Wenn man als Astronom in den Medien auftauchen will, muss man entweder etwas beeindruckendes entdecken (am besten eine “zweite Erde”). Oder man erklärt dass dunkle Materie und dunkle Energie nicht existieren. Aus irgendeinem Grund ist das ein sicherer Garant für Schlagzeilen und Aufmerksamkeit. Vielleicht liegt es daran, dass viele Leute nicht verstehen was die Astronomie mit diesen Begriffen tatsächlich meint und was nicht (siehe dazu hier und hier). Vielleicht spielt auch Schadenfreude eine gewisse Rolle – und vermutlich auch die Abneigung die viele Menschen gegenüber den komplexen und alltagsfernen Konzepten der modernen Naturwissenschaft verspüren und der Wunsch nach einer anschaulichen und leicht verständlichen Erklärung der Welt.
Was auch immer der Grund ist: Wenn ein Wissenschaftler irgendwo erklärt, dass Dunkle Materie und/oder Dunkle Energie gar nicht wirklich existieren ist ihm die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit sicher. So auch André Maeder von der Uni Genf, der kürzlich verkündet hat, er könne die Beobachtungen der modernen Astronomie auch ganz ohne die Konzepte von dunkler Materie und dunkler Energie erklären.
Es geht dabei um den Artikel “Dynamical effects of the scale invariance of the empty space: The fall of dark matter ?” Darin kommt Maeder zum dem Schluss:
“Thus, we tend to conclude that neither the dark energy, nor the dark matter seem to be needed in the proposed theoretical context.”
Er neigt also zu der Schlussfolgerung, dass weder dunkle Materie noch dunkle Energie nötig wären – was natürlich absolut möglich ist. Die ersten Hinweise auf die Existenz dunkler Materie fand man in den 1930er Jahren. Galaxien bewegten sich nicht so wie es eigentlich erwartet wurde. Dafür konnte es zwei Ursachen geben: Entweder es gibt im Universum Materie die wir mit den normalen Methoden nicht beobachten können und deren Gravitationskraft die Galaxien beeinflusst. Oder aber die mathematischen Gesetze mit denen wir die Bewegung der Galaxien berechnen sind nicht korrekt. In den Jahrzehnten seit damals fand man immer mehr Belege für das beobachtete Phänomen und verfolgte beide Erklärungsansätze weiter. Die Hypothese der unentdeckten Materie war dabei erfolgreicher als die eines modifizierten Gravitationsgesetzes; es gab auch jede Menge Beobachtungen und Erkenntnisse anderer Disziplinen (Teilchenphysik, Kosmologie, …) die unabhängig von der Astronomie zum gleichen Ergebnis kamen. Deswegen sind die Astronomen heute mehrheitlich der Meinung, dass es sich bei dunkler Materie tatsächlich um eine noch unbekannte Materieform handelt. Natürlich kann es sich dabei um einen Irrtum handeln; natürlich kann es immer noch sein dass eine neue Theorie zur Beschreibung der gravitativen Wechselwirkung das Rätsel auf andere Weise löst.
Bei der dunklen Energie sieht die Lage ähnlich aus. Aber in beiden Fällen können die Astronomen auf Jahrzehnte an Beobachtungsdaten und theoretischer Forschung zurück greifen. Unmengen an Experimenten, Satellitenmessungen, Daten, Beobachtungen und mathematischen Theorien haben zusammen ein Bild des Universums geliefert, in der dunkle Materie eine absolut relevante Rolle spielt. Wer dieses Bild neu zeichnen will, muss all das erklären können was der Status Quo erklärt. Es ist nicht unmöglich, das in einem einzigen 20seitigen Artikel wie dem von Maeder zu tun. Es ist aber sehr unwahrscheinlich… So weitreichende Hypothesen wie die der dunklen Materie und Energie, die so viele Verbindungen zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen haben und so viele Auswirkungen auf andere Forschungsgebiete, revolutioniert man nicht so einfach. Man kann sie nicht so einfach abschaffen oder ersetzen. Das braucht viel und sehr sorgfältige Arbeit, die all das berücksichtigt was man in den letzten Jahrzehnten herausgefunden hat.
Wie sieht das nun bei der Arbeit von Maeder aus, die in den letzten Wochen durch die Medien sauste (“Schweizer Astronom schlägt revolutionäre Theorie vor”, “Forscher zweifelt an Existenz von Dunkler Materie und Dunkler Energie”, “New Physical Theory Explains The Universe Without Dark Energy Or Dark Matter”, “Are Dark Matter, Dark Energy Real? Theory Calls Their Existence Into Question”, “Dark Matter and Energy Don’t Exist: Astronomer Claims to Solve Universe’s Greatest Mysteries With New Model”, “Do dark matter and dark energy exist?”)? Um das zu beurteilen fehlt mir die Qualifikation; ich bin Experte für Asteroiden und Himmelsmechanik und nicht für Kosmologie (obwohl André Maeder selbst laut seiner Homepage selbst auch “nur” Experte für Sternentwicklung ist). Aber immer wenn es um Fragen aus dem Gebiet der Teilchenphysik oder der Kosmologie geht ist die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder die ideale Anlaufstelle.
Sie ist Expertin für all diese Gebiete und erklärt sie auf ihrem Blog netterweise auch allen interessierten Leuten. Kürzlich hat sie dort auch Maeders Artikel genauer betrachtet. Die Kurzversion ihres Fazits lautet:
“For those of you who merely want to know whether you should pay attention to this new variant of modified gravity, the answer is no. The author does not have a consistent theory. The math is wrong.”
Maeders Theorie einer modifizierten Gravitation, mit der er dunkle Materie und dunkle Energie ersetzen will ist also keine konsistente Theorie und mathematisch falsch. Sabine erklärt die Probleme natürlich auch noch ein wenig detaillierter, aber wer nicht wirklich viel Ahnung von dem Thema hat wird mit den Details der Erklärung nicht viel anfangen können. Die dafür nötige Mathematik ist wirklich knifflig! Und das ist auch das Problem an der ganzen Sache, wie Sabine Hossenfelder am Ende ihres Artikels schreibt:
“Maeder’s papers have a remarkable number of observational fits and pretty plots, which I guess is why they got published. He clearly knows his stuff. He also clearly doesn’t know a lot about modifying general relativity. But I do, so let me tell you it’s hard. It’s really hard. There are a thousand ways to screw yourself over with it, and Maeder just discovered the one thousand and first one.”
Ich will nicht ausschließen, dass irgendwann doch noch mal eine modifizierte Theorie der Gravitation auftaucht die uns zeigt das wir dunkle Materie und dunkle Energie nicht brauchen. Ich gehe zwar mit der Mehrheit der Astronomen davon aus dass da wirklich noch eine unbekannte Form von Materie auf ihre Entdeckung wartet – aber ich bin auch offen für Alternativen. Offen und auch gleichzeitig skeptisch – eben der typische Balanceakt in der Naturwissenschaft. Aber wenn diese modifizierte Theorie der Gravitation einmal auftaucht, dann höchstwahrscheinlich nicht von einem Tag auf den anderen in einem Akt genialer Eingebung (selbst Einstein hat für seine Gravitationstheorie mehrere Jahre Arbeit benötigt). Es wird ein langer Prozess sein an dem viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt sind. Und idealerweise hält man sich dabei mit großen Behauptungen über revolutionäre Umbrüche so lange zurück bis die Sache wirklich klar ist…
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