Wissenschaft hat eigentlich wenig mit Demokratie zu tun. Die Realität kümmert sich nicht um Abstimmungen und Mehrheiten; die ist einfach so wie sie ist. Und selbst wenn sich alle Wissenschaftler der Welt einig wären, dass etwas irgendwie sein muss, dann kann die Realität immer noch anders aussehen. Das einzige was zählt ist die Übereinstimmung der Theorien mit den Beobachtungen und experimentellen Daten.
Ab und zu aber macht es doch Sinn, wenn Wissenschaftler per Abstimmung zu einem Ergebnis kommen. Nämlich dann, wenn es um Fragen der Klassifikation geht.
Das beste Beispiel dafür ist die “Degradierung Plutos“. Da haben ja die Astronomen bei einer großen Konferenz im Jahr 2006 darüber abgestimmt, was denn eigentlich unter dem Wort “Planet” zu verstehen sei. Das Ergebnis kennen wir: Pluto ist nun kein Planet mehr. Dabei hat sich Pluto selbst natürlich nicht verändert; der ist der gleiche kleine Eisbrocken der er immer schon war. Aber da es durch die neuen Entdeckungen von großen Asteroiden im Kuipergürtel immer schwieriger war, zwischen großen Asteroiden und kleinen Planeten zu unterscheiden musste man mit einer neuen und exakten Definition Klarheit schaffen. Und das kann man durchaus demokratisch erledigen.
Duncan Forbes von der Swinburne Universität in Australien und Pavel Kroupa von der Uni Bonn haben nun ein ähnliches Problem präsentiert. Sie fragen sich, was man denn nun eigentlich unter dem Wort “Galaxie” versteht…
Diese Frage ist auf den ersten Blick genauso trivial wie die Frage nach der Bedeutung von “Planet”: eine Galaxie besteht aus einem Haufen Sterne die gravitativ aneinander gebunden sind. So wie unsere Milchstrasse, in der sich die Sonne und noch ein paar Milliarden andere Sterne befinden. Aber wenn man genau hinsieht, dann wird es schwierig. Denn es gibt ja auch Sternhaufen wie z.B. die Plejaden. Die befinden sich innerhalb der Milchstrasse und die Sterne dort sind auch untereinander gravitativ gebunden. Also eine Galaxie in der Galaxie? Und dann gibt es noch die Kugelsternhaufen. So wie Planeten einen Stern umkreisen, umkreisen Kugelsternhaufen eine Galaxie. Das können pro Galaxie einige hundert oder tausend sein. Sind Kugelsternhaufen auch Galaxien?
Und so wie 2005 die Entdeckung des heutigen Zwergplaneten Eris die Debatte um den Planetenstatus von Pluto erneut angestossen hat, sind es diesmal die “Ultra Compact Dwarfs (UCD)”. Das sind Sternsysteme die mit ihrer Größe typischerweise irgendwo zwischen Kugelsternhaufen und Galaxien liegen und es ist unklar, wie man sie klassifizieren soll. Vielleicht waren UCDs früher “echte” Galaxien die durch diverse Begegnungen mit anderen Galaxien viele Sterne verloren haben; solange bis nur noch ein Kern übrig blieb? Oder aber UCDs entstanden, als mehrere Kugelsternhaufen miteinander verschmolzen sind.
Forbes und Kroupa überlegen nun, wie man am besten definieren könnte, was eine Galaxie ist. Betrachtet man die diversen populären Definitionen, dann sind zwei Dinge klar. Eine Galaxie enthält Sterne und die sind gravitativ aneinander gebunden. Wikipedia zum Beispiel sagt:
“Als eine Galaxie (altgr.: γαλαξίας galaxías „Milchstraße”) wird in der Astronomie allgemein eine gravitativ gebundene große Ansammlung von Materie wie Sternen und Planetensystemen, Gasnebeln, Staubwolken und sonstigen Objekten bezeichnet. “
Aber das allein reicht nicht aus um klare Unterscheidungen in Sachen UCDs und Kugelsternhaufen zu treffen (die nach dieser Definition alle Galaxien wären). Forbes und Kroupa schlagen daher weitere Kritieren vor. Man kann sich zum Beispiel fragen welche Kräfte die Bewegung der Sterne hauptsächlich beeinflussen. Ist das das Gravitationspotential der Galaxie selbst? Oder sind es die nahen Begegnungen individueller Sterne? Das lässt sich durch die sogenannte “Two-Body-Relaxation Time” beschrieben. Je kleiner die ist, desto weniger spielt das Gravitationspotential des Sternsystems eine Rolle. Bei Galaxien wie unserer Milchstrasse ist diese Zeit größer als das bisherige Alter des Universums und das ist auch das Kriterium, das Forbes und Kroupa vorschlagen. Dann wären UCDs auch Galaxien; Kugelsternhaufen aber nicht.
Ein weiterer Vorschlag ist die Einführung eines simplen Größenkriteriums. Der sogenannte “Half-Light-Radius” soll mindestens 100 Parsec betragen. Das ist der Radius, der die Hälfte der gesamten Leuchtkraft der Galaxie enthält. Mit diesem Kriterium wären Kugelsternhaufen und UCDs keine Galaxien.
Man könnte auch fordern, dass eine echte Galaxie eine komplexe Sternpopulation enthalten muss. Unsere Milchstrasse beispielsweise enthält verschiedene Generationen von Sternen. Die ersten Sterne haben in ihrem Inneren durch Kernfusion schwere Elemente erzeugt und die bei Supernovaexplosionen ins All geschleudert. Es war noch genug Gas in der Galaxie übrig so dass dann daraus neuen Sterne entstehen konnten, die nun schon von Anfang an schwere Elemente enhielten und auch Planetensysteme aus schweren Elementen hatten. Kugelsternhaufen dagegen enthalten i.A. nur Sterne einer einzigen Generation. Bis auf die ganz großen; dort gibt es genug Gas für mehrere Populationen – und die müsste man dann auch als Galaxien klassifizieren.
Ein weiteres Kriterium wäre das Vorhandensein von dunkler Materie. Wir wissen aus der Messung von Sterngeschwindigkeiten, dass die Galaxien alle dunkle Materie enthalten; ansonsten wären die Geschwindigkeiten der Sterne viel kleiner als man sie tatsächlich mißt. Das folgt aus der Theorie zur Galaxienentstehung die besagt, dass die Galaxien in großen Haufen aus dunkler Materie entstanden (die damals nach dem Urknall früher strukturen entwickelte als die heißere normale Materie). Kugelsternhaufen aber entstehen anders und hier ist nicht viel dunkle Materie zu erwarten. Sie wären also keine Galaxien und je nachdem wie die UCDs entstanden sind gilt das auch für sie.
Als letztes Kriterium führen Forbes und Kroupa an, dass eine Galaxie ein Satellitensystem haben muss. Unsere Milchstrasse ist von vielen kleineren Galaxien (zum Beispiel die magellanschen Wolken) und Kugelsternhaufen umgeben. Bei den UCDs hat man bis jetzt keine Satelliten gefunden und sie wären demnach keine Galaxien.
Tja – was soll man nun machen? Was ist eine Galaxie? Forbes und Kroupa halten die “Two-Body-Relaxation-Time” für das beste Zusatzkriterium zur Definition einer Galaxie. Aber sie bitten auch alle Kollegen um ihre Meinung und haben extra eine Online-Umfrage eingerichtet. Dort kann jeder seine Meinung sagen und seine persönlichen Favoriten auswählen. Mal sehen wie es ausgeht. Die nächste Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union findet im August 2012 in China statt. Vielleicht wird dort ja dann schon offiziell über eine neue Definition von “Galaxie” abgestimmt.
Duncan Forbes, & Pavel Kroupa (2011). What is a Galaxy? Cast your vote here… Publications of the Astronomical Society of Australia arXiv: 1101.3309v1
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