Wenn man über Wissenschaft schreibt, dann sollte man nach Möglichkeit auf die Primärquellen zurückgreifen. Das bedeutet, man sollte den originalen Forschungsartikel lesen, den die Wissenschaftler in einer Fachzeitschrift veröffentlicht haben. Leider ist das nicht immer so einfach. Das Abonnement einer wissenschaftliche Fachzeitschrift ist meist enorm teuer (einige Tausend Euro pro Jahr) und Privatpersonen können sich das normalerweise nicht leisten – vor allem nicht, weil es tausende Fachzeitschriften gibt. Und leider wird nicht jeder Artikel von den Forschern auch auf frei zugänglichen Plattformen wie arXiv veröffentlicht. Keinen Zugriff auf wissenschaftliche Primärquellen zu haben ist ganz besonders nervig, wenn es um wirklich interessante und außergewöhnliche Forschungsergebnisse geht. Da möchte man dann wirklich die ganze Geschichte kennen, bevor man anfängt, darüber zu schreiben. In so einem Fall werden von den Verlagen der entsprechenden Fachzeitschriften meistens schon vor ab Informationen veröffentlicht, damit sich die Journalisten entsprechend vorbereiten können. Aber nicht jeder bekommt diese Nachrichten, die immer mit einer Sperrfrist versehen sind. Ich zum Beispiel nicht.
Wenn mich jemand nach meinem Job fragt, dann antworte ich meistens mit “Wissenschaftsautor”. Soll heißen: Ich verdiene mein Geld damit, über Wissenschaft zu schreiben. Das ist nicht gleichbedeutend mit “Wissenschaftsjournalist”. Mein Blog ist keine Online-Zeitung. Manche Texte, die ich hier veröffentliche, könnten auch in Zeitungen veröffentlicht werden (und manche wurden auch in Zeitungen veröffentlicht), manche definitiv nicht. An einen journalistischen Text werden ganz andere formale Ansprüche gestellt als an einen Blogartikel. Ich schreibe hier meistens aus einer ganz persönlichen und subjektiven Perspektive über Wissenschaft wohingegen man im normalen Journalismus mehr objektiv und unpersönlich schreiben sollte. Die Grenzen sind allerdings fließend.
Abgesehen von meinem Blog schreibe ich aber in letzter Zeit auch andere Texte. Und hier dann auch durchaus mit journalistischen Anspruch. Ich habe zum Beispiel Artikel in der Zeitschrift Interstellarum veröffentlicht (ein Magazin für Hobbyastronomen). Ich habe für das Online-Magazin des Spektrum-Verlags geschrieben. Ich habe Artikel in “Profil Wissen” veröffentlicht, einem österreichischen Wissenschaftsmagazin (vergleichbar vielleicht mit “Spiegel Wissen”). Ok, ich bin kein ausgebildeter Journalist. Und der Großteil meiner Arbeit besteht aus Texten, die ich nicht als “journalistisch” bezeichnen würde. Aber ich schreibe über Wissenschaft und manchmal mache ich das auf die gleiche Art, wie es die echten Wissenschaftsjournalisten tun und veröffentliche meine Texte auch entsprechend. Leider stehen mir aber nicht immer die gleichen Ressourcen zur Verfügung.
Als ich noch Wissenschaftler war, hatte ich über die Universität Zugriff auf die meisten wissenschaftlichen Fachzeitschriften (wenn auch nicht auf alle). Es war also kein Problem, an die Artikel zu kommen. Heute bin ich selbständig. Wenn ich wissenschaftliche Artikel lesen will, dann muss ich entweder auf die zurückgreifen, die von den Forschern bei freien Plattformen wie arXiv eingestellt werden (was viele netterweise tun, aber leider nicht alle). Oder ich muss mein Glück in den Bibliotheken versuchen. Hier bin ich in der gleichen Situation wie die normalen Journalisten (denke ich zumindest; ich vermute, dass sich die wenigsten Redaktionen ein teures Fachzeitschriftenabo leisten) und die Situation ist unbefriedigend. Es ist generell ein wenig seltsam, dass Literatur über wissenschaftliche Ergebnisse nur so teuer zu bekommen ist. Immerhin handelt es sich bei den Autoren um Wissenschaftler die ihre Artikel nicht schreiben, um damit Geld zu verdienen (darum hat diese Geschichte auch nur ganz am Rande mit der momentan herrschenden Urheberrechtsdebatte zu tun). Oft müssen die Wissenschaftler sogar noch bezahlen um ihre Artikel zu veröffentlichen. Beim Astronomical Journal zahlt man zum Beispiel pro 350 Wörter knapp 30 Euro (plus jeweils 30 Euro für jede Abbildung und jede Tabelle). Die Situation ist hier wirklich absurd. Die meisten Wissenschaftler werden aus staatlichen Geldern finanziert. Der Staat bezahlt also die Wissenschaftler damit diese forschen können. Und dann muss der Staat nochmal Geld bezahlen, um sich die Einsicht in die veröffentlichten Ergebnisse zu erkaufen (nachdem er vorher vielleicht sogar noch Geld bezahlt hat, um sie veröffentlichen zu dürfen). Dieses Problem ließe sich eigentlich recht leicht lösen. Bei Open-Access-Zeitschriften hat jeder Zugriff auf die veröffentlichen Artikel und der Verlag bekommt trotzdem sein Geld. Ich will aber eigentlich heute gar nicht über Open-Access reden.
Ich stelle mir gerade eine andere Frage: Wer ist wichtig genug, um Zugriff auf die schon oben erwähnten Nachrichten mit Sperrfrist zu haben? Wenn Wissenschaftler etwas wirklich Außergewöhnliches herausgefunden haben, dann gibt der Verlag der wissenschaftlichen Fachzeitschrift (in dem Fall ist es dann meistens Nature oder Science) eine Pressemitteilung heraus. Man kann dort den Artikel nachlesen und eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Die Pressemitteilung steht allerdings unter einem Embargo. Erst nach einem festgesetzten Datum darf man in der Zeitung darüber berichten. Damit soll gewährleistet werden, dass die Journalisten genug Zeit haben, um sich in Ruhe vorzubereiten und ausreichend zu recherchieren. Es besteht kein Zeitdruck vor der Konkurrenz zu veröffentlichen, weil sich ja alle an das Embargo halten müssen.
Es bekommt aber nicht jeder so einfach Zugang zu solchen Nachrichten mit Sperrfrist. Ich zum Beispiel erfahre davon erst dann, wenn auch der Rest der Welt darüber Bescheid weiß; dann, wenn die Zeitungen offiziell darüber berichten dürfen. Dann kann ich die diversen Zeitungsartikel lesen (aber oft nicht die wissenschaftliche Primärquelle; siehe oben). Das ärgert mich manchmal ein wenig. Da ich mein Geld damit verdiene, über Wissenschaft zu schreiben, würde ich auch gerne vorab von den interessanten Nachrichten erfahren. Das würde mir die Arbeit oft sehr erleichtern. Als ich noch ausschließlich Blogger und im Hauptberuf Wissenschaftler war, habe ich gar nicht erst versucht, mich bei den entsprechenden Informationsdiensten anzumelden. Mittlerweile sieht die Situation aber anders aus. Mittlerweile bin ich hauptberuflicher Wissenschaftsautor, ich habe – neben den vielen, vielen Texten für mein Blog – auch schon diverse Artikel über Wissenschaft für “echte” (und gedruckte! – das ist ja für viele ein wichtiger Unterschied) Zeitschriften veröffentlicht. Jetzt könnte ich eigentlich ausreichend qualifiziert sein, um auf Nachrichten mit Sperrfrist zugreifen zu dürfen. Dachte ich jedenfalls…
Vor einigen Tagen habe ich die Anmeldeformulare für EurekAlert! ausgefüllt. Dieser Dienst wird von der American Association for the Advancement of Science betrieben, die auch die Zeitschrift “Science” heraus gibt. EurakAlert infomiert vorab über die wichtigsten Ergebnisse verschiedener Zeitschriften und hat auch viele astronomischen Informationen im Angebot. Bei der Anmeldung musste man angeben, für wen man arbeitet oder ob man selbständig ist. Und man musste drei selbst geschriebene Artikel beilegen, die im letzten halben Jahr veröffentlicht wurde. Ich habe extra keine Blogartikel genommen sondern welche aus “richtigen” Zeitungen. Hat aber nichts genutzt, heute wurde mein Antrag trotzdem abgelehnt. Die Gründe waren nicht ganz klar formuliert – die Email die ich bekam sah etwas nach einem Formschreiben aus. Da stand etwas von “reporters, editors, or producers who have, or appear to have, or who work for entities that have, or appear to have, conflicting industry or business-related affiliations, or a substantial commercial purpose other than the public dissemination of news.” die keinen Zugang zu den Nachrichten mit Sperrfrist bekommen. Was genau nun davon auf mich zutreffen soll, wurde leider nicht spezifiziert (ich habe aber mal nachgefragt – vielleicht haben sie mich wegen meiner Texte für das Fraunhofer Forschungs-Blog für einen dort arbeitenden Wissenschaftler gehalten; Wissenschaftler kriegen nämlich auch keinen Zugriff auf die Nachrichten).
Ich scheine allerdings nicht der erste Blogger zu sein, der Probleme in diesem Bereich hat. Andere haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch bei anderen Zeitschriften, wie zum Beispiel “Nature”, scheinen Blogger (selbst wenn sie für renommierte Zeitschriften schreiben), keinen Zugang zu Nachrichten mit Sperrfrist zu bekommen. Bevor ich mich jetzt also noch weiter frustrieren lasse und andere Medien kontaktiere, dachte ich, ich frage mal die mitlesenden Journalisten und Journalistinnen (ich weiß, dass es ein paar davon gibt):
- Welche Möglichkeiten habt ihr, um auf wissenschaftliche Artikel zuzugreifen?
- Bekommt ihr vorab Informationen über Artikel mit Sperrfrist?
- Wenn ja, wie musstet ihr euch dafür qualifizieren?
Ich fordere jetzt nicht, dass jeder, der irgendwo ein Blog aufgemacht hat, Zugriff auf Nachrichten mit Sperrfrist bekommen muss (obwohl man natürlich darüber diskutieren kann, ob die ganze Embargo-Geschichte überhaupt noch sinnvoll ist). Ich kann durchaus auch so weiter schreiben wie bisher. Aber es interessiert mich schon, was jemanden qualifiziert, vorab informiert zu werden. Wenn ihr also mit diesem Thema schon mal zu tun hattet, dann würde ich mich freuen, von euren Erfahrungen zu hören!
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