Dies soll nicht zu einem Tunesien Krisenblog werden. Es sind aber die Themen die mir nahe sind, die auch die grösste Motivation schaffen, trotz Zeitmangel mich an die Tastatur zu setzen. Und dieses mal waren die Einschläge sehr nahe. Meine Eltern leben nicht weit vom Hotel wo der Anschlag stattfand. Den Hafen der sich neben dem Hotel befindet (siehe Karte) ist wo ich schon öfters zum Essen, Einkaufen war oder mich für einen Aperitif mit Blick aufs mehr etwas hinsetzte.
Nicht überraschend ist wie der Anschlag nun mental abgelegt wird: Ein weiterer Terroranschlag von Islamisten in Tunesien. So weit so gut. Der Anschlag wird sich jedoch einreihen in die anekdotischen Belege, die das bigotte Weltbild von PI, AchGut und anderen Biedermännern und Brandstifterinnen immer wieder so schön bestätigen. Ein Ereignis von dem man nach Herzenslust vor sich hin generalisieren kann.
Man bucht nun keinen Urlaub mehr nach Tunesien oder anuliert diesen. Aber das Wochenende in Paris oder London wurde damals als dort Anschläge stattfanden natürlich nicht abgesagt. Vielleicht traut man Tunesien einfach nicht zu, einen ebenso guten Polizeistaat einzurichten, wie das mancherorts im Namen des sogenannten “Krieg gegen den Terrorismus” versucht wird. Der Zyniker in mir befürchtet aber, dass da Tunesien leider doch einiges an Expertise zu bieten hat. Man sollte vorsichtig sein was man sich wünscht.
Im ganzen brauchte es nur drei gewaltbereite junge Männer für die beiden Massaker dieses Jahr (Bardomuseum in Tunis und jetzt in Sousse) und vielleicht (aber nicht einmal das ist sicher) eine handvoll Komplizen. Diese kleine Gruppe bildet die Grundlage für Rückschlüsse über die Radikalisierung ganzer Gruppen gar Millionen von Menschen zu machen (“die Muslim_innen”; “die Tunesier_innen”). Jene Hotelangestellten die eine Menschenkette gebildet haben um die Gäste zu schützen, der Maurer, der den Attentäter vom Dach mit Steinen beworfen hat oder der Tour Guide der ihm am Strand nachgerannt ist (ich bin mir immer noch nicht sicher ob heldenhaft oder dumm), die taugen natürlich alle nicht zum Extrapolieren. Ist ein solcher mutiger Einsatz für seine Mitmenschen typisch für den Islam? Speziell in Tunesien zu finden? Natürlich nicht. Man wird solche Menschen in jeder Gesellschaft finden. Ebenso wie man in fast jeder Gesellschaft Mörder_innen rekrutieren, Menschen ideologisch verblenden und Attentate planen kann. Darum sollte man gar nicht erst das “die” hervorkramen. Es ist zwangsläufig falsch.
Die meisten Menschen in Tunesien stehen unter Schock. Es wurde demonstriert. Immer wieder wir betont “das sind nicht wir.” All das wird keinen der üblichen Verdächtigen davon abhalten in ein paar Wochen wieder zu behaupten, “die muslimische Welt” würde sich nicht (genug) vom Terrorismus distanzieren. Das eigentlich Problem ist doch, dass diese Leute die Distanzierungen nicht hören wollen.
Nicht dass noch das Weltbild kaputt geht. Es ist doch so zerbrechlich.
Nun heisst es inzwischen der Schütze sei in Libyen ausgebildet wurde. Regierungsquellen scheinen dies zu bestätigen. Tatsächlich muss er den Umgang mit der Waffe irgendwo gelernt und diese auch irgendwo bezogen haben. Da in Tunesien bis vor kurzem nur wenige Schusswaffen zu finden waren, ist diese Theorie durchaus plausibel. Sie ist aber mit Vorsicht zu geniessen, da sie auch allen gut in den Kram passt und die (öffentlich bekannte) Beweislage praktisch inexistent ist. Die von ISIS beanspruchte Verantwortlichkeit ist in einem ähnlichen Licht zu sehen. Wie eng die Verbindung zu einer Gruppe ist, die selber primär ein Franchisenprojekt mit guter Werbeabteilung ist, müsste man im Detail anschauen. Eine wirklich zentrale Planung halte ich für unwahrscheinlich. Den Attentäter gleich zum Vollmitglied der extremistischen Clown Ninjas zu erheben, freut vor allem diese. Aber differenzieren ist halt nicht interessant, wenn Akzeptieren doch so gut ins politische Programm passt.
Ein weiterer Punkt ist wie der Anschlag die News Prioritäten illustrierte. Am gleichen Tag war auch noch ein Mord in Frankreich und ein Attentat auf eine Moschee in Kuweit. Es begann mit Breaking News zu Frankreich. Es wurde schnell klar, dass der Täter das Opfer schon kannte (sein Arbeitgeber). Ich vermute das liess das Interesse dann sinken (zumindest war es mein Eindruck, dass dies ausserhalb der französischen Medien passierte), weil das Willkür Element einer “echten” Terrorattacke fehlte. In dem Zusammenhang von der “grössten Bedrohung der Frankreich je gegenüberstand” zu sprechen scheint nun jedoch offensichtlich hysterisch (ausser natürlich man ist allen ernstes überzeugt, historische Bedrohungen wie Nazi-Deutschland oder nukleare Auslöschung müssen hinten anstehen). Kurz wieder aufgetaucht ist der Fall in den Medien, nachdem bekannt wurde, dass der Täter Bilder vom abgetrennten Kopf seines Opfers via Handy in die Welt schickte. Das passt dann halt wieder gut in den Terror-Narrativ.
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