Blog hier auf scienceblogs.

  3. #3 LasurCyan
    März 21, 2015

    überhastete Entscheidungen

    Es eskaliert nicht nur, es eskaliert sogar schnellstens. Das scheint mir ein WesensMerkmal im Umgang mit Terrorismus zu sein, er spielt immer denen in die Hände, die nur darauf warten.

    Ganz anders, rolak, und sicher nicht nur für mich unerwartet macht man in Thüringen etwas sehr interessantes: schafft alle V-Leute ab. Da ziehe ich den SchlappHut..

    Tach, MoinMoin. Jetzt haste das ganze Pulver schon frühzeitig verschossen. Beileid für den schnellen Erguss.

  4. #4 ali
    März 21, 2015

    @rolak

    Danke für den Hinweis. Das ist interessant. Ich habe nichts gelesen von Annulierungen, habe aber hier in der Presse gelesen, dass Kreuzfahrtschiffe ihre Stopps gestrichen haben. Hier im Hotel hat man mir gesagt, dass Leute schon ihre Reservierung rückgängig gemacht haben. Habe auch mit einer Unternehmerin gesprochen der mir von einer abgesagten Konferenz nächste Woche erzählte (und selber war ich auch mit entsprechenden Reaktionen für meinen Anlass konfrontiert). Ich habe daraus (ganz unwissenschaftlich) geschlossen, dass dies die typische Reaktion war.

    @MoinMoin

    Herzlichen Dank für das profunde Feedback. Ich werde nächstes mal versuchen die vorgebrachten Punkte zu beachten und mir die konstruktiven Vorschläge zu Herzen zu nehmen. Es ist nicht einfach argumentativ so vorgeführt zu werden, aber es wird mir eine Lektion sein. Wenn man Leute wie dich im Kommentariat hat, muss man halt immer damit rechnen, mit so knallharter Logik und Fakten demontiert zu werden. Nochmals vielen, vielen Dank.

  5. #5 rolak
    März 21, 2015

    nichts gelesen

    Wie gesagt, ali, eher ausgeglichen.

    in Thüringen

    Und das wo anderswo deren Kompetenzen sogar erweitert werden sollen – erstaunlich, LasurCyan. Allerdings halte ich beides für verfehlt – GeheimDienst ohne Spitzel ist wie Roastbeef ohne Fleisch, mehr Leine beim Grenzüberschreiten allerdings auch eher schädlich als wirksam. Vielleicht mehr Theater á la Douglas´Game.
    Wäre auch besser verfilmbar – Lizenzen als BND-Drittmittel?

    Derweil wechseln wie hier vom Kommissariat 9 zum Kommentariat Y, Y as ‘Y did he do it?’. Ach was, da werde ich mich lieber in ein zumindest namentlich uraltes Epos stürzen…

  6. #6 Dr. Webbaer
    März 21, 2015

    Die Anschläge liefern der Regierung nun einen guten Grund zu alten Polizeistaat Methoden zurückzukehren.

    Es gibt halt eine nicht unbeträchtliche Menge an „Islamismus“ auch in Tunesien:
    https://one-europe.info/the-europeans-in-isis

    Insofern ist die Einrichtung eines Polizeistaats eine reale Gefahr, übrigens nicht nur dort, abstrakt lauert diese Gefahr auch in Europa.

    MFG
    Dr. W

  7. #7 ali
    März 22, 2015

    @Webbaer

    Der Kommentar ist sogar für webbärsche Verhältnis wirr. Wer gewann nochmals die Wahlen? Mit was für einer Platform? Wie hat sich der Polizeistaat gerechtfertigt (Hint: Es hat etwas mit dem Lieblingsthema des Meister Petz zu tun)? Was hat ein Link zu einem Artikel zu ISIS Kämpfer mit europäischen Pässen (die Anführungszeichen bei “europäisch” im Artikel sind eher verräterisch) zu tun? Gibt sich der Petz nun nur noch freiem Assozieren hin?

    Ich spekuliere mal der Webbär bezieht sich nur auf die Schätzung von ISIS Kämpfern aus Tunesien in besagtem Artikel. Dies hat logisch jedoch nichts mit dem Kommentar zu tun. Ausserdem weiss der Petz bestimmt wo diese 3000 Kämpfer-Schätzung vermutlich herkommt. Falls ja kann er sicher nachvollziehen, warum sie mit Vorsicht zu geniessen ist. Falls nein sollte er lieber darauf verzichten Zahlen zu verlinken nur weil sie ihm ihn ein Pseudoargument zu passen scheinen.

  8. #8 wahrheitsliebender
    März 22, 2015

    ch knn Tnsn m Kmpf ggn dn rdkln slmsms nr lls rdnklch gt nd vl rflg wnschn, bwhl ch fr d slmsch Wlt nsgsmt, wtrhn shr skptsch bn.

    n mnn gn gbt s f dr Wlt nr n Btschft, wlch dm mltntn, slmschn Fntsms dn Wnd s dn Sgln nhmn / ds Rckrt brchn knnt nd dn bwrts grchttn Tflskrs, n dm sch d slmsch Wlt bfndt, stppn knn/knnt.

    Ldr wrd ds Btschft br n dr gsmtn slmschn Wlt ls schlmmst Frm dr Blsphm bglhnt / rdkl bkmpft…

    m zmndst n Brhgng dr Sttn (n dr gsmtn slmschn Wlt) z rrchn, mß znchst ml d Zrstrng ds SS-Klfts m rk rrcht wrdn (dr Schlng drt dr Kpf bgschlgn wrdn). ch bn mr br bwßt ds dsr Hydr m nschlß rnt (nd whrschnlch nch vl gfhrlchr) Kpf nchwchsn wrdn. ch rdgn, dr rn nd vl ndr n dr slmschn Wlt rbtn schlßlch m “ndztlchn Klft”.

    s sht ls lls ndr ls gt s, w z.B. ch n dsm Vd nlysrt wrd:

    (wnn S mnn Btrg ncht vrffntlchn, ws z rwrtn st, dnn schn s ds Ytb-Vd wngstns slbst n..)

    Grß!

  9. #9 wahrheitsliebender
    März 22, 2015

    Schnd – Vd Prt 1 st hr z fndn:

  10. #10 wahrheitsliebender
    März 22, 2015

    ch nch ws gnz ndrs – ds hr hb ch grd bn f nr Brsnst (Gdmd-Trdr) n dr Wchnndsgb ntdckt

    Ds st fr Gpltk ntrssrt wrklch Pflchtnschngsmtrl! Hr wrd klr gsgt, dß d S kn Wrt-Pltk vrflgt sndrn n rn ntrssn-Pltk, dß s n dr krn schwr ktv snd nd ds hr Hrrr-Vrstllng, d s mt lln Mttln z vrhndrn trchtn, n Zsmmnschlß dr Rhstffrsrcn/ds rssschn Mnschnmtrls mt dr Hchtchnlg Dtschlnds st.

    D S snd ls ncht wrklch nsr Frnd bzw. nr s lng, w wr hrn ntrssn dnn nd hnn ncht ns Hndwrk pfschn – wrklch dslsnrtnd!

  11. #11 ali
    März 22, 2015

    @wahrheitsliebender

    Tja, die Regeln haben sich nicht geändert. Diskussion: Ja gerne. Ein schwarzes Brett für das Wiederkäuen von Verbreiten von Ressentiments oder gar dumpfer Propaganda: Nein.

    Das bekommt den Vokalen nicht sehr gut.

  12. #12 Dr. Webbaer
    März 23, 2015

    @ Herr Dr. Arbia :
    Der Schreiber dieser Zeilen hat versucht den Polizeistaatsgedanken, der den “Islamismus” zu nutzen scheint, ein wenig auszubauen.
    Meinen Sie nicht, dass “Europa” in diesem Zusammenhang ebenfalls Gefahr laufen könnte Werte aufzugeben?

    MFG
    Dr. W

  13. #13 wiener
    März 23, 2015

    Ich war ab und zu dienstlich in Tunis. Die Behoerdenmitarbeiter, die ich kennengelernt habe waren – wie die Mehrheit der Bevoelerung – demokratisch und wollten weder mit der alten Diktatur noch mit der religioesen Partei etwas zu tun haben. Aber alle hatten GROSSE Angst vor den Islamisten. Die Angst vor einer Ueberreaktion ist wohl nicht unbegruendet….

  14. #14 Statistiker
    März 31, 2015

    Ali,

    ich muss sagen, dass ich Deinen Blog sehr schön finde. Das trifft nicht auf alle Blogs auf dieser Seite zu, malsoangemerkt.

    Insgesamt finde ich es schlimm, wenn Menschenrechte, wenn Demokratie heutzutage keine Selbstverständlichkeit ist, leider weder in Tunesien noch in Deutschland…..

    Nein, leider auch nicht in Deutschland, wenn man sich anhören muss, dass “die” immer die “Bösen” sind, an “allem schuld sind” etc……. Und die Asozialitäten merken nicht mal ihre Inkonsequenz, wenn man sie fragt, was denn Sache ist: Machen es sich die “pösen Ausländer” jetzt in der sozialen Hängematte bequem oder “nehmen die uns die Arbeitsplätze weg”…..

    Kann man sich mal entscheiden????? Abgesehen davon, dass Produzent = Konsument, also eh egal, aber das kapiert der Bild-Bär eh nicht……

    Ali, mach weiter, und lass Dich nicht unterkriegen von irgendwelchen Schwachmaten………

    Ich sag es selten, aber ich sag es: DU hast klasse……

  15. #15 rolak
    Juni 14, 2015

    Über Nacht wurde die “Reportage im Ersten: Tunesien – Zwischen Toleranz und Terror” an den FestplattenStrand gespült, Aufhänger die hier thematisierte Aktion. Imho ziemlich typisch für die erlebte Aufarbeitnug das verbale Ende:

    “Für mich ist das ganz einfach: Ich bleibe Optimist und glaube, daß die Toleranz sich durchsetzen wird. Ebenso wie der Frieden. Und genau dafür werden wir weiterkämpfen: für Toleranz und Frieden.”
    (Übersetzung ARD)

    Wir möchten ihm gerne glauben, aber haben so unsere Zweifel. Tunesien bleibt ein gefährdetes Land.
    (Transkription inkl aller Fehler von mir)

    Entweder völlige Ignoranz gegenüber dem Gesagten, oder aus Bauchgefühl oder Agenda entsprungene Panikmache.