Keine Angst, das Lesen von Wissenschaftsblogs gefährdet die Gesundheit in keinster Weise. Aber ergeben sich durch das Blogging Gefahren für die wissenschaftliche Karriere des Bloggers?


Eine interessante Frage, die vor kurzem von Bloggerkollege Björn vom „Tiefen Leben” gestellt wurde, und die ja zu einigen heftigen Diskussionen (vor allem außerhalb von ScienceBlogs) führte. Björn hatte die These in den Raum geworfen, dass gerade das Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und dem Versuch, Forschung allgemeinverständlich zu erklären, für die Karriere des Bloggers nicht unbedingt förderlich sein könnte, da gerade in der karrierewichtigen Gruppe der „gestandenen Wissenschaftler” solche quasi-populärwissenschaftlichen Texte häufig auf Mißfallen stoßen, vor allem wenn sie vielleicht auch noch kleinere Fehlerchen enthalten.

Diesem Gedankengang kann man zunächst einmal nicht widersprechen. Da ich die Diskussion auch angesichts der Zukunft des Wissenschaftsbloggings für sehr wichtig halte, möchte ich an dieser Stelle den Faden aufgreifen und noch ein wenig weiterspinnen. Denn aus meiner Sicht gibt es vor allem vier Gründe, die karriereorientierte Wissenschaftler vom Bloggen abhalten könnten.

1) Blogging gilt als Zeitverschwendung. Ein Blogpost kann zwar unter günstigen Bedingungen sehr viel mehr Menschen erreichen als ein Fachartikel oder ein in einem Tagungsband veröffentlichtes Paper, auch ein jahrelang betriebener Blog mit hunderten von Einträgen und tausenden von Lesern trägt aber nichts zur für die wissenschaftliche Karriere so wichtigen Publikationsliste bei. Da Blogartikel keinen Peer Review durchlaufen und zudem (in der Regel) nirgendwo in gedruckter Form erscheinen, gelten sie (zu Recht) nicht als wissenschaftliche Veröffentlichungen im engeren Sinn. Dies führt zu einer Situation, in der ein einzelner Fachartikel, auch wenn er nur zwei Seiten lang ist und nur von einer Handvoll an Kollegen gelesen wird, für die Hochschul-Karriere förderlicher sein kann, als aberdutzende von seitenlangen Blogposts mit vielen tausend Views.

Die meisten karriereorientierten Wissenschaftler hegen und pflegen ihre Publikationsliste ja bekanntlich mit Hingabe, was ich natürlich an dieser Stelle nicht schlecht reden möchte (vor allem, da ich es ja selbst kein bisschen anders mache). Bei vielen Kollgen gilt Blogging aber genau aus diesem Grund leider auch als „Zeitverschwendung”, da man die in die Blogposts investierte Schreibarbeit ja genausogut in „echte” Publikationen hätte investieren können, durch die sich die eigene Liste von Veröffentlichungen dann verlängert hätte.

Und wie wichtig diese Publikationsliste an der Uni ist, das zeigt uns gerade heute mal wieder ein besonders trauriger Artikel aus dem SPIEGEL: Professor aus Bonn veröffentlicht Examesarbeit seiner Studentin unter eigenem Namen.

2) Fehler sind lange nachvollziehbar. So ein Blogpost kann sich ja ganz schnell verselbständigen: Andere Blogger zitieren den eigenen Beitrag, über Blog-Netzwerke wird der Beitrag weiter verbreitet und manchmal landet er auch auf fremdsprachigen Webseiten – die ScienceBlogs.de-Blogposts werden ja erfreulicherweise zum Teil auch schon beim „großen Bruder” ScienceBlogs.com „re-publiziert”. Wenn man als Blogger also mal einen „wissenschaftlichen Bock” schießt, besteht in der Tat die Gefahr, dass man diesen Fehler auch in zehn Jahren noch auffinden kann, wenn man den Namen des Autors recherchiert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der eigene Artikel in anderen Blogs nach allen Regeln der Kunst “auseinandergenommen” und dabei auch der Name des Autors genannt wird. Und da auch in den Personalabteilungen und Berufungsgremien der Hochschulen inzwischen eine Internetrecherche nach Bewerbernamen zum Standardrepertoire gehört, setzt sich der Blogger natürlich der Gefahr aus, irgendwann einmal von einem fehlerhaften Blogpost eingeholt zu werden.

Ein Fachartikel, der vor zehn Jahren einmal in einem obskuren Tagungsband veröffentlicht wurde, ziert dagegen zwar heute immer noch die Liste der eigenen Publikationen, ist aber kaum noch real auffindbar (und selbst wenn, wäre sowohl die Recherche danach als auch die Lektüre mit großen Mühen verbunden). Die Kritik am eigenen Blogpost, gerade wenn sie „farbenfroh” ausfällt („Blogger XY hat keinen blassen Schimmer von Physik”) ist dagegen bei der Namensrecherche schnell gefunden und flott gelesen.

3) Blogs haben sich als Medium für die Wissenschaftkommunikation noch nicht etabliert. Viele ältere Kollegen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen assoziieren „Blogging” mit unseriösem “Online-Jokus” und können sich nur schwer dazu überwinden, das Betreiben eines Blogs als legitime Form der wissenschaftlichen Kommunikation zu akzeptieren. Solange sich dies nicht ändert, werden bloggende Wissenschaftler von manchen ihrer Kollegen immer ein wenig “von oben herab” belächelt und für ihre Tätigkeit eventuell auch kritisiert werden, gerade eben weil, wie ja bereits geschrieben, das Blogging auch als Zeitverschwendung sowie als Beleg “mangelnder Ernsthaftigkeit” gilt und ein Blog nun mal mit größerer Wahrscheinlichkeit auch noch den einen oder anderen Fehler enthält….

4) Man könnte ja mal was falsches sagen. Die Angst irgendwann einmal etwas wirklich “falsches” zu schreiben oder zu sagen ist – wie bei jedem anderen auch – natürlich ebenso bei Wissenschaftlern vorhanden. Gerade im wissenschaftlichen Bereich muss man aber gegenüber einigen Kollegen sehr vorsichtig argumentieren wenn es um bestimmte “heikle” Themen geht. Sich über Lücken in der Evolutionstheorie auslassen? Geht nicht. Den Klimawandel in Frage stellen? Geht überhaupt nicht (siehe Kommentare). Einen Artikel zum besonders „beliebten” Themenbereich “Religion und Wissenschaft” verfassen, bei der am Ende nicht die Wissenschaft als klarer moralischer und intellektueller Sieger dasteht? Das geht natürlich schon mal gar nicht.

Nicht dass ich hier falsch verstanden werde – ich zweifle weder an der Evolution an sich noch am antrophogenen Klimawandel. Dennoch gestehe ich es meinen Kollegen (und natürlich auch allen anderen) durchaus zu, eine andere Auffassung zu vertreten und bin stets gewillt, mich auf eine offene, höfliche und vernünftige Diskussion zu diesem oder einem anderen Thema einzulassen und mich dabei auch ernsthaft mit den Argumenten der “Gegenseite” zu beschäftigen. Leider kenne ich auch Kollegen, die diesbezüglich anderer Auffassung sind und dazu tendieren jeden Wissenschaftler oder auch Laien, der eine ihnen nicht genehme These vertritt, persönlich anzugreifen. Für den Laien ist das nicht so schlimm (bloß ärgerlich und vorurteilsfördernd), für den Wissenschaftler dagegen kann es durchaus erhebliche Folgen haben, denn wie schon im zweiten Punkt dargestellt, ist besonders die “farbenfrohe” und ätzende Kritik auch nach vielen Jahren noch leicht auffindbar. Und wer möchte schon so viel negatives über sich im Web lesen?

Was aber ist das Fazit? Sollten Wissenschaftler etwa nicht mehr bloggen? Ganz im Gegenteil – sie sollten! In dem Maße, in dem die Bedeutung der Blogosphere für die wissenschaftliche Kommunikation zunimmt, werden sowohl der erste als auch der dritte “Gefahrenpunkt” verblassen.

Was die bessere Sichtbarkeit von Fehlern angeht – die wird bleiben, denn ein Blogpost durchläuft nun mal keinen Peer Review – und das ist auch gut und richtig so. Wissenschaft muss aber nach “draußen”, sie muss zu den Menschen in die Mitte der Gesellschaft und sie muss die Menschen auch miteinbeziehen können. Hierfür ist es unumgänglich, dass sich die Außendarstellung der Wissenschaft wandelt und Ziele und Inhalte besser kommuniziert werden. Dies ist weder durch Hochglanz-PR zu erreichen, noch durch aus wissenschaftlicher Sicht perfekt aufbereitete Inhalte, die aufgrund ihrer Form und der Art der Publikation “draußen” gar nicht wahrgenommen werden.

Nicht dass ich falsch verstanden werde: Beides, sowohl die PR zur Imageverbesserung als auch vor allem die reinwissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Förderung des akademischen Diskurses, sind gut und notwendig. In beiden Fällen aber wird die Öffentlichkeit selten aktiv miteinbezogen, denn auch gut gemachte PR hat nun mal nur einen Sender und viele Empfänger (oder eine Quelle und viele Senken, wie meine Ingenieurskollegen sagen würden) und bei “internen” wissenschaftlichen Diskussionen sind die Einstiegshürden bezüglich des Vorwissens und der Akzeptanz so hoch, dass man als Nicht-Wissenschaftler kaum ernsthaft teilnehmen kann.

Gerade dieser Austausch ist aber dringend notwendig – und Blogs könnten hier der Schlüssel zum Erfolg sein. Ein Blog gestattet es dem Wissenschaftler, von den strengen Regeln der Publikation unbelastet über seine Arbeit und seine Gedankenwelt zu fabulieren – und dem Leser wird es im Gegenzug ermöglicht, Fragen aller Art zu stellen und über die Ergebnisse sowie den Sinn und Unsinn einzelner Forschungsprojekte mit den Forschenden selbst zu diskutieren.

Insofern ist es natürlich schade, dass mit dem Blogging für den einen oder anderen Wissenschaftler auch “Schattenseiten” verbunden sein könnten. Letzten Endes bin ich mir aber sicher, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem die Mehrzahl der Hochschul- und Institutsleitungen Blogs als wichtigen Bestandteil der Außenkommunikation entdecken und nutzen werden. Und spätestens dann dürfte die Ansicht, dass Wissenschaft und Blogging nicht zusammenpassen, endgültig der Vergangenheit angehören.

Um schlussendlich den letzten Punkt – die “heiklen Themen” – nicht außer Acht zu lassen: Dieses Problem stellt meines Erachtens nach die größte “Gefahrenquelle” für die Zukunft des Wissenschaftsbloggings dar. Sich gegenseitig an die Gurgel gehende Wissenschaftler haben zwar einen gewissen Unterhaltungswert, wenn man den abzieht bleibt aber leider nicht mehr viel Substanz übrig. Die Kultur nicht nur des wissenschaftlichen Diskurses sondern auch des Austausches zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit wird sich noch an die Anforderungen des Informationszeitalters anpassen müssen. Früher war es vielleicht für den Einzelnen nur schwer möglich, sich “wissenschaftlich” auf dem Laufenden zu halten oder den Austausch mit Forschern zu suchen, heute ist dies dank des Internets jedoch kein Problem mehr – und das ist zunächst einmal eine erfreuliche Entwicklung. Nun stehen aber wir Wissenschaftler in der Bringschuld und müssen unsere Dialogfähigkeit beweisen.

Ich bin mir jedenfalls nicht zu schade, beispielsweise mit Christen (zu denen ich selber gehöre) oder anderen religiösen Menschen über Wissenschaft und Glauben zu diskutieren und dabei nicht jeden mit “ad hominem”-Argumenten zu belegen oder seine Meinung als wertlos zu verwerfen, weil er in die Kirche geht / keinen akademischen Grad vorweisen kann / eine andere Meinung vertritt etc. Aber mit dieser Einstellung bin ich ja (zum Glück) nicht alleine – und da immer mehr Wissenschaftler die Blogosphere für sich entdecken, sehe ich der Zukunft hoffnungsvoll entgegen.

Schreiber und Leser von Wissenschaftsblogs, die zu dieser Thematik ihre eigenen Argumente beisteuern möchten, seien an dieser Stelle natürlich herzlich auf die Kommentarfunktion des “Frischen Winds” verwiesen. Wer sich zudem umfassender in die Diskussion mit einbringen möchte, erhält im Wissenschaftsblog-Diskussionsforum von Monika Armand die Möglichkeit, genau dies zu tun. Darüber hinaus lohnt sich natürlich auch immer ein Blick in die Wissenswerkstatt von Marc Scheloske, in der ebenfalls stets auf hohem Niveau über die (hohe) Kunst des Wissenschaftsblogging philosophiert wird.

In diesem Sinne: Lasst uns den Dialog fortsetzen!

Kommentare (6)

  1. #1 florian
    18. März 2008

    Sehr interessantes Thema! Kann Bloggen wirklich so “gefährlich” für die Karriere sein? Also während meiner bisherigen Laufbahn als Wissenschaftler war Bloggen noch nie ein Thema. Die meisten “gestandenen Wissenschaftler” die ich persönlich kenne, würden das Bloggen vermutlich eher gut finden – aber es ist klar, das man das nicht verallgemeinern kann. Es wird wohl leider sehr viele Wissenschaftler geben, die das wirklich nicht gut finden. Hier ist das Argument “Zeitverschwendung” vermutlich ausschlaggebend. Für mich ist das unverständlich: meiner Meinung nach hat ein Wissenschafler 3 hauptsächlich Aufgaben: Forschung, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit. Im Allgemeinen ist es wohl so, dass der Großteil der Leute die meiste Energie in die Forschung stecken; ihre vertragliche Verpflichtung zur Lehre gezwungermaßen erfüllen und sich so gut wie gar nicht um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern. Für mich sind alle 3 Bereiche mehr oder weniger gleich wichtig! Das Forschung wichtig ist, ist klar. Ebenso ist die Lehre nichts, das man einfach so unmotiviert nebenbei laufen lassen soll – gute Lehre bringt gute, motivierte Studenten! Das ist generell wichtig – aber auch, um Nachwuchs fürs eigene Team zu bekommen. Öffentlichkeitsarbeit ist wohl leider der Punkt, der am meisten vernachlässigt wird – und das ist ein gravierender Fehler! Den durch fehlende Öffentlichkeitsarbeit wird die Kluft zwischen Forschern und Bevölkerung immer größer – und die eher wissenschaftsfeindliche Stimmung in der Gesellschaft kommt sicher nicht von irgendwo! Bloggen fällt für mich in die Kategorie Öffentlichkeitsarbeit. Neben Tagen der offenen Tür, Vorträgen, Führungen etc ist das ein Weg, wie jeder Wissenschaftler individuell seine Forschung der breiten Masse näherbringen kann. Eigentlich sollte jeder Wissenschaftler bloggen… Die “Zeitverschwendung” ist wahrscheinlich der Grund, warum viele das nicht tun, auch wenn sie vielleicht kein prinzipielles Problem damit haben. Die aktuelle Forschungs- und Förderungslandschaft nimmt nämlich (fast) keinerlei Rücksicht auf Lehre und Öffentlichkeitsarbeit. Projektgelder, Stipendien, Positionen, etc. werden so gut wie ausschließlich anhand der Forschungsarbeit vergeben. Ob jemand gute oder schlechte Vorlesungen hält; ob sich jemand in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert spielt dabei keine Rolle. Im schlimmsten Fall wird entsprechendes Engagement (Bloggen) sogar noch negativ gewertet. Ich glaube, hier ist ein Umdenken nötig: ein Wissenschaftler ist keine “Forschungsmaschine”! – Genauso wichtig ist es (zumindest meiner Meinung nach) die Forschung und deren Ergebnisse zu vermitteln (an Studenten und die Öffentlichkeit). Wenn sich die Richtlinien, nach denen ein Forscher beurteilt wird, so ändern, das auch mehr Wert auf Lehre und Öffentlichkeitsarbeit gelegt wird, dann wird auch Bloggen kein Problem mehr sein. Das einzige, um das sich ein wissenschaftlicher Blogger dann noch kümmern muss, ist der Inhalt (Punkte 2) und 4) in der Aufzählung der Gefahren). Aber für den ist man sowieso immer selbst verantwortlich – egal, ob man ein Paper schreibt, einen Vortrag hält oder einen Blogeintrag schreibt…

  2. #2 Soziobloge
    18. März 2008

    Die Gefahren sind sicher gegeben. Doch sollten die Wissenschaftler mal nachdenken, wie sie wissenschaftlichen Diskurs definieren. Da stimm ich dir zu. Meiner Meinung nach sollte das nämlich nicht bedeuten, den anderen einfach fertig zu machen und notfalls persönlich zu werden.

    Gerade für die Geisteswissenschaften sehe ich hier eine Chance etwas mehr für ihr Ansehen zu tun.

    Zum Thema, etwas falsches zu schreiben. Ich frage mich wie jemand auf die Idee kommen kann, als Wissenschaftler die Wahrheit gepachtet zu haben. Wer sowas meint, sollte lieber Geistlicher werden.Wissenschaft ist nunmal nicht so sicher wie die Bibel und Irrtümer gabs immer und wird es immer geben. Aus Fehlern lernt man schließlich.

    Vielleicht sollte man mal eine Studie zur Wissenschaftswelt machen…

  3. #3 L. Carone
    19. März 2008

    Wir sollten mal definieren, welche Formen der Diskurse es gibt und welche fruchtbar sind und welche nicht.

    Das mit den Meinungen ist so eine Sache…Meinungen gibt es im Dutzend und wer eine findet, darf sie behalten. Kommt schon: Wie oft bilden wir uns ein Urteil aufgrund falscher – um nicht zu sagen – irreführender Daten oder wie oft reden wir nur das nach, was jemand anderer mal gesagt hat.

    Ist das dann gleichwertig mit einer Meinung, die auf einem fundierten, langwierigen und durchdachten Lernprozess beruht?

    Wenn ich was über die Venus sage, dann hat das alleine deswegen mehr Hand und Fuß als das, was eine beliebige Person in der Fußgängerzone zur Venus weiß, weil ich mich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt habe. Während der in der Fußgängerzone vielleicht noch nicht mal weiß, dass der Morgen-/Abendstern die Venus IST. Das hat nichts mit Weisheit pachten zu tun, sondern damit, dass ich darin nun mal ziemlich viel Arbeit investiert habe. Und echtes Wissen IST Arbeit. Und ich meine mit Wissen nicht: “Ich hab das mal irgendwo gelesen, ich weiß nicht wo und kann es nicht mehr nachvollziehen…”

    Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Diskurs, der sich zum großen Teil auf Unwissenheit und einem, der sich auf Wissen und eigenes Nachdenken stützt. Es gibt einen Unterschied zwischen: “Das kann ich nicht nachvollziehen, weil mir Zeit, Geduld und Vorwissen fehlt” und “Ich bin hier nach intensivem Nachdenken und Versuchen auf etwas Neues gestoßen, dass Deiner These widerspricht.” Es gibt einen Unterschied zwischen “Glaub ich nicht. Ich krieg was anderes raus und ich mache keine Fehler.” und “Ich hab darüber intensiv geforscht und hab folgendes rausgekriegt. Ich könnte aber was falsch gemacht haben, schau mal drüber.” Letzteres ist Wissenschaft im Peer Review Prozess.

    Letzteres ist ein fruchtbarer wissenschaftlicher Prozess an dessen Ende verbessertes Wissen steht, mit dem ersten Standpunkt dagegen kann man jede und ich meine wirklich jede Form von Erkenntnis in Frage stellen. Erstere Form des Diskurs ist ein sehr, sehr zweischneidiges Schwert. Auch das muss ab und an mal sein, um sich zu vergewissern, dass man nicht doch irgendetwas falsch gemacht hat. Aber irgendwann muss man mit dem Zeug auch arbeiten können, ansonsten bringt die ganze Wissenschaft nichts. Z. B. auch keine neuen Medikamente und keine neuen Geräte.

    Ganz, ganz schwierig wird es, wenn hinter dem Diskurs letztendlich nicht der Anspruch auf besseres Wissen steht, sondern im Kern einem nur nicht die Konsequenzen der derzeitigen wissenschaftlichen Forschung gefallen:
    Weil man sie als zu überzogen empfindet, weil man es als unbequem empfindet, weil es dem ganz persönlichen Weltbild widerspricht etc.pp. Dann wird nämlich Vorurteil gegen Wissen gesetzt und behauptet, dass das sogar gut sei. Ist es gut, wenn in den USA der Klimaforscher Hansen sich genötigt sah, öffentlich wegen der Gängelung der Bush-Regierung zu protestieren, weil denen die Richtung seiner Klimaforschung nicht schmeckte?

    Dann wird aus einem Diskurs auf einmal ein Angriff auf die Wissenschaft und damit letztendlich auch auf die Aufklärung des Geistes Kind die heutige Wissenschaft eigentlich ist. Und wir sollten nicht so tun, als ob unsere Gesellschaftsform so selbstverständlich ist, dass sie jedem Angriff standhalten kann. Oder dass sie gar eine schleichende Erosion der Grundlagen überleben würde. Unsere Gesellschaftsform ist weltweit immer noch in der Minderheit (rein zahlenmäßig) und selbst wir in Deutschland im Land der “Dichter und Denker” haben in den 30-40ern erlebt, was Unvernunft, Feigheit, Bequemlichkeit und der blinde Glaube an eine völlig irrationale Idee in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft anrichten kann.

    Wir halten uns alle für so aufgeklärt. Aber sind wir es wirklich? Ist der Prozesse der Aufklärung wirklich komplett zum Abschluss gekommen und gibt es da nichts mehr zu tun? Ich halte das für sehr naiv.

  4. #4 Christian Reinboth
    19. März 2008

    @Versammelte Wissenschaftsblogger:

    Es freut mich zu sehen, dass das Thema bei euch offenbar auf offene Ohren stößt. Da kann ich nur hoffen, dass wir die Diskussion noch eine Weile fortsetzen können….

    @florian:

    Im Grunde kann ich nur jeden Satz dieses Kommentars wiederholen, was ich mir und den Kommentarlesern aber ersparen möchte 🙂 Das “Zeitverschwendungs”-Argument ist aber genau das Argument, das ich auch am häufigsten zu hören bekomme und dürfte vermutlich bei vielen Wissenschaftlern das ausschlaggebende sein. Von daher kann ich nur beipflichten: Gute Lehre und gute Öffentlichkeitsarbeit gehören ebenso zu den Aufgaben eines (universitären) Wissenschaftlers wie gute Forschung. Und dass die Ausstattung mit finanziellen Mitteln und Equipment sowie die Karrierechancen oftmals ausschließlich von der Forschung bzw. den Publikationen abhängig sind führt leider dazu, dass Lehre und vor allem die Öffentlichkeitsarbeit häufig vernachlässigt werden. Gerade die ist aber wichtig, wenn es um die Begeisterung von jungen Menschen für die Forschung und auch die Steigerung der Akzeptanz von wissenschaftlicher Arbeit in der Gesellschaft geht….

    @Soziobloge:

    Das ist leider genau das Problem, dass ich auch sehe: Es gibt in der Wissenschaft viel zu viele “ad hominem”-Argumentationen, bei denen der Diskurs einfach dadurch abgewürgt wird, dass man den Kontrahenten mehr oder weniger zum “Depp” abstempelt und das Gespräch damit gelaufen ist.

    Dass Wissenschaftler generell denken, die Wahrheit gepachtet zu haben, da würde ich Ihnen nicht beipflichten wollen. Das Wesen der Wissenschaft ist es ja eigentlich gerade, stets wieder aufs neue nach der Wahrheit zu suchen. Es ist allerdings leider so, dass hinsichtlich bestimmter gesellschaftlicher oder religiöser Themen (gerade die Evolutionslehre fällt mir hier wieder ein) manche Wissenschaftler dazu neigen, jegliche Diskussion gerade mit Laien als “unter ihrem Niveau” zu betrachten und entsprechend abzuwürgen. Und gerade das schadet meines Erachtens nach dem so wichtigen Ansehen der Wissenschaft, das gerade angesichts der einbrechenden Zahl an wissenschaftlichem Nachwuchs in Ehren gehalten werden sollte….

    @Ludmilla:

    Klar hast Du viel mehr Ahnung von der Venus als eine x-beliebige Person auf der Straße – daran wird sicherlich auch niemand zweifeln. Aber wie kommunizierst Du das? Würdest Du grundsätzlich sagen, dass bestimmte Diskussionen sich von vornherein nicht “lohnen” weil der Gesprächspartner wissenschaftlich betrachtet so weit unter Deinem Niveau steht (ich weiss jetzt nicht, wie ich das besser formulieren könnte, aber ich hoffe, man versteht was ich meine), dass es gar keine Debatte geben sollte und Du eben einfach Recht hast? Ich traue Dir so eine Argumentation ja in Wirklichkeit gar nicht zu, von daher versteh das bitte nur als ein Beispiel, wie Wissenschaft meiner Erfahrung nach manchmal leider kommuniziert wird. Wie sieht Deine Strategie bei solchen Diskussionen aus? Verweis auf die “wissenschaftlichen Meriten” oder doch der Versuch eines Dialogs auch bei Ungleichheit der Partner?

    Eine Beobachtung am Rande: “Weil ich Soziologie/Biologie/Physik/Informatik etc. studiert habe!” erinnert mich als Begründung für die Richtigkeit der eigenen Behauptungen immer an einen Satz, den ich als Kind oft hören musste: “Weil ich Dein Vater bin, darum!”. Das war bei manchen dummen Fragen meinerseits sicherlich gerechtfertigt, aber ich frage mich, ob wir Wissenschaftler nicht dazu neigen, im Dialog mit Nicht-Wissenschaftlern oder “Fachfremden” unbewusst in diese Eltern-Rolle zu schlüpfen und unser Gegenüber zu behandeln wie….naja, ein Kind eben….

    Die versuchte Gängelung von Hansen ist ebenso verwerflich wie die Angriffe gegen Richard Lindzen vom MIT, der in der Klimadebatte sozusagen die “Gegenmeinung” vertritt. Während auf der einen Seite eine politische Partei versucht, Einfluss auf die Wissenschaft auszuüben (absolut verwerflich, aber eben leider nichts neues), sind es auf der anderen Seite überraschenderweise gerade andere Wissenschaftler, die Lindzen auf teilweise sehr hässliche und persönliche Art und Weise angreifen, anstatt sich ruhig und sachlich mit seinen Thesen auseinanderzusetzen. Das stets zitierte “precautionary principle”, nach dem die Bedrohung durch die Klimaveränderung so ernst und gegenwärtig ist, dass wir uns Dissens einfach nicht mehr leisten können, ist zwar rational nachvollziehbar, hat aber mit echter Wissenschaft eigentlich auch nicht viel zu tun.

    Ich vermute, dass viele der generellen Vorurteile gegenüber der Wissenschaft, die dann beispielsweise von der Bush-Regierung ausgenutzt werden können, einfach auch auf der autoritären und regelrecht unversöhnlich wirkenden Art und Weise basieren, mit der Wissenschaft teilweise kommuniziert wird. Eine Tatsache ist eine Tatsache und irgendwann sind die Realitäten so offensichtlich, dass sich keine Diskussion mehr lohnt – das ist natürlich richtig. Dies trifft aber nicht auf jede wissenschaftliche Hypothese zu und auch die Frage, welche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Konsequenzen sich aus einer gesicherten wissenschaftlichen Entdeckung ergeben müssen, ist nicht mehr eine, die von der Wissenschaft alleine entschieden werden kann und darf.

    Ein Diskurs, der sich in einen Angriff auf die Wissenschaft verwandelt, ist sicher keine gute Sache. Ein Diskurs, der sich in einen Angriff der Wissenschaft auf jeden Zweifler, gleich welcher Coleur verwandelt, ist aber in Bezug auf die Außenwirkung leider genauso schlecht. Bei irrationalen oder extrem konfrontativen Kritikern muss das zwar manchmal einfach sein, es passiert allerdings meines Erachtens nach momentan viel zu häufig. Hier hoffe ich auf die positiven Effekte des Wissenschaftsbloggings, welches ja nicht zuletzt dazu beiträgt, dass die bloggenden Wissenschaftler ebenso wie die kommentierenden Kritiker eine hervorragende Möglichkeit an die Hand bekommen, ihre argumentativen Fähigkeiten zu schärfen und den produktiven öffentlichen Austausch zu suchen.

  5. #5 L. Carone
    19. März 2008

    @Christian: Ich versteh Dich völlig. Man sollte nicht autoritär und besserwisserisch auftreten. Nach dem Motto: Weil ich es Dir sage.

    Ich bin immer und eigentlich auch immer gerne bereit zu diskutieren. Aber für eine wirklich fruchtbare Diskussion muss der Partner eine gewisse Mitarbeit leisten. Wenn jemand wirklich etwas wissen will und zuhört, dann gibt es für mich “nach unten” hin keine Grenze. Dann erkläre ich auch einer 5jährigen, was es mit der Mondfinsternis zu tun hat.

    Ich diskutiere auch Meinungen, die anders ist, als die meine.

    Wo ich aber ganz klar eine Grenze ziehe ist, wenn ich das Gefühl bekomme, dass der andere sich hinter seiner Meinung verschanzt oder eigentlich nur seine Meinung durchdrücken will und meine gar nicht erst zulässt. Und wenn ich merke, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus dem Ruder läuft – dann ziehe ich die Notbremse. Der andere pocht auf ellenlange ausschweifende Erklärungen, ist aber nicht bereit sich ein bisschen auf mich zuzubewegen oder ähnlich fundiertes dagegenzusetzen. Dann ziehe ich die Notbremse. Wem soll so ein “Diskurs” was bringen?

    Außerdem wenn jemand Mist schreibt, dann nenne ich das auch beim Namen. Ich bin selber über einen Artikel von Herrn Lindzen in der Tageszeitung gestoßen und zwar bevor ich wusste, wer das ist und wofür er steht. Er hatte einen “Kommentar” zum Klimawandel verfasst und trat als Experte auf (vor 1 oder 2 Jahren?) und selbst ich erkannte damals auf den ersten Blick, dass er in diesem kurzen Text unehrlich und falsch argumentierte und zudem Kollegen-Bashing betrieb. “Die anderen wollen nur an die globale Erwärmung glauben blablabla. Ich dagegen kann nicht glauben, dass der Mensch daran schuld ist. Die anderen sind alle gleichgeschaltet, ich bin aber der große unabhängige Experte blablabla”

    Und dann warf er den Klimatologen die Ungenauigkeit der Wettermodelle der Meteorologen (!) vor, wobei das eine mit dem anderen so nicht vergleichbar ist. Weil Klima die Menge allen Wetters auf der Erde ist. Außerdem ist es falsch: Ich kann nicht den nächsten Würfelwurf vorhersagen (Wetter), aber ich kann vorhersagen, dass nach 1000 Würfen alle Zahlen ungefähr gleich häufig gewürfelt werden.(Klima)
    Obwohl ich nichts über die genaue Lage eines Sauerstoffmoleküls aussagen kann, kann ich immer noch Dichte und Tenperatur des gesamten Luftgemisches in einem Behälter bestimmen etc.

    Herr Lindzen weiß genau, dass ein solcher Vergleich unzulässig und irreführend ist. Er muss es wissen, wie soll er sonst Professor geworden? Aber ich vermute ganz stark, dass er genau weiß, dass dieses “Argument” zunächst für Laien plausibel erscheint. Es kann sich also eigentlich nur um bewusste Täuschung handeln.

    Ach und womit rechnet Herr Lindzen selbst? Natürlich mit meteorologischen Modellen! Äh, ich dachte, die wären so ungenau und daher Mist. Wenn Modelle so bescheiden sind, warum verwendet er die dann selber?

    Wenn sowas passiert und der Forscher unwissenschaftlich und irreführend argumentiert, dann darf und muss man das auch beim Namen nennen und sich gerne fragen, wieso er das tut. Warum er meint, zu solchen Mitteln greifen zu müssen. Dann ist das zwar ein persönlicher Angriff. Aber das liegt nicht daran, weil Herr Lindzen gegen den Klimawandel argumentiert, sondern wie er es tut. Weil eine Argumentation auf so einem Niveau die ganz persönliche Verfehlung von Herrn Lindzen ist. Wer austeilt, muss auch einstecken können.

  6. #6 Christian Reinboth
    19. März 2008

    @Ludmilla: Ohne jetzt von der Diskussion über Blogging in eine Diskussion über Lindzen wechseln zu wollen, aber da Du Dich über den Mann scheinbar auch geärgert hast, anbei ein kleiner Kommentar meinerseits:

    Das Argument, dass Klimamodelle deshalb ungenau sind, weil Wettermodelle ungenau sind, typischerweise vorgebracht in der Art von “Wir wissen nicht, ob es nächsten Mittwoch regnet oder schneit, wie können wir dann wissen, wie das Wetter in 1000 Jahren aussieht!” ist ja nun schon lange diskreditiert und speist sich aus der vollkommen unzulässigen Gleichmachung von Wetter und Klima. Immer wieder ein Klassiker – mir war allerdings nicht bewusst, dass Lindzen den auch verwendet hat (dafür halte ich ihn eigentlich für zu intelligent), ich habe aber auch längst nicht alle seine Artikel gelesen. Auch das Argument von der “großen Verschwörung” aller Klimatologen wird ja immer wieder gerne gebracht und ist natürlich vor allem politischer und nicht wissenschaftlicher Natur.

    Nun gibt es von ihm und ein paar seiner Kollegen (darunter etliche wirklich ernstzunehmende Forscher) ja aber neben Zeitungsartikeln auch einen umfangreichen, in wissenschaftlicher Sprache verfassten Bericht, der sich als Kritik am so genannten Stern-Report versteht:

    Robert M. Carter, C. R. de Freitas, Indur M. Goklany, David Holland, Richard S. Lindzen, Ian Byatt, Ian Castles, Indur M. Goklany, David Henderson, Nigel Lawson, Ross McKitrick, Julian Morris, Alan Peacock, Colin Robinson, Robert Skidelsky (2006): The Stern Review: A Dual Critique, in: WORLD ECONOMICS, Vol. 7, No. 4, Oktober–Dezember 2006

    Herunterzuladen hier: https://www.staff.livjm.ac.uk/spsbpeis/WE-STERN.pdf

    Und hier werden (neben ein wenig Polemik) auch wirklich ernste Fragen vor allem zur Arbeitsweise der Klimatologie gestellt, Fragen, mit denen sich Klimatologen eigentlich offen und ehrlich auseinandersetzen müssten. Leider tun sie es in den wenigsten Fällen, verweisen statt dessen auf die offensichtlichen Fehler von Lindzen (die Du ja auch ansprichst) und beenden die Diskussion dann mit dem Verweis auf dessen Unseriösität. Und das ist es, was mir manchmal einfach sauer aufstößt.

    Und zumindest in einem Punkt muss man Lindzen vermutlich sogar recht geben: Die Angewohnheit der Medien (wohlgemerkt der Medien, nicht der Wissenschaft) jedes, aber auch wirklich absolut jedes Naturereignis mit dem Attribut “Folge der globalen Erwärmung” zu versehen, ist in der Tat zu kritisieren. Auch hier wird oftmals in unzulässiger Weise Wetter und Klima vermischt, indem lokale Wetterereignisse “mit absoluter Sicherheit” (so wird es zumindest oft dargestellt) auf globale klimatische Veränderungen zurückgeführt werden.

    Aufgrund der dringend gebotenen Notwendigkeit, den Gefahren des Klimawandels zu begegnen und die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlagen aufzuhalten, besteht natürlich auch die Gefahr, dass jede Gelegenheit genutzt wird, die Menschen auf die Problematik aufmerksam zu machen – auch wenn der Zusammenhang vielleicht im konkreten Fall gar nicht gegeben ist. Um zu verhindern, dass solche Fälle gehäuft vorkommen, dafür braucht es manchmal auch “Totalskeptiker” wie Lindzen und von daher sollte auch seinen Argumenten mit der gebotenen Achtung begegnet werden.

    Und wenn jemand wirklich Mist baut: Immer schön ruhig und sachlich widerlegen. Wenn man sich von der Wut mitreißen lässt und auf persönliche Angriffe verfällt ist das im Grunde Wasser auf die Mühlen derer, die immer von der “großen Verschwörung” fabulieren….