Keine Angst, das Lesen von Wissenschaftsblogs gefährdet die Gesundheit in keinster Weise. Aber ergeben sich durch das Blogging Gefahren für die wissenschaftliche Karriere des Bloggers?
Eine interessante Frage, die vor kurzem von Bloggerkollege Björn vom „Tiefen Leben” gestellt wurde, und die ja zu einigen heftigen Diskussionen (vor allem außerhalb von ScienceBlogs) führte. Björn hatte die These in den Raum geworfen, dass gerade das Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und dem Versuch, Forschung allgemeinverständlich zu erklären, für die Karriere des Bloggers nicht unbedingt förderlich sein könnte, da gerade in der karrierewichtigen Gruppe der „gestandenen Wissenschaftler” solche quasi-populärwissenschaftlichen Texte häufig auf Mißfallen stoßen, vor allem wenn sie vielleicht auch noch kleinere Fehlerchen enthalten.
Diesem Gedankengang kann man zunächst einmal nicht widersprechen. Da ich die Diskussion auch angesichts der Zukunft des Wissenschaftsbloggings für sehr wichtig halte, möchte ich an dieser Stelle den Faden aufgreifen und noch ein wenig weiterspinnen. Denn aus meiner Sicht gibt es vor allem vier Gründe, die karriereorientierte Wissenschaftler vom Bloggen abhalten könnten.
1) Blogging gilt als Zeitverschwendung. Ein Blogpost kann zwar unter günstigen Bedingungen sehr viel mehr Menschen erreichen als ein Fachartikel oder ein in einem Tagungsband veröffentlichtes Paper, auch ein jahrelang betriebener Blog mit hunderten von Einträgen und tausenden von Lesern trägt aber nichts zur für die wissenschaftliche Karriere so wichtigen Publikationsliste bei. Da Blogartikel keinen Peer Review durchlaufen und zudem (in der Regel) nirgendwo in gedruckter Form erscheinen, gelten sie (zu Recht) nicht als wissenschaftliche Veröffentlichungen im engeren Sinn. Dies führt zu einer Situation, in der ein einzelner Fachartikel, auch wenn er nur zwei Seiten lang ist und nur von einer Handvoll an Kollegen gelesen wird, für die Hochschul-Karriere förderlicher sein kann, als aberdutzende von seitenlangen Blogposts mit vielen tausend Views.
Die meisten karriereorientierten Wissenschaftler hegen und pflegen ihre Publikationsliste ja bekanntlich mit Hingabe, was ich natürlich an dieser Stelle nicht schlecht reden möchte (vor allem, da ich es ja selbst kein bisschen anders mache). Bei vielen Kollgen gilt Blogging aber genau aus diesem Grund leider auch als „Zeitverschwendung”, da man die in die Blogposts investierte Schreibarbeit ja genausogut in „echte” Publikationen hätte investieren können, durch die sich die eigene Liste von Veröffentlichungen dann verlängert hätte.
Und wie wichtig diese Publikationsliste an der Uni ist, das zeigt uns gerade heute mal wieder ein besonders trauriger Artikel aus dem SPIEGEL: Professor aus Bonn veröffentlicht Examesarbeit seiner Studentin unter eigenem Namen.
2) Fehler sind lange nachvollziehbar. So ein Blogpost kann sich ja ganz schnell verselbständigen: Andere Blogger zitieren den eigenen Beitrag, über Blog-Netzwerke wird der Beitrag weiter verbreitet und manchmal landet er auch auf fremdsprachigen Webseiten – die ScienceBlogs.de-Blogposts werden ja erfreulicherweise zum Teil auch schon beim „großen Bruder” ScienceBlogs.com „re-publiziert”. Wenn man als Blogger also mal einen „wissenschaftlichen Bock” schießt, besteht in der Tat die Gefahr, dass man diesen Fehler auch in zehn Jahren noch auffinden kann, wenn man den Namen des Autors recherchiert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der eigene Artikel in anderen Blogs nach allen Regeln der Kunst “auseinandergenommen” und dabei auch der Name des Autors genannt wird. Und da auch in den Personalabteilungen und Berufungsgremien der Hochschulen inzwischen eine Internetrecherche nach Bewerbernamen zum Standardrepertoire gehört, setzt sich der Blogger natürlich der Gefahr aus, irgendwann einmal von einem fehlerhaften Blogpost eingeholt zu werden.
Ein Fachartikel, der vor zehn Jahren einmal in einem obskuren Tagungsband veröffentlicht wurde, ziert dagegen zwar heute immer noch die Liste der eigenen Publikationen, ist aber kaum noch real auffindbar (und selbst wenn, wäre sowohl die Recherche danach als auch die Lektüre mit großen Mühen verbunden). Die Kritik am eigenen Blogpost, gerade wenn sie „farbenfroh” ausfällt („Blogger XY hat keinen blassen Schimmer von Physik”) ist dagegen bei der Namensrecherche schnell gefunden und flott gelesen.
3) Blogs haben sich als Medium für die Wissenschaftkommunikation noch nicht etabliert. Viele ältere Kollegen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen assoziieren „Blogging” mit unseriösem “Online-Jokus” und können sich nur schwer dazu überwinden, das Betreiben eines Blogs als legitime Form der wissenschaftlichen Kommunikation zu akzeptieren. Solange sich dies nicht ändert, werden bloggende Wissenschaftler von manchen ihrer Kollegen immer ein wenig “von oben herab” belächelt und für ihre Tätigkeit eventuell auch kritisiert werden, gerade eben weil, wie ja bereits geschrieben, das Blogging auch als Zeitverschwendung sowie als Beleg “mangelnder Ernsthaftigkeit” gilt und ein Blog nun mal mit größerer Wahrscheinlichkeit auch noch den einen oder anderen Fehler enthält….
4) Man könnte ja mal was falsches sagen. Die Angst irgendwann einmal etwas wirklich “falsches” zu schreiben oder zu sagen ist – wie bei jedem anderen auch – natürlich ebenso bei Wissenschaftlern vorhanden. Gerade im wissenschaftlichen Bereich muss man aber gegenüber einigen Kollegen sehr vorsichtig argumentieren wenn es um bestimmte “heikle” Themen geht. Sich über Lücken in der Evolutionstheorie auslassen? Geht nicht. Den Klimawandel in Frage stellen? Geht überhaupt nicht (siehe Kommentare). Einen Artikel zum besonders „beliebten” Themenbereich “Religion und Wissenschaft” verfassen, bei der am Ende nicht die Wissenschaft als klarer moralischer und intellektueller Sieger dasteht? Das geht natürlich schon mal gar nicht.
Nicht dass ich hier falsch verstanden werde – ich zweifle weder an der Evolution an sich noch am antrophogenen Klimawandel. Dennoch gestehe ich es meinen Kollegen (und natürlich auch allen anderen) durchaus zu, eine andere Auffassung zu vertreten und bin stets gewillt, mich auf eine offene, höfliche und vernünftige Diskussion zu diesem oder einem anderen Thema einzulassen und mich dabei auch ernsthaft mit den Argumenten der “Gegenseite” zu beschäftigen. Leider kenne ich auch Kollegen, die diesbezüglich anderer Auffassung sind und dazu tendieren jeden Wissenschaftler oder auch Laien, der eine ihnen nicht genehme These vertritt, persönlich anzugreifen. Für den Laien ist das nicht so schlimm (bloß ärgerlich und vorurteilsfördernd), für den Wissenschaftler dagegen kann es durchaus erhebliche Folgen haben, denn wie schon im zweiten Punkt dargestellt, ist besonders die “farbenfrohe” und ätzende Kritik auch nach vielen Jahren noch leicht auffindbar. Und wer möchte schon so viel negatives über sich im Web lesen?
Was aber ist das Fazit? Sollten Wissenschaftler etwa nicht mehr bloggen? Ganz im Gegenteil – sie sollten! In dem Maße, in dem die Bedeutung der Blogosphere für die wissenschaftliche Kommunikation zunimmt, werden sowohl der erste als auch der dritte “Gefahrenpunkt” verblassen.
Was die bessere Sichtbarkeit von Fehlern angeht – die wird bleiben, denn ein Blogpost durchläuft nun mal keinen Peer Review – und das ist auch gut und richtig so. Wissenschaft muss aber nach “draußen”, sie muss zu den Menschen in die Mitte der Gesellschaft und sie muss die Menschen auch miteinbeziehen können. Hierfür ist es unumgänglich, dass sich die Außendarstellung der Wissenschaft wandelt und Ziele und Inhalte besser kommuniziert werden. Dies ist weder durch Hochglanz-PR zu erreichen, noch durch aus wissenschaftlicher Sicht perfekt aufbereitete Inhalte, die aufgrund ihrer Form und der Art der Publikation “draußen” gar nicht wahrgenommen werden.
Nicht dass ich falsch verstanden werde: Beides, sowohl die PR zur Imageverbesserung als auch vor allem die reinwissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Förderung des akademischen Diskurses, sind gut und notwendig. In beiden Fällen aber wird die Öffentlichkeit selten aktiv miteinbezogen, denn auch gut gemachte PR hat nun mal nur einen Sender und viele Empfänger (oder eine Quelle und viele Senken, wie meine Ingenieurskollegen sagen würden) und bei “internen” wissenschaftlichen Diskussionen sind die Einstiegshürden bezüglich des Vorwissens und der Akzeptanz so hoch, dass man als Nicht-Wissenschaftler kaum ernsthaft teilnehmen kann.
Gerade dieser Austausch ist aber dringend notwendig – und Blogs könnten hier der Schlüssel zum Erfolg sein. Ein Blog gestattet es dem Wissenschaftler, von den strengen Regeln der Publikation unbelastet über seine Arbeit und seine Gedankenwelt zu fabulieren – und dem Leser wird es im Gegenzug ermöglicht, Fragen aller Art zu stellen und über die Ergebnisse sowie den Sinn und Unsinn einzelner Forschungsprojekte mit den Forschenden selbst zu diskutieren.
Insofern ist es natürlich schade, dass mit dem Blogging für den einen oder anderen Wissenschaftler auch “Schattenseiten” verbunden sein könnten. Letzten Endes bin ich mir aber sicher, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem die Mehrzahl der Hochschul- und Institutsleitungen Blogs als wichtigen Bestandteil der Außenkommunikation entdecken und nutzen werden. Und spätestens dann dürfte die Ansicht, dass Wissenschaft und Blogging nicht zusammenpassen, endgültig der Vergangenheit angehören.
Um schlussendlich den letzten Punkt – die “heiklen Themen” – nicht außer Acht zu lassen: Dieses Problem stellt meines Erachtens nach die größte “Gefahrenquelle” für die Zukunft des Wissenschaftsbloggings dar. Sich gegenseitig an die Gurgel gehende Wissenschaftler haben zwar einen gewissen Unterhaltungswert, wenn man den abzieht bleibt aber leider nicht mehr viel Substanz übrig. Die Kultur nicht nur des wissenschaftlichen Diskurses sondern auch des Austausches zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit wird sich noch an die Anforderungen des Informationszeitalters anpassen müssen. Früher war es vielleicht für den Einzelnen nur schwer möglich, sich “wissenschaftlich” auf dem Laufenden zu halten oder den Austausch mit Forschern zu suchen, heute ist dies dank des Internets jedoch kein Problem mehr – und das ist zunächst einmal eine erfreuliche Entwicklung. Nun stehen aber wir Wissenschaftler in der Bringschuld und müssen unsere Dialogfähigkeit beweisen.
Ich bin mir jedenfalls nicht zu schade, beispielsweise mit Christen (zu denen ich selber gehöre) oder anderen religiösen Menschen über Wissenschaft und Glauben zu diskutieren und dabei nicht jeden mit “ad hominem”-Argumenten zu belegen oder seine Meinung als wertlos zu verwerfen, weil er in die Kirche geht / keinen akademischen Grad vorweisen kann / eine andere Meinung vertritt etc. Aber mit dieser Einstellung bin ich ja (zum Glück) nicht alleine – und da immer mehr Wissenschaftler die Blogosphere für sich entdecken, sehe ich der Zukunft hoffnungsvoll entgegen.
Schreiber und Leser von Wissenschaftsblogs, die zu dieser Thematik ihre eigenen Argumente beisteuern möchten, seien an dieser Stelle natürlich herzlich auf die Kommentarfunktion des “Frischen Winds” verwiesen. Wer sich zudem umfassender in die Diskussion mit einbringen möchte, erhält im Wissenschaftsblog-Diskussionsforum von Monika Armand die Möglichkeit, genau dies zu tun. Darüber hinaus lohnt sich natürlich auch immer ein Blick in die Wissenswerkstatt von Marc Scheloske, in der ebenfalls stets auf hohem Niveau über die (hohe) Kunst des Wissenschaftsblogging philosophiert wird.
In diesem Sinne: Lasst uns den Dialog fortsetzen!
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