Hier war es ein paar Tage ziemlich ruhig, dafür kommt heute etwas mehr Text. In der Zwischenzeit hatte ich bereits einen Artikel für Heise-Online geschrieben, der sich mit den am 10. April veröffentlichten Bildern von M87*, dem supermassereichen Schwarzen Loch in der elliptischen Riesengalaxie Messier 87, beschäftigt, den ich hier mal als Basis voraussetzen möchte. Aufgrund des Zeitdrucks konnte ich die 6 Veröffentlichungen, die erst am Stichtag für die Einreichung des Heise-Artikels erschienen, nur ganz kurz einsehen und habe mich im Wesentlichen auf die Aussagen beschränkt, die während der Pressekonferenz gemacht wurden. Nun hatte ich mehr Zeit, in die Papers reinzuschauen und möchte hier ein wenig darauf eingehen, was wir über das Schwarze Loch in M87 gelernt haben.
Was zeigt das Bild?
Ursprünglich geisterte die Meldung durch die Presse, man wolle den Ereignishorizont oder dessen “Schatten” auf dem Bild ablichten. Tatsächlich ist das nicht möglich, denn erstens ist das Schwarze Loch nun einmal schwarz, da ist nichts zu sehen am Ereignishorizont, und zum Zweiten schattet es auch nicht einfach wie ein solider Gegenstand die dahinter liegende Akkretionsscheibe ab. Das Licht wird vielmehr in der Umgebung des Schwarzen Lochs stark abgelenkt (starke Gravitationslinsenwirkung). Bei einem Schwarzschild-Loch (nicht-rotierendes Schwarzes Loch) kann Licht, das sich dem Schwarzen Loch näher als dem “Capture-Radius” nähert (wobei
der sogenannte Gravitationsradius ist, das ist genau der halbe Schwarzschildradius; diese Größe wird in den Papers öfter als der Schwarzschildradius selbst verwendet), nicht mehr entkommen und muss nach ein paar Orbits hinter dem Ereignishorizont verschwinden.
ist also ca. 5-mal so groß wie
oder 2,5-mal so groß wie der Schwarzschildradius. Licht, das nahe außerhalb
streift, kreist um das Schwarze Loch und entkommt irgendwann. Für rotierende Kerr-Löcher ist der Capture-Radius abhängig vom Winkel, unter dem man auf die Achse des Schwarzen Lochs schaut, aber die Abweichung bleibt mit < ca. 4% kaum sichtbar.
Die deutlich hellste Lichtquelle in der Umgebung von M87* ist natürlich die innere Akkretionsscheibe, aber das Licht könnte auch aus dem Jet stammen. Bei dem “Licht” handelt es sich tatsächlich um Synchrotron-Strahlung von Elektronen, die in der Scheibe oder im Jet mit Geschwindigkeiten in der Größenordnung der Lichtgeschwindigkeit kreisen, während die Kernteilchen sich viel langsamer bewegen. Kreisende Elektronen strahlen ihre Energie ab, denn sie werden fortwährend beschleunigt. Der Effekt ist von Teilchenbeschleunigerringen (Synchrotronen) bekannt, und daher hat er seinen Namen. Je nach Modell überwiegt mal die Strahlung der Akkretionsscheibe, mal die des Jets. Das resultierende Bild ist am Ende im Rahmen der Messgenauigkeit das gleiche, daher können die Autoren nicht unterscheiden, woher genau das Licht stammt. Möglicherweise von beiden Quellen.
Von der Ferne betrachtet bildet die Strahlung einen hellen Ring mit dem Radius um das Schwarze Loch, den Photonenring. Genau diesen zeigt das Bild. Um den Ring herum wäre eigentlich ein stark gelinstes Abbild der Akkretionsscheibe zu erwarten, das jedoch nicht erkennbar ist. Das kann an seiner geringen Helligkeit oder daran liegen, wie das Bild erzeugt wurde (siehe unten, “Wie entstand das Bild?”).
![](https://i1.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Bild_vs_Simulation.jpg?resize=599%2C236&ssl=1)
Links das am 6. April 2017 aufgenommene Bild von M87*, und in der Mitte eine Simulation, die bei entsprechender Weichzeichnung (rechts) ein vergleichbares Bild ergibt. So ungefähr wie im mittleren Bild muss man sich den tatsächlichen Anblick des Photonenrings vorstellen. Bild: The Event Horizon Collaboration, [2], CC BY 3.0.
Die Sichel kann auf die Rotation der Akkretionsscheibe zurückgehen oder auf die Rotation des Schwarzen Lochs. Wie bereits im Halo-Drive-Artikel angesprochen sorgt die vom rotierenden Schwarzen Loch mitgezogene Raumzeit dafür, dass im Drehsinn des Schwarzen Lochs umlaufendes Licht eine Impulserhöhung erfährt.
Wie sich verschiedene Drehsinne von Schwarzem Loch und Akkretionsscheibe gemäß Simulationen auf das Bild auswirken würden, sieht man in der folgenden Abbildung:
![](https://i0.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Einfluss-Rotation-auf-Bild.jpg?resize=601%2C432&ssl=1)
Das Bild zeigt, wie sich unterschiedliche Drehsinne von Schwarzem Loch (schwarze Pfeile) und Akkretionsscheibe (blaue Pfeile, accretion flow) gemäß Simulationen auf das aufgenommene Bild auswirken. Ist die Inklination i der Akkretionsscheibe > 90°, dann zeigt der Nordpol ihrer Drehachse nach links, vom Beobachter weg, ist sie < 90°, dann zeigt er in unsere Richtung (i ist der Winkel zwischen unserer Sichtlinie und der Drehachse, dargestellt durch den hellblauen Pfeil; hier abgebildet sind die Fälle i=180° [obere Zeile] und i=0° [untere Zeile]). a* gibt den Drehsinn des Schwarzen Lochs relativ zur Akkretionsscheibe an: a* >0 bedeutet, das Schwarze Loch dreht sich prograd zur Scheibe, also in der gleichen Richtung. a* <0 bedeutet, es dreht sich retrograd. Der Effekt der Rotation des Schwarzen Lochs dominiert eindeutig den der Akkretionsscheibe. Wir wissen daher, dass das Schwarze Loch von uns aus gesehen im Uhrzeigersinn am Himmel rotiert (linke Spalte). Bild: The Event Horizon Collaboration, [2], CC BY 3.0.
Die Aufhellung befindet sich in 90° Abstand im Positionswinkel (Winkel projiziert auf die Himmelskugel) zur Richtung des Jets. Daraus kann man schließen, dass der Jet parallel zur Drehachse des Schwarzen Lochs ausgestoßen wird. Und da der Jet von der Akkretionsscheibe erzeugt und in Achesenrichtung ausgestoßen wird, ist deren Achse also mit der Drehachse des Schwarzen Lochs parallel – oder antiparallel.
Flackert M87*?
Die folgenden Bilder von M87* wurden an verschiedenen Tagen aufgenommen:
![](https://i0.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Variation.jpg?resize=600%2C889&ssl=1)
Bilder von M87* von verschiedenen Tagen. Der weiße Kreis gibt das Auflösungsvermögen von 20 µas an. Der helle Teil des Rings sieht nicht auf allen Bildern identisch aus. Ein Hinweis auf eine Dynamik in der Akkretionsscheibe? Bild: The Event Horizon Collaboration, [1], CC BY 3.0.
Welche Größen kann man aus dem Bild lesen?
Der Photonenring durchmisst 42±3 µas (Mikrobogensekunden, also Millionstel des 3600ten Teil eines Winkelgrads). Das EHT-Kollaborationsteam folgert aus dem Bild einen Gravitationsradius-Winkel (Gravitationsradius dividiert durch die Entfernung auf den Sehwinkel umgerechnet) von θg=3,8±0,4 µas, so dass der Ring 11±0,5 Gravitationsradien durchmisst (d.h. sein Radius beträgt 2,75±0,125 Schwarzschildradien). Mit der Entfernung von 54,8±2,6 Millionen Lichtjahren schließen sie auf eine Masse von 6,5±0,7 Milliarden Sonnenmassen [1], geringfügig mehr als frühere Schätzungen aufgrund der Bewegung der Sterne um das Zentrum von M87, die auf 6,2+1,1/-0,6 Milliarden Sonnenmassen geschlossen hatten, aber deutlich mehr, als andere Schätzungen auf Basis der Bewegung von Gas im Zentrum der Galaxie, die nur 3,5+0,9/-0,3 Milliarden Sonnenmassen ergeben hatten. Die Scheibe ist leicht abgeflacht mit einem Verhältnis der größten zur kleinsten Achse von weniger als 4:3.
Umgerechnet auf die Entfernung bedeutet dies einen Ringdurchmesser von rund 700 AE (700-mal die Entfernung Erde Sonne). Der Gravitationsradius beträgt 65 AE. Mindestens diesen Radius hat der Ereignishorizont, wenn M87* maximal schnell rotiert. Die genaue Rotationsrate wird in den Arbeiten nicht angegeben, nur dass sie “relativistisch” sei, also mit einem großen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit erfolge.
Ein Hauch von Schwarzem Loch
Interessant ist sich klar zu machen, wie dünn die Materie innerhalb des Gravitationsradius verteilt wäre, würde sie ihn ganz ausfüllen, anstatt, wie die Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt, in einer unendlich dichten Singularität zusammengequetscht zu sein. 6,5 Milliarden Sonnenmassen sind viel, eine Sonnenmasse hat ca. 2·1030 kg, das Schwarze Loch mithin 1,3·1040 kg. Aber 65 AE als Kugel sind auch sehr viel Raum, nämlich 3,9·1039 m³. Macht dann eine Dichte von 3,3 kg/m³. Irdische Luft hat bei Normaldruck eine Dichte von 1,2 kg/m³ und bei 2,75 bar wären es 3,3 kg/m³. So gesehen ist das Schwarze Loch im Mittel nicht viel dichter als die Luft in einem Autoreifen. Für ein Schwarzschild-Loch kämen übrigens sogar nur 0,4 kg/m³ heraus, 1/3 der Dichte von Luft.
Was treibt den Jet an?
Aus der Form des Jets, der zum Schwarzen Loch hin parabolförmig zusammenläuft, und aus der Leuchtkraft des Jets von 1042 erg/s (das sind 260 Millionen Sonnenleuchtkräfte!) schließen die Autoren in [2], dass der Jet durch den Blandford–Znajek-Prozess angetrieben wird. Dabei wird durch die Rotation des Plasmas in der Ergosphäre des Schwarzen Lochs ein ringförmiges (toroidales) Magnetfeld erzeugt, das in der Mitte parallel zur Rotationsachse des Schwarzen Lochs ausgerichtet ist. Photonen, die in der Photonensphäre kreisen, können heftig kollidieren und dabei Elektron-Positron-Paar erzeugen. Eines der Teilchen wird dann durch das Magnetfeld in den Jet katapultiert, in dem es sich den Magnetfeldlinien entlang nach außen schraubt und Drehimpuls mitnimmt, das andere mit umgekehrter Ladung in Gegenrichtung ins Schwarze Loch. Da das entkommene Teilchen Energie und Impuls gewonnen hat, muss das eingefangene dem Schwarzen Loch Energie und Impuls entziehen. So wird dem Schwarzen Loch Rotationsenergie entzogen, die den Jet antreibt. (So ungefähr habe ich die Erklärung auf Wikipedia verstanden; klingt ein wenig wie bei der Hawking-Strahlung, aber der Blandford-Znajek-Prozess ist ungleich ergiebiger, das Magnetfeld trennt die Ladungen effektiver als der Zufall bei Hawking).
Wie entstand das Bild?
Das Bild entsteht nicht einfach wie bei einem Foto dadurch, dass Licht unzweideutig auf bestimmte Pixel fällt. Was da eigentlich gemessen wird, sind Interferenzen von Wellen – deswegen heißt es Very Long Baseline Interferometry. Interferometrie kennt man vielleicht noch aus dem Physikunterricht vom Doppelspaltversuch: schickt man das Licht eines Lasers durch den Doppelspalt, dann bilden sich auf einer Projektionsfläche dahinter Streifen aus. Das Licht kommt von derselben Quelle, die ebene Wellen aussendet, und diese werden am Doppelspalt in zwei Lichtquellen aufgespalten, die absolut im Gleichtakt schwingen (sie sind kohärent). Die Wellen überlagern sich auf der Projektionsfläche an manchen Stellen konstruktiv und bilden helle Streifen, dazwischen destruktiv, das gibt dunkle Streifen. Ersetzt man die Spalte durch Löcher, dann entstehen Punkte statt Streifen, das Prinzip bleibt aber gleich.
![](https://i0.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Doubleslit.svg_.png?resize=601%2C546&ssl=1)
Doppelspaltversuch. Ebene Lichtwellen, die von links auf den Doppelspalt treffen, werden zu kohärenten Lichtquellen, die im Gleichtakt kreisförmige Wellen aussenden. Diese überlagern sich auf einem dahinter liegenden Projektionsschirm zu einem Streifenmuster, denn an jedem Ort auf dem Schirm ist der Abstand zu beiden Spalten und damit der Gangunterschied der Wellen fest. Wo der Gangunterschied ganze Vielfache der Wellenlänge beträgt, fallen Wellenberge stets zusammen, Wellentäler ebenso, und ihre Intensitäten addieren sich. Wo der Gangunterschied um eine halbe Wellenlänge verschoben ist, fallen Wellenberge auf Wellentäler und löschen sich stets aus. Dort bleibt es dunkel. Bild: Wikimedia Commons, Ebohr1.svg: en: User: Lacatosias, User: Stannered, CC BY-SA 3.0.
Das Muster verschwindet allerdings, wenn die beiden Spalte von verschiedenen Lichtquellen beleuchtet werden, etwa zwei verschiedenen Lasern, denn die schwingen nicht im Gleichtakt, sie sind nicht kohärent. Oder wenn die Lichtwellen von einer ausgedehnten Lichtquelle stammen, wo sie von verschiedenen Orten der Lichtquelle mit unterschiedlichen Phasen und Frequenzen erzeugt werden. Wenn der Physiklehrer früher (z.B. als ich zur Schule ging) keinen Laser hatte, hat er mit einem Spalt vor der Lichtquelle und ein paar Linsen dafür gesorgt, dass das Licht wieder von einer schmalen Lichtquelle ausging; dort vermischten sich alle Wellen von der Lichtquelle zu einem neuen Summensignal, das in beiden Spalten der Doppelspaltblende wieder im Gleichtakt schwingt.
Sehr kleine, nicht aufgelöste Punktlichtquellen (z.B. Sterne) wirken wie Laserlicht oder Licht von einem Spalt und verursachen ein Interferenzmuster, wenn man es durch zwei Optiken auffängt und überlagert. Ist die Quelle jedoch groß genug, um aufgelöst zu werden, dann hat man kein kohärentes Licht mehr, wie bei einer ausgedehnten Lichtquelle, und das Muster verschwindet. So können mit optischer Interferometrie Sterndurchmesser gemessen werden: man fährt zwei bewegliche Teleskope, die den Stern anpeilen und deren Licht des Sterns an einem Ort überlagert wird, gerade so weit auseinander, bis das Interferenzmuster verschwindet. Aus dem Abstand der Teleskope und der Wellenlänge folgt die Auflösung und damit der Winkeldurchmesser des Sterns. Man muss dafür nicht einmal ein Bild des Sterns aufnehmen!
Die Radioteleskope arbeiten bei VLBI ähnlich. Die Projektionsfläche wird gewissermaßen in der Verarbeitung durch den Computer hergestellt. Nur kann man bei VLBI die Radioteleskope nicht durch die Gegend schieben, um die Auflösung zu messen. Stattdessen nutzt man die Vielzahl von Basislinien, um gewissermaßen das Beugungsbild der Quelle abzutasten. Das folgende Bild zeigt eine Darstellung aller Basislinien des EHT. Je zwei Teleskope bilden eine Basislinie, die eine Länge und eine Richtung hat. Die Längen und Richtungen sind hier als Vielfache der Wellenlänge (Milliarden Wellenlängen, Gλ; 1 Gλ entsprechen 1300 km Länge der Basislinie) dargestellt, wobei v die Nord-Süd-Richtung und u die Ost-West-Richtung abbildet:
![](https://i0.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Auflösung.jpg?resize=601%2C549&ssl=1)
Bild der Basislinien des EHT und ihrer Abdeckung von M87*. Jede bunte Kurve zeigt die Länge einer Basislinie zwischen zwei Radioteleskopen an. Die u- und v-Achsen sind nichts anderes als die Richtungspfeile der Basislinien in Nord-Süd- (v) bzw. Ost-West-Richtung (u) projiziert auf eine gedachte Ebene senkrecht zur Sichtlinie zu M87. 1 Gλ entspricht 1300 km Entfernung der Radioteleskope. Die Paare ALMA und APEX bzw. JCMT und SMA befinden sich jeweils am gleichen Ort, daher befinden sie sich in der Bildmitte. Da sich die Erde während der Beobachtung dreht, ändert sich auch der auf die Ebene projiziert Abstand, und bei zur Blickrichtung gekippter Erdachse ergibt sich auch eine Variation in der Senkrechten, daher die “Würmchen” anstelle von einzelnen Punkten. Je weiter der Abstand der Teleskope, desto höher das Auflösungsvermögen. Die gestrichelten Kreise geben die Radien für 25 und 50 µas Auflösung an. Bild: The Event Horizon Collaboration, [1], CC BY 3.0.
Und nun hat man für jeder Basislinie die Intensität der Überlagerung des Signals, das von beiden Teleskopen an den Enden der Basislinie aufgenommen wurde, bestimmt, wobei der Tiefenversatz der Teleskope sowie Störungen durch die Atmosphäre herausgerechnet wurden – man denke sich die Teleskope somit alle in einer Ebene. Die Helligkeit ist am höchsten bei Gangunterschieden von einer Wellenlänge (Wellenberge und -täler fallen immer zusammen und addieren sich) und am niedrigsten bei einem Unterschied von einer halben Wellenlänge (Täler fallen immer auf Berge und löschen sich aus). Bei anderen Gangunterschieden ergeben sich Zwischenwerte – das ergibt das Interferenzmuster. Jeder Punkt im obigen Bild hat einen bestimmten Gangunterschied in u- und v-Richtung mit einer vom Beugungsbild abhängigen Helligkeit und jedes “Würmchen” tastet die Helligkeiten entlang seiner Ausdehnung ab. Plottet man die Helligkeiten in einem Diagramm über den Betrag der Länge der Basislinie, so erhält man dieses Bild:
![](https://i1.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/Amplitude.jpg?resize=599%2C374&ssl=1)
Amplitude der Überlagerung der Signale für verschiedene Basislängen; die kleinen Rauten entsprechen Basislängen in Nord-Süd- (rot) bzw. Ost-West-Richtung (blau). Die blau gestrichelte Linie zeigt das erwartete Beugungsbild einer Scheibe, die grüne Fläche das Bild einer Sichel, Schwarz gepunktet die Gauß-Verteilung einer Punktquelle. Die Sichel ist verbreitert, weil sie in Nord-Süd-Richtung einen anderen Querschnitt als in Ost-West-Richtung hat, was man auch an der Verteilung der blauen und roten Messpunkte nachvollziehen kann. Bild: The Event Horizon Collaboration, [3], CC BY 3.0.
![](https://i0.wp.com/scienceblogs.de/alpha-cephei/files/2019/04/J12pix2pix.png?resize=599%2C369&ssl=1)
Das Beugungsbild (Intensität über Radius) einer punktförmigen Quelle betrachtet durch eine kreisförmige Öffnung wird durch eine sogenannte Besselfunktion erster Gattung und erster Ordnung wiedergegeben, wie oben zu sehen. Sie gibt die Helligkeitsverteilung über den radialen Abstand vom Zentrum des Bildes an und beschreibt somit die Beugungsringe der Punktquelle. Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei.
Das ist das Beugungsbild (oder Interferenzbild), das man erhält, wenn man eine punktförmige Quelle (z.B. einen Stern) durch eine kreisförmige Öffnung (z.B. ein Teleskop) betrachtet und stark vergrößert (Besselfunktion erster Gattung und erster Ordnung). Man sieht einen Querschnitt durch die Beugungsringe. Umgekehrt verursacht eine kreisförmige Lichtquelle ein ähnliches Muster, wenn man es mit verschiedenen Basislängen abtastet. Im vorletzten Bild ist das erwartete Beugungsbild einer Vollscheibe gestrichelt überlagert, das einer Sichel in grünere Färbung. Durch mathematische Transformationen kann man aus dem Bild der Quelle auf das Beugungsbild schließen – und umgekehrt aus dem Beugungsbild auf das Bild der Quelle. Und so wurde das Bild von M87* aus dem Intensitätsbild der Basislängen errechnet! Die verschiedenen Orientierungen der Basislinien erlauben eine flächige Abbildung des Ringes in zwei Koordinaten.
In Bonn und Haystack wurden die Signale zweier verschiedener 2-GHz-Bänder um die beobachtete Frequenz von 230 GHz herum analysiert. 4 Teams arbeiteten parallel und unabhängig voneinander mit verschiedenen Software-Paketen an den Bildern, um jegliche Voreingenommenheit zu minimieren, und alle präsentierten am Ende sehr ähnliche Ergebnisse. Es wurden zehntausende von möglichen Parameterkombinationen simuliert und die aus ihnen folgenden Beugungsbilder den Messdaten angepasst.
Es sollte damit klar sein, dass es sich hier nicht um ein “Foto” handelt, sondern um eine komplexe Rekonstruktion der Lichtquelle.
Ist dies zweifelsfrei das Bild eines Schwarzen Lochs?
Das Bild ist im Einklang mit demjenigen, das man für ein rotierendes Schwarzes Loch von 6,5 Milliarden Sonnenmassen erwarten würde, dessen Photonenring man abgebildet hat. Der sich zum Zentrum hin stark verengende Jet und die mit dem Blandford-Znajek-Prozess kompatible hohe Leuchtkraft des Jets deuten jedenfalls auf die Existenz eines Ereignishorizonts als Quelle des Jets hin.
Ausschließen kann man das Bild eines Einsteinrings einer hellen Stelle des dahinter liegenden Jets, denn dazu hätte die Ausrichtung über mehrere Tage sehr exakt beibehalten werden müssen. Es gibt eine Reihe von exotischen Alternativen zu Schwarzen Löchern wie Bosonensterne, Wurmlöcher und nackte Singularitäten, die durch die Beobachtungen ebenfalls ausgeschlossen werden können. Nackte Singularitäten (solche, die nicht von einem Ereignishorizont umschlossen sind; theoretisch denkbar, wenn sich die Ringsingularität schneller drehen würde, als die als maximal betrachtete Rate von a=1) würden bei gleicher Masse einen kleineren Schatten verursachen. Gleiches gilt für Wurmlöcher. Hypothetische Bosonensterne bestehen aus einem Gas von massebehafteten Teilchen mit ganzzahligem Spin, die sich untereinander abstoßen; das Axion wäre ein Kandidat und wird auch als solcher für die Dunkle Materie gehandelt. Man denke sich einen hinreichend dichten Haufen aus Dunkler Materie, der keine feste Oberfläche hat, sondern sich nach außen verdünnt. Auch diese könnten einen Photonenring haben, aber keinen Ereignishorizont. Solche hätten aber, laut [1], statt Akkretionsscheiben einen Akkretionstorus ohne Jet.
Noch nicht ausgeschlossen werden kann hingegen ein Gravastern, eine Alternative zu Schwarzen Löchern, die davon ausgeht, dass das Vakuum sich bei Verdichtung der Materie so verändert, dass das Objekt nicht bis unter den Ereignishorizont schrumpft und somit kein Schwarzes Loch wird. Um einen Gravastern von einem Schwarzen Loch zu unterscheiden, müsste man nach Infrarot- und UV-Strahlung einer leuchtenden Stern-Photosphäre oder Unterschieden in der Flussdynamik der Akkretionsscheibe suchen. Licht einer Photosphäre hat man mit konventionellen Teleskopen bisher nicht gefunden. Über die Flussdynamik in der Akkretionsscheibe könnte die noch nicht erfolgte Auswertung der Polarisationsdaten des EHT mehr Aufschluss geben, denn die Polarisierung der Strahlung erlaubt vielleicht Rückschlüsse auf die Magnetfelder in der Akkretionsscheibe.
Referenzen
[1] The Event Horizon Telescope Collaboration, “First M87 Event Horizon Telescope Results. I.The Shadow of the Supermassive Black Hole“, The Astrophysical Journal Letters, Volume 875, Number 1, 10. April 2019, CC BY 3.0.
[2] The Event Horizon Telescope Collaboration, “First M87 Event Horizon Telescope Results. V. Physical Origin of the Asymmetric Ring“, The Astrophysical Journal Letters, Volume 875, Number 1, 10. April 2019, CC BY 3.0.
[3] The Event Horizon Telescope Collaboration, “First M87 Event Horizon Telescope Results. VI. The Shadow and Mass of the Central Black Hole“, The Astrophysical Journal Letters, Volume 875, Number 1, 10. April 2019, CC BY 3.0.
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