In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckte der Astronom Fritz Zwicky, dass sich Galaxien in Galaxienhaufen nicht so bewegten, wie sie es sollte: sie waren viel zu schnell. Bei der Geschwindigkeit und der beobachteten Gesamtmasse der Galaxienhaufen hätten sie längst auseinanderfliegen müssen und dürften nicht mehr gravitativ aneinandergebunden sein – was sie aber waren. Es sah so aus, als wäre da irgendwo noch mehr Masse; Materie, die anscheinend nicht sichtbar ist. In den 60ern beobachtete die Astronomin Vera Rubin, wie sich Sterne in Spiralgalaxien bewegte. Auch sie bewegten sich nicht so, wie sie eigentlich sollten. Sie bewegten sich so, als wäre in der Galaxie noch mehr Materie enthalten, als man beobachten konnte.
Seitdem hat man dieses Verhalten zweifelsfrei in vielen anderen Fällen bestätigt. Es lässt sich auf zwei Arten interpretieren: entweder gibt es tatsächlich noch eine andere Art von Materie im Universum; Materie, die zwar gravitativ wechselwirkt, aber nicht elektromagnetisch: sie ist also unsichtbar. Oder irgendetwas stimmt nicht mit den Formeln, anhand derer wir die gravitative Wechselwirkung berechnen.
Das Rätsel um die Existenz der “dunklen Materie” gehört zu den großen ungelösten Problemen der Physik. Alles deutet darauf hin, dass unser Universum tatsächlich zu einem großen Teil aus Materie besteht, die völlig anders zu sein scheint, als die “normale” Materie, aus der die Dinge bestehen, die uns umgeben und die wir kennen.
Auch wenn wir die genau Natur der dunklen Materie noch nicht kennen (was sich vielleicht aber bald ändern wird) gehen die allermeisten Astronomen und Physiker von ihrer Existenz aus. Eine Minderheit verfolgt einen anderen weg: die MOND-Hypothese. “MOND” steht hier für “Modifizierte Newtonsche Dynamik” und es handelt sich dabei um eine Abwandlung der Newtonschen (bzw. Einsteinschen) Gravitationsgleichung. Aufgestellt hat diese Gleichungen Mordehai Milgrom und im Normalfall stimmen sie mit den bekannten Formeln überein. Nur für sehr kleine Beschleunigen sagen sie eine Abweichung von den Newtonschen Gesetzen vor. Dadurch würde sich der beobachtete Effekt ergeben, der von den anderen Astronomen als dunkle Materie interpretiert wird.
MOND zu bestätigen ist schwer – die dafür nötigen Messungen bei kleinen Beschleunigungen können noch nicht mit der nötigen Genauigkeit durchgeführt werden. Milgrom hat nun aber eine neue Arbeit veröffentlicht. In “MOND effects in the inner Solar System” beschreibt er einen neuen Effekt, der sich aus den MOND-Gleichungen ableitet und der die Bewegung der Planeten in unserem Sonnensystem betrifft. Und dieser Effekt soll leichter nachzuweisen sein!
Diese neue gravitative Anomalie würde wie ein Quadrupolfeld erscheinen. Für Objekte außerhalb der Ebene des Sonnensystems würde sie sich als abstoßende Kraft bemerkbar machen; für die in der Ebene als anziehende Kraft. Bei den Planeten im Sonnensystem soll sich der Effekt laut Milgrom auf die Bewegung der Perihele (die sonnennächsten Punkte der Bahnen) auswirken. Könnte man hier Anomalien messen (und zwar bei allen Planeten), wäre das seiner Meinung nach ein deutliches Anzeichen dafür, das MOND richtig ist.
Das wurde bis jetzt noch nicht gemessen. Oder vielleicht doch? Eine Arbeit aus dem letzten Jahr, die sich mit der Auswertung der Bahndaten von Cassini (die Sonde, die im Saturnsystem unterwegs ist) beschäftigt, kommt zu dem Schluß, dass die Periheldrehung des Saturns nicht exakt den berechneten Werten folgt! Lorenzo Iorio behauptet darin, dass diese Abweichung sich weder mit den Newtonschen, noch mit den Einsteinschen Gravitationsgleichungen erklären lässt!
Noch ist es zu früh, um zu sagen, ob das wirklich schon eine Bestätigung für Milgroms MOND-Hypothese ist (Milgrom hat Iorios Arbeit auch nichtmal zitiert). Und selbst wenn sich MOND als korrekt heraustellen würde, wäre die dunkle Materie damit immer noch nicht vom Tisch. Denn bei Untersuchungen des Bullet-Clusters (zwei kollidierende Galaxienhaufen) im letzten Jahr wurde einerseits die Verteilung der sichtbaren Materie vermessen; andererseits aber auch das Gravitationspotential in der Region (durch die Auswertung von Gravitationslinsen). Die Auswertung zeigte, dass das Gravitationsfeld im Bullet-Cluster nicht der Verteilung der sichtbaren Materie folgt; es muss also noch eine zweite, nicht sichtbare Quelle für das Gravitationspotential geben. Das lässt sich durch die Existenz von dunkler Materie erklären, nicht aber durch die MOND-Hypothese. Selbst wenn sich MOND also als korrekt herausstellen sollte, brauchen wir immer noch die dunkle Materie, um Beobachtungen wie den Bullet-Cluster zu erklären.
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