Jetzt kommen sie endlich herein, die professionellen Ergebnisse zur außergewöhnlichen Verdunklung von Beteigeuze. Nachdem erst am 14. Februar direkte Aufnahmen der Sternoberfläche veröffentlicht wurden, kam schon am 24. Februar der Preprint der ersten Arbeit über das Phänomen auf arXiv heraus und die klärt weitgehend auf, was mit dem Stern passiert ist. Da kann ich natürlich nicht umhin, diese Ergebnisse im Blog vorzustellen. Es ist wieder ein interessanter Einblick in die Arbeit der Astronomen, wie sie aus dem Licht des Sterns Informationen herauskitzeln, die man gar nicht darin erwarten würde.
Ein Teleskop vom und fürs Fernsehen
Die Arbeit stammt von Emily Levesque von der University of Washington, Seattle, und Philip Massey von der Abteilung für Astronomie und planetare Wissenschaft der Northern Arizona University im Staate Washington. Die Autoren haben am 15. Februar Beteigeuze mit dem Lowell Discovery Teleskop (LDT) des Lowell Observatoriums im Coconino National Forest in Arizona beobachtet. Das Teleskop war aus einer Zusammenarbeit von Discovery Communications, dem Herausgeber von Discovery Channel, Animal Planet und anderen wissenschaftsbezogenen TV-Kanälen, und dem Lowell Observatorium in Flaggstaff, Arizona, entstanden. Mit dem vom Sender gesponsorten 4,3-m-Spiegelteleskop wird echte Wissenschaft betrieben, allerdings hat Discovery die Erstverwertungsrechte an Bildern und Ergebnissen.
Die Autoren hatten Beteigeuze bereits Anfang März 2004 mit dem 0,9 m WIYN-Cassegrain-Teleskop am Kitt Peak Observatorium in Arizona aufgenommen, als der Stern mit 0,5m fast im Helligkeitsmaximum war. Damals hatten sie mit einem einfachen Gitterspektrographen und einer CCD-Kamera ein Spektrum von Beteigeuze aufgenommen. Der Spektrograph zerlegt vermöge eines engmaschigen Gitters (ca. 500 Linien pro Millimeter) das Licht in seine verschiedenen Farben (= Wellenlängen) und das Teleskop fokussiert dieses Spektrum auf den Bildsensor. Aus dem punktförmigen Stern wird ein langgezogener Strich, der mit einer (Schwarz-Weiß-) CCD-Kamera aufgenommen wird und in welchem die Wellenlängen von lang nach kurz nebeneinander angeordnet sind. Pixel für Pixel nimmt die Kamera andere Wellenlängen des Spektrums auf und kann deren relative Helligkeit (im Vergleich zu anderen Wellenlängen) aufzeichnen. Diese als Graph aufgetragen erhält man zwar keinen bunten Regenbogen mit dunklen Linien, aber eine viel aussagekräftigere Kurve der Helligkeitsverteilung über der Wellenlänge – im Prinzip ein Abschnitt der nahezu Planckschen Strahlungskurve des Sterns, nur eben gespickt mit Spektrallinien. Die dunklen Spektrallinien verursachen Einbrüche in der Kurve, deren Position, Breite und Tiefe man auswerten kann.
Beteigeuze geht es blendend
Die damaligen Messungen wiederholten sie nun mit dem selben Spektrographen am LDT, wo er sich mittlerweile als Dauerleihgabe befindet. Das Problem bei der Beobachtung des hellen Beteigeuze (und Grund dafür, weshalb Gaia seine Entfernung noch nicht mit großer Präzision messen konnte), ist seine immense Helligkeit, selbst in diesem tiefen Minimum. Insbesondere durch ein 4,3-m-Teleskop betrachtet. Die Wissenschaftler mussten deswegen ein Graufilter mit satten 7,5 Größenklassen Absorption vorschalten – dieses ließ nur noch 1/1000 des Sternenlichts durch, was schon beinahe zum fotografischen Sonnenfilter taugt!
Die Messung zielte darauf ab, die Effektivtemperatur des Sterns zu messen: das ist die Temperatur eines schwarzen Strahlers, der pro Flächeneinheit die gleiche Leistung abstrahlt wie der Stern. Schwarze Strahler sind in der Optik idealisierte Objekte, die nur Strahlung nach dem Planckschen Strahlungsgesetz abgeben, jedoch kein Licht reflektieren (daher: schwarz). Für diese gibt es einige Formeln, mit deren Hilfe man beispielsweise die Helligkeitsverteilung über den einzelnen Farben (Plancksche Strahlungskurve), das Maximum der Ausstrahlung (Wiensches Verschiebungsgesetz) oder die Abstrahlleistung pro Flächeneinheit in Abhängigkeit von der Temperatur (Stefan-Boltzmann-Gesetz) berechnen kann.
Sterne sind nur näherungsweise schwarze Strahler, vor allem weil ihre Strahlungskurve von Spektrallinien zerhackt ist, und so kommt man nicht zum selben Wert der Temperatur, wenn man sie einmal aus der Farbe ableitet (typischerweise über B-V, die Helligkeitsdifferenz in den Bändern Blau und Visuell) und ein anderes Mal aus den Linien im Spektrum. Denn auch dieses verändert sich mit der Temperatur – Spektrallinien verändern ihre Tiefe, tauchen auf oder verschwinden. Zum Beispiel bildet sich Titanoxid erst unterhalb von ca. 4000K und beginnt dann mit bei abnehmender Temperatur und zunehmender Menge mehr Licht zu absorbieren. Bei Roten Riesensternen sind die Linien von Titanoxid daher ein hervorragender Indikator für die Temperatur des Sterns. Diese Methode hatten Edward Guinan und Richard Wasatonic und in ihren beiden Astronomischen Telegrammen beschrieben (Photometrie an den Flanken der Titanoxid-Linien). Sie hatten die Temperaturabnahme des Sterns vom Maximum im September auf 80K im Dezember und 85K im Januar bestimmt.
Astronomisches Handlesen
In meinem Artikel vor zwei Wochen hatte ich bereits die beiden derzeit konkurrierenden Theorien für Beteigeuzes Schwächeanfall vorgestellt. Eine Theorie für die Verdunklung war, dass abkühlende, riesige Konvektionszellen den Stern dunkler erscheinen lassen, denn ein kühlerer Stern strahlt weniger Licht ab. Tatsächlich maßen Levesque und Massey ebenfalls eine leichte Abkühlung zwischen 2004 und 2020 um 50K von 3650K auf 3600K (jeweils ±25K). Der Wert ist konsistent zu den Messungen von Guinan und Wasatonic, die die Temperaturdifferenzen zwischen dem letzten Maximum im September und den Werten in Dezember bzw. Januar verglichen hatten, welche ein wenig höher ausfallen. Die Gretchenfrage ist: reicht das aus, um die Verdunklung zu erklären? Levesque und Massey haben nachgerechnet.
Und die Antwort ist: nein! Eine Abkühlung um 50 K könne bestenfalls eine Verdunklung um 0,17m erklären. Selbst bei einer Abkühlung um 100 K auf 3550K reichte es nur für 0,38m – der Stern war jedoch gegenüber 2004 um 1,1m dunkler geworden. Selbst wenn man die Verdunklung durch die Titanoxidlinien mit hinzu zieht, reicht es nicht – in der Gegenüberstellung der Spektren von 2004 und 2020 im vorletzten Bild ist die Helligkeitsabnahme insgesamt durch die geringere Temperatur (schwarze Linie liegt tiefer als rote) viel stärker ausgeprägt als durch die geringfügig verbreiteten, tieferen Linien. Die Abkühlung und die TiO-Linien können nur einen kleinen Teil der Verdunklung erklären.Was ist also dann die Erklärung? Die Lösung steckt im folgenden Bild:
Dort sieht man noch einmal das Spektrum von Beteigeuze vom Februar 2020 (schwarze Linie) gegenübergestellt einem modellierten Spektrum eines Roten Überriesen mit vergleichbarer Temperatur und Oberflächenschwerkraft g (log g=0 heißt g=1, das bedeutet ca. Erdschwerkraft an der Sternoberfläche, was sich auf die Druckverhältnisse an der Oberfläche auswirkt). AV steht für den Wert der Extinktion: Staub zwischen uns und dem Stern schwächt dessen Licht ab, und wir wissen ja (siehe Titelbild des Artikels), dass der Stern von einer Wolke aus Staub umgeben ist, den er selbst in der Vergangenheit ausgestoßen hat. Außerdem befindet sich Staub im interstellaren Raum zwischen den Sternen. Der Staub streut das Licht, und zwar Blau stärker als Rot. Genau dasselbe tut die irdische Atmosphäre, weswegen die Sonne rot untergeht (blaues Licht fehlt in der Durchsicht, weil es in alle anderen Richtungen gestreut wurde) und der Himmel blau ist (das gestreute blaue Licht erreicht unser Auge aus anderen Richtungen des Himmels). Der Effekt nennt sich nach seinem Entdecker Lord Rayleigh “Rayleigh-Streuung” und tritt genau dann auf, wenn die streuenden Partikel kleiner als die Wellenlänge des Lichts sind. Das heißt, der Stern erscheint durch sehr feinkörnigen Staub etwas röter, was man beim quantitativen Vergleich der Spektren über die Wellenlängen berücksichtigen muss.
Blauer Dunst
So, und wo ist jetzt also die Lösung in dem Bild versteckt? Ganz links. Über weite Teile passt das Spektrum des Sterns sehr gut zum Modell, aber unterhalb von 4500 Å (oder 450 nm), das ist im blauen Bereich des Lichts, da ist Beteigeuze deutlich heller, ein sogenannter Blauexzess des Sternenlichts liegt vor. Die Erklärung von Levesque und Massey ist: hier reflektiert den Stern umgebender Staub das Licht, welcher 2004 noch nicht da war, was man im direkten Vergleich der Spektren zwei Bilder zuvor erkennen kann. Oberhalb 4500 Å ist der Stern heute noch ebenso hell wie er es 2004 war, während der Rest des Spektrums dunkler erscheint. Der Staub, der sich aus unserer Sicht vor dem Stern befindet, verdunkelt ihn und ist die Hauptursache für sein derzeit extremes Minimum. Der Staub, der sich seitlich vom Stern befindet, reflektiert hingegen Licht und vergrößert die leuchtende Fläche.
Es fragt sich nun allerdings, warum das Spektrum dann immer noch zu einer Extinktion von AV = 0,62 passt, denn mehr Staub würde ja eigentlich mehr Extinktion bedeuten, die sich durch eine stärkere Rötung des Lichts bemerkbar machen sollte (die Kurve würde zum Blauen hin stärker fallen). Statt dessen ist bis auf den blauen Bereich das Spektrum gleichmäßig durch den Staub verdunkelt. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Staubteilchen vergleichsweise groß sind. Die Tröpfchen in einer Wolke streuen und reflektieren alle Lichtwellenlängen gleichermaßen, deswegen erscheinen Wolken weiß, wie auch die Sonne durch Nebel in der Durchsicht. Die Staubteilchen, die Beteigeuze umgeben, könnten in der Größenordnung von 300 nm sein – diese Partikelgröße hatte ein anderes Team im vergangenen Jahr für Staubteilchen ermittelt, die sich in der Nähe des Sterns nachweisen ließen. Bei Staubpartikeln dieser Größenordnung (nahe der Wellenlänge des blauen Lichts) wäre das von ihnen gestreute Licht noch nicht weiß, folgte aber einem anderen Farbverlauf als bei kleineren Partikeln, was den Blauexzess bei gleichzeitig geringer Rötung erklärt.
Einen ähnlichen Blauexzess hatten Levesque und Massey schon 2005 bei einer Reihe von Roten Überriesen in der Milchstraße beobachtet und daraus auf die Sterne umgebenden Staub geschlossen. Die auf dem Foto von Montargès et al. (Titelbild des vorangegangenen Beteigeuze-Artikels) sichtbare Verdunklung eines Großteils der Oberfläche des Sterns wäre demnach kein Muster der Konvektionszellen, sondern asymmetrisch produzierter, ausgestoßener Staub, der vom Sternwind nun weggeblasen wird und sich langfristig zu der Staubwolke gesellen wird, die den Stern in größerer Entfernung umgibt. Offenbar ist dieser Ausstoß von Staub mit einer leichten Abkühlung des Sterns während seiner halbregelmäßigen Pulsationen verbunden und sorgt dann manchmal für sehr tiefe Minima. Bei einer anderen Klasse von veränderlichen Sternen, den R-Coronae-Borealis-Sternen, kann der gelegentlich auftretende Ausstoß von Kohlenstoffstaub (also Ruß) dafür sorgen, dass der Stern kurzfristig um bis zu 9 Größenklassen (Faktor 4000) dunkler wird und damit vollkommen von der Bildfläche verschwindet, weshalb diese Sterne manchmal als “umgekehrte Novae” bezeichnet werden. So extrem ist Beteigeuze nicht, aber es scheint ein ähnlicher Mechanismus im Spiel zu sein.
Wie es weiter geht
Die Theorie von Levesque und Massey muss nun noch durch weitere Beobachtungen unterstützt werden. So erwartet man beispielsweise bei an Staub gestreutem Licht, dass dieses teilweise polarisiert ist. Durch Messungen im mittleren Infrarot lässt sich die Partikelgröße des Staubs ermitteln und im ultraviolettem Licht, das Staub kaum durchdringt, die Außenseite der Staubwolke und ihre Ausbreitung beobachten. Das fliegende Observatorium SOFIA, das hoch über dem dichtesten Teil der Atmosphäre im mittleren Infrarot beobachten kann, war schon unterwegs, um Aufnahmen des Sterns zu machen, von denen wir sicher bald hören werden.
Die Schlinge um Beteigeuze zieht sich also langsam zu. Wir können dem Stern offenbar dabei zuschauen, wie er frisches Baumaterial für Planeten zukünftiger Sterne produziert! Staubkörnchen von weniger als einem tausendstel Millimeter Größe. All dies lesen die Astronomen aus dem Beugungsbildchen eines Sterns heraus, der unerreichbar für sie ist. Das fasziniert mich immer wieder.
Referenzen
[1] Emily M. Levesque, Philip Massey, “Betelgeuse Just Isn’t That Cool: Effective Temperature Alone Cannot Explain the Recent Dimming of Betelgeuse“, Preprint eingereicht am 24.02.2020, arXiv:2002.10463.
[2] en.wikipedia.org, “Lowell Discovery Telescope”
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