Gestern erschien in der London Review of Books ein Artikel, in dem behauptet wird, die Tötung Bin Ladins sei in Zusammenarbeit der Geheimdienste der USA und Pakistans inszeniert worden. Der Autor: Kein geringerer als Seymour Hersh.
Als ich gestern den Artikel quergelesen hatte, war mir gleich klar, dass das zum Volksfest für Fans von Verschwörungstheorien werden wird. Leider hat mich eine etwas genauere Lektüre in dieser Befürchtung nur bestätigt. Die Tatsache, dass eine renommierte Publikation wie die LRB einen Artikel mit einem so bekannten Namen wie dem von Hersh veröffentlicht, lässt viele den Aluhut aufsetzen und das Hirn ausschalten. Zu vieles wird bestätigt um es nicht glauben zu wollen: Die USA Regierung lügt. Die Geheimdienste (und allen voran die CIA) führen ausgefeilte Inszenierungen durch um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Die Amis machen keine Gefangenen und erschiessen ihre alten, schwachen und kranken Feinde im Bett (siehe Focus Schlagzeile unten). Es hat für alle etwas.
Aber selbst eine oberflächliche Lektüre von Hershs langem Artikel sollte alle verschwörungstheoretischen Warnlampen wild blinken lassen. Ich habe hier auch schon relativ früh darauf hingewiesen, dass diese Theorien unvermeidlich sein werden (und natürlich tauchen immer wieder welche auf). Anscheinend konnte auch Hersh der Versuchung nicht widerstehen. Er verfällt in seinem Artikel oft in die typischen Erklärungsmuster und logischen Fehlschlüssen solcher Theorien (sein Thesen sind noch dazu auch nicht neu). Das ist natürlich noch kein Beleg, dass er unrecht hat, sollte aber zur Vorsicht anhalten:
- Die typische Mischung von grandios geplanter und durchgeführter Inszenierung (eine grosse Zahl an Menschen wären gemäss Hersh involviert gewesen) bei gleichzeitiger völliger Inkompetenz der Geheimdienste und der Regierungen (jeder erzählt eine andere Geschichte, diese muss ständig angepasst werden).
- Selektive Beweisführung. Nur passendes wird zitiert, widersprüchliches ignoriert.
- Eine kompliziertere Erklärung wird vielen einfacheren vorgezogen (Ockhams Rasiermesser wird ignoriert)
- Die Anzahl involvierter Personen macht es unwahrscheinlich eine solche Aktion über Jahre geheim zu halten.
- Wenn eine Regierung manchmal lügt, belegt das nicht automatisch, dass sie in einem spezifischen Fall auch tut.
- Wenn uns viele Informationen fehlen, oder die offizielle Variante Widersprüche enthält, wird dieses Erklärung durch eine andere ersetzt. Diese ist aber aus der Nähe betrachtet noch weniger plausibel.
- Dinge die schon bekannt oder zu vermuten waren, werden als Enthüllung präsentiert (zB. dass man sich keine grosse Mühe geben wollte, Bin Ladin lebend zu erwischen; dass es möglich ist, dass es vermutlich im pakistanischen Geheimdienst Mitwissende gab).
- Widersprüche werden konstruiert, wo keine sind.
Das Grundproblem ist natürlich, dass wir keine gesicherten Informationen haben. Auch von Hersh erhalten wir keine solchen. Ich habe hier schon über verschiedene Geschichten die kursieren geschrieben (einmal, zweimal). Das heisst, dass er die Lücken beliebig mit eigenen Thesen füllen kann. Um so wichtiger sind in dieser Situation daher die Quellen und Belege. Die sind bei Hersh in diesem Fall leider sehr dünn. Es stützt sich fast alles auf zwei oder drei anonyme Quellen. Seine wichtigste Quelle ist eine Geheimdienstquelle, die seit den frühen 90er nicht mehr im Geheimdienst ist. Die Navy Seals Zitate scheinen mir auch eher dubios.
Die Geschichte, die uns Hersh erzählt, ergibt keinen Sinn. Warum sollen die USA und Pakistan die Erstürmung inszenieren. Es wäre weniger peinlich für die pakistanische Seite, Bin Ladin einfach zu übergeben, tot oder lebendig. Warum sollten die USA und Pakistan einen solchen ausgefeilten Deal machen, implementieren, aber dann die dazugehörigen Abmachungen (Hilfsleistungen etc.) nicht einhalten? Warum soviel Material und Menschen einsetzen, wenn es auch kleiner gehen würde? Warum sollten sie Details erfinden, die sie besser offen lassen würden (zB. Warum den Namen des Schiffes nennen, auf dem die Seebestattung stattgefunden hat, wenn keine solche vorgenommen wurde)? Warum um alles in der Welt soll Saudi Arabien für den Aufenthalt von Bin Ladin bezahlt haben? Wenn die USA wie von Hersh behauptet kein echtes Beweismaterial abgeschleppt haben, warum wurde dies später von der Nummer zwei von Al-Kaida bestätigt? Mussten die USA tatsächlich das Beweismaterial erfinden, um zu belegen, dass Bin Ladin aktiv die Organisation leitete nur um die Erstürmung und Tötung zu legitimieren? Glaubt er tatsächlich, die Tatsache, dass es sich um den deklarierten Staatsfeind Nummer 1 handelte hätte nicht gereicht?
Dazu kommen etliche Widersprüche in Hershs Story. Einmal steht zum Beispiel man hätte Bin Ladin als Pfand gegen die Taliban verwendet. Dann steht die USA hätte Druck ausgeübt, den Taliban zu verraten, dass Pakistan Bin Ladin festhält. Oder im Artikel steht, dass Pakistan sozusagen die Tür aufhielt (die Wachen wurden abgezogen etc.), aber gleichzeitig bestätigt er, dass die USA das Haus zum Training der Erstürmung nachgebaut hätten.
Hersh hat wichtige Skandale aufgedeckt. Aber diese Recherchen boten in der Regel mehr als zwei zweifelhafte Quellen. Dinge die nachgeprüft werden konnten, Ansätze bei denen weiter recherchiert werden konnte. Mehr kam dann ans Licht, bessere Belege wurden gefunden. Hier steckt man in einer Sackgasse am Ende des Artikels. Entweder man vertraut Hersh oder nicht. In Anbetracht der schwachen Logik, dem Mangel an Plausibilität und den Widersprüchen, fällt mir dies sehr schwer. Es kann sein, dass das eine oder andere Detail stimmt. Ich habe keine Illusionen betreffend Spin und politischer Manipulation. Das Gros der Geschichte scheint mir aber Aluhutmaterial.
Die interessanteste Frage ist meines Erachtens, wie viel der pakistanische Geheimdienst wusste und wie hoch dies in der Hierarchie ging. Aber darüber wurde hier auch schon spekuliert. Diese Spekulationen sollte aber in einem plausiblen Rahmen bleiben und nicht in wildes Fantasieren ausarten. Leider wird Hershs Artikel wohl noch über viele Jahre als Fliegenklatsche für Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretikern dienen, um imaginäre Insekten platt zu machen.
Die beste Kritik des Hersh Artikels bisher habe ich übrigens hier gefunden.
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