Bei den meisten Fragen aus meiner Serie “Fragen zur Astronomie” geht es um die eher “spektakuläreren” Themen wie schwarze Löcher oder den Urknall. Aber kürzlich habe ich eine Frage gestellt bekommen, die sich mit simplen Sternen beschäftigt und trotzdem sehr interessant ist. Es geht darum, wie weit wir eigentlich blicken können: Wie heißt der fernste Stern, den wir ohne technische Hilfsmittel und nur mit dem nackten Auge gerade noch sehen können?.
Klingt eigentlich ziemlich simpel. Immerhin gibt es ja jede Menge Sternkataloge und da müsste man sich dann halt einfach nur den entsprechenden Stern raus suchen, oder? Theoretisch ist das so – aber in der Realität ist das, wie so oft, ein wenig komplizierter.
Zuerst muss man mal definieren, was man mit “fernster Stern” eigentlich meint. Am nächtlichen Himmel sind zwar tatsächlich hauptsächlich Sterne zu sehen. Aber eben nicht nur… neben Planeten und Satelliten (die uns im Rahmen dieser Frage nicht interessieren) sind da auch noch die Galaxien. Auf der Südhalbkugel der Erde kann man die beiden Magellanschen Wolken mit freiem Auge beobachten. Das sind zwei kleine Zwerggalaxien in einer Entfernung von etwa 170.000 beziehungsweise 200.000 Lichtjahren. Auf der Nordhalbkugel können wir unter guten Bedingungen die 2,5 Millionen Lichtjahre entfernte Andromedagalaxie sehen und auch den 2,8 Millionen Lichtjahren entfernten Dreiecksnebel, bei dem es sich ebenfalls um eine Galaxie handelt. Und wenn man ein sehr guter und erfahrener Beobachter ist und extrem gute Beobachtungsbedingungen hat, kann man eventuell auch noch andere Galaxie mit bloßem Auge erkennen, zum Beispiel die 12 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie Centaurus A oder Messier 83 mit einer Entfernung von 15 Millionen Lichtjahre. Und das, was wir sehen, wenn wir diese Galaxien sehen, sind natürlich die Sterne, die in ihnen leuchten. Natürlich können wir mit unseren Augen diese Sterne nicht in einzelne Objekte auflösen und wir sehen auch nur den Gesamteindruck aller Sterne, die normalerweise auch keine eigenen Namen oder Katalogbezeichnungen haben.
Bei der Frage nach dem fernsten, noch sichtbaren Stern geht es aber meistens nicht um ferne Galaxien, sondern echte Sterne die als einzelne Objekte gesehen werden können und die einen halbwegs vernünftigen Namen oder zumindest eine brauchbare Bezeichnung haben. Diese Sterne befinden sich dann auch alle innerhalb unserer eigenen Galaxie – aber kompliziert bleibt die Sache trotzdem. Denn viele Sterne, die wir am Himmel als einzelnen Lichtpunkt sehen können, sind in Wahrheit Doppel- oder Mehrfachsternsysteme die wir mit unseren Augen nicht auflösen können. Es gibt auch viele veränderliche Sterne, die ihre Helligkeit stark ändern können. Aber einigen wir uns mal darauf, das alles zu ignorieren. Dann brauchen wir erst Mal einen passenden Katalog. Den findet man bei Simbad, dem Service des Centre de Données astronomiques de Strasbourg (CDS), einer der Standardquellen für astronomische Daten (und das trotz des grauenhaften User-Interface).
Bevor wir uns dort aber auf die Suche machen, müssen wir noch klären, wie hell ein Stern eigentlich sein muss, damit er noch mit freiem Auge zu sehen ist. Auch hier gibt es keine eindeutige Antwort. Die Grenzgröße hängt stark von der individuellen Sehfähigkeit ab und natürlich auch von den Beobachtungsbedingungen und dem Ausmaß der Lichtverschmutzung. An extrem dunklen Orten ist es unter Umständen möglich, Sterne bis zur achten Größenklasse (zur Definition der Größenklassen siehe hier) mit freiem Auge zu sehen; typischerweise geht man aber davon aus, dass Sterne ohne technische Hilfsmittel nur bis zur sechsten Größenklasse (je kleiner die Größenklasse, desto heller der Stern) freiäugig sichtbar sind. Ich habe daher in der Simbad-Datenbank nach allen Sternen mit mindestens 6. Größenklasse gesucht (hier ist ein Link mit der entsprechenden Abfrage). Dann bekommt man eine lange Liste mit jeder Menge Daten (die man sich über ein weiteres kompliziertes und benutzerunfreundliches Formular organisieren kann) – uns interessiert aber nur der Abstand. Der ist hier nicht in Form von Lichtjahren angegeben, sondern als “Parallaxe” in Millibogensekunden. Die Parallaxe ist die scheinbare Verschiebung der Sterne vor dem Hintergrund, die durch die Bewegung der Erde und den damit verbundenen Wechsel in der Blickrichtung (siehe hier) verursacht wird. Je größer die Parallaxe, desto näher der Stern und für vergleichsweise nahe Sterne (also die innerhalb unserer eigenen Galaxie) ist die Parallaxe die genauste und beste Methode der Entfernungsbestimmung. So sieht meine Liste mit den Sternen aus:
Die kleinste Parallaxe und damit die größte Entfernung hat hier der Stern mit dem Namen chi Aur. Das steht für Chi Aurigae, ein Stern im Sternbild “Fuhrmann” (Auriga). Er ist tatsächlich mit freiem Auge sichtbar und ungefähr 3000 Lichtjahre weit weg. Und das “ungefähr” ist das Problem: Sieht man sich den Katalogeintrag des Sterns im Detail an, dann findet man dort auch die Fehlergrenzen für die Parallaxenmessung. Bei chi Aur beträgt der Fehler 0,23 Millibogensekunden und das bei einem Messwert von 0,01 Millibogensekunden. Im wesentlichen heißt das nichts anderes als dass die Messung der Parallaxe hier unbrauchbar ist und eine exakte Entfernung unbekannt. Das gleiche Problem trifft man auch bei den meisten anderen Sternen am Anfang dieser Liste. Da wäre zum Beispiel V* R CrB: Das ist R Coronae Borealis, ein gelber veränderlicher Riesenstern der mit freiem Auge sichtbar und etwa 6200 Lichtjahre weit weg ist. Oder auch nicht, denn auch hier beträgt der Fehler der Parallaxenmessung ein Vielfaches des eigentlichen Messwerts. In der Liste kann man auch noch Sterne mit größeren Entfernungen finden. Rho Cassiopeiae (rho Cas) zum Beispiel, mit einer Entfernung von ungefähr 10.000 Lichtjahren und einem Fehler in der Parallaxenmessung von 0,28 Millibogensekunden bei einem Messwert von 0,21 Millibogensekunden…
Der erste Stern in dieser Liste, der eine halbwegs genau gemessene Parallaxe hat, ist P Cygni. Mit einer Helligkeit von 4,8 Größenklasse ist dieser blaue, veränderliche Stern mit freiem Auge sichtbar und er liegt zwischen 6000 und 7000 Lichtjahren entfernt. Ein weiterer Kandidat für unsere Antwort ist Nu Cephei, ein Mehrfachsternsystem in ungefähr 7000 Lichtjahren Entfernung. Aber wie schon gesagt: Eine eindeutige Antwort werden wir sowieso nicht finden. Wenn wir zum Beispiel doch über das Limit der 6. Größenklasse hinaus gehen, dann wäre da noch der Pistolenstern, ein Hyperriese mit 7. Größenklasse in 25.000 Lichtjahre Entfernung. Und was ist eigentlich mit Supernova-Explosionen? Auch das sind Sterne, die zumindest sehr kurz freiäugig sichtbar sind und das sogar in fernen Galaxien. Den Gammablitz GRB 080319B konnte man kurzfristig mit freiem Auge sehen und das obwohl der explodierende Stern 7,5 Milliarden Lichtjahre weit weg war…
Um am Ende aber doch noch eine Antwort zu geben, entscheide ich mich hier für den Stern P Cygni. Der befindet sich im Sternbild Schwan, das man am Himmel leicht finden kann; hat eine interessante Geschichte; gehört zu den seltenen Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen Sternen und hat sogar einem astrophysikalischen Phänomen einen Namen gegeben (den P-Cygni-Profilen von Spektrallinien). Ein interessanter Stern also über den man viel erzählen kann, während man in der Nacht den Himmel beobachtet. Und da gibt es so viele schöne Sachen zu sehen, dass es eigentlich gar keine Rolle mehr spielt, wie weit sie entfernt sind…
Mehr Antworten findet ihr auf der Übersichtsseite zu den Fragen, wo ihr selbst auch Fragen stellen könnt.
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