Kaum mache ich mal Urlaub, wird in Nature ein neues Fossil vorgestellt: Xiaotingia, ein chinesischer Verwandter des Archaeopteryx. Und Schon lesen wir in den Schlagzeilen “Archaeopteryx vom Thron gestoßen” (dafür gibt’s gleich nen Haufen links im Netz), “Archaeopteryx kein Vogel”, “Fällt eine Ikone vom Sockel” oder gar “Fossilfund in China stellt Evolutionstheorie von Vögeln in Frage” (hat jetzt jede Tiergruppe eine eigene Evolutionstheorie?). Ist der Hype gerechtfertigt? Krempelt Xiaotingia unser Bild vom Ursprung der Vögel völlig um? Mit etwas Verspätung hier ein kurzer Blick auf das neue Fossil.

Werfen wir erstmal einen Blick auf Xiaotingia:

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(Quelle: Nature, s.u.)

Das Skelett ist dem eines Archaeopteryx ziemlich ähnlich, hier mal nicht das immer gezeigte Berliner Exemplar, sondern das Eichstätter (von Wikipedia) :

Archaeopteryx lithographica (Eichstätter Specimen).jpg
Von H. Raab (User:Vesta) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Ein detaillierter Vergleich zwischen beiden zeigt zahlreiche Ähnlichkeiten im Schädel, Gabelbein, Fingerknochen, Hüfte und Fußskelett. Auch Federn hatte Xiaotingia – nicht so spektakulär erhalten wie bei einigen Archaeopteryx-Exepmplaren, aber schon deutlich sichtbar. Wie einige andere vogelähnliche Dinosaurier hatte Xiaotingia auch relativ lange Federn an den Hinterbeinen, ähnlich – wen auch kürzer – wie beim berühmten Microraptor (auch Archaeopteryx hatte solche langen Beinfedern, was allerdings nicht so oft erwähnt wird).

Insgesamt ist Xiaotingia dem Archaeopteryx also in vieler Hinsicht ähnlich. Er ist außerdem ein bisschen älter – etwa 155 statt 150 Millionen Jahre – und stammt aus China, zeigt also, dass zu dieser Zeit Archaeopteryx-ähnliche Tiere eine ziemlich weite Verbreitung hatten. Das allein macht ihn zu einem ziemlich interessanten Fossil (über das man im Nature-Artikel natürlich viel zu wenig erfährt, die sind einfach zu kurz).

Die Sensation (wenn es denn eine ist) ergibt sich, wenn man eine kladistische Analyse durchführt, in der auch Xiaotingia drinsteckt – wenn man also versucht, einen Stammbaum der Urvögel zu konstruieren. (Wie das prinzipiell geht, habe ich ja neulich erklärt.)

Stopft man nun also Xiaotingia mit in die Datenmatrix und lässt den Computer eine Weile ackern, dann kommt am Ende das hier heraus:

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Ganz oben sehr ihr die “Outgroup” – also diejenigen Tiere, die zum “Verankern” des Stammbaums genommen werden, weil man sich sicher ist, dass die anderen analysierten Arten enger miteinander als mit ihnen verwandt sind. Der Rest des Kladogramms zerfällt in zwei Teile: Avialae (zu deutsch Vögel) und Deinonychosauria (dazu gehören die bekannten kleinen Raubsaurier wie Velociraptor, Dromaeosaurus und ähnliche).

Und wo steht nun der neue Xiaotingia?
Das Kladogramm zeigt, dass Xiaotingia und Archaeopteryx eng verwandt sind (enger ist Xiaitingia nur noch mit Anchiornis verwandt, einem anderen gefiederten Dinosaurier, der letztes Jahr dadurch bekannt wurde, dass man Zellen in den Federfossilien analysieren und so etwas über seine Farbe herausbekommen konnte). Diese drei sind also enge Verwandte. Schaut man, mit wem wiederum sie verwandt sind, dann sind das Microraptor, Dromaeosaurier und Troodontiden, also nicht etwa Vögel, sondern Dinosaurier. (Ja, Vögel sind in kladistischer Sprechweise auch Dinosaurier und ich müsste “Nichtvogeldinosaurier” sagen.)

Und das ist der Grund, warum jetzt “die Evolutionstheorie der Vögel” umgeschrieben werden soll – Archaeopteryx sitzt nicht mehr ganz unten an dem Ast, der direkt zu den Vögeln führt (da sitzt nach diesem Kladogramm Epidexipteryx, auch so’n kleines gefiedertes Dino-Viech), sondern ist ein Deinonychosaurier und damit etwas dichter an den Dromaeosauriern dran, er ist also nach diesem Kladogramm kein Ur-Vogel sondern ein Ur-“Raptor”.

Ist das wirklich so eine Sensation? Zunächst einmal ist zu beachten, dass diese neue Position von Archaeopteryx keineswegs sicher ist. Im paper steht:

It should be noted that our phylogenetic hypothesis is only weakly supported by the available data.
[Es ist zu beachten, dass diese phylogenetische Hypothese durch die Daten nur schwach gestützt wird.]

(Anschließend folgen Details zu Bremer-Support und Bootstrap-Werten, das sind statistische Maße für die Güte eines Kladogramms, und die sind in der Tat eher mau.) Es mag also sein, dass der nächste Feder-Dino, den man in China findet (und momentan finden die die ja am laufenden Band, selbst wenn man die Unmengen an Fälschungen nicht mitzählt) das Bild wieder umkrempelt und Archaeopteryx wieder an seinen alten Platz setzt: dichter an den Vögeln als an den Dromaeosauriern.

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Kommentare (8)

  1. #1 Johannes K.
    21. August 2011

    “Velociraptor und seine Verwandten wären dann aus fliegenden Tieren entstanden und sekundär flugunfähig so wie heutzutage Strauße und Emus (eine Idee, die schon seit langem von Gregory Paul propagiert wird).”

    Wenn ich das richtig verstehe gab es also möglicherweise vor den “kleinen” Raubsauriern ein fliegendes Etwas das sich ähnlich dem Strauß evolutionär zum Velociraptor und der gleichen umgebildet hat.
    Mir stellt sich nun die Frage wie sich ein solches Tier entwickelt haben kann? Gab es einen direkten Übergang – Wasser -> Luft?

  2. #2 jitpleecheep
    21. August 2011

    Johannes K.:

    Mir stellt sich nun die Frage wie sich ein solches Tier entwickelt haben kann? Gab es einen direkten Übergang – Wasser -> Luft?

    Wieso sollte es? Die ersten Landlebewesen gab es vor 500 Mill. Jahren, die ersten Dinos vor ca. 230. Bis Velociraptor auftaucht, vergehen nochmal gut 150 Mill. Jahre. Genug Zeit um in die Luft und wieder zurück zu kommen.

  3. #3 jitpleecheep
    21. August 2011

    Äh, sorry, das war jetzt etwas in die Irre leitend:
    Die ersten Landlebewesen vor 500 Mill. Jahren waren Arthropoden, das sind aber nicht die Vorfahren von Velociraptor. Die ersten Tetrapoden kommen so vor 350 Mill. Jahren an Land gekrochen.

  4. #4 Johannes K.
    21. August 2011

    @jitpleecheep Also gibt es die Möglichkeit garnicht das sich Wasserlebewesen in die Luft erhoben haben? Mir erscheint das alleine logisch irgendwie komisch. Wasserlebewesen gingen ja auch im laufe der Evolution aufs Land und von dort weiter in die Luft bzw ins wiederum ins Wasser.
    Aber wenn es wie du beschreibst wirklich so ist das dazwischen 150 Mio. Jahre Zeit vergangen ist gibt es natürlich auch wiederum die von die beschriebene Möglichkeit.

  5. #5 jitpleecheep
    21. August 2011

    Doch, klar besteht prinzipiell die Möglichkeit.
    Siehe fliegende Fische, das ist ja schon mal ein Ansatz.

    Aber bei den Sauriern war’s halt nicht so.
    Auch nicht bei den Insekten (wobei man da ehrlich gesagt eigtl noch nicht genau weiß, wann und wo die das fliegen gelernt haben…).

  6. #6 MartinB
    25. August 2011

    @JohannesK, jitplecheep
    Ich dacht, bei den Insekten wäre der Übergang tatsächlich vom Wasser in die Luft gewesen oder zumindest wäre das eine gängige Hypothese.

    Prinzipiell ist der Übergang Wasser-Luft möglich und es gab sogar mal die Hypothese, dass die Vorfahren des Archaeopteryx getaucht sind und sich Flügel dafür entwickelt haben, bevor sie umfunktioniert wurden. Bei “Future is Wild” hat man sich auch die Flische ausgedacht.

    Ich denke, ein Problem ist, welchen evolutionären Vorteil ein schwimendes Tier haben soll, um zu fliegen, zumal jede Struktur, die die Tiere anbauen, ja den Strömungswiderstand erhöht. Gleiten und Kurzstreckenfliegen ist vergleichsweise unproblematisch, weil das mit denselben Flossen geht, aber für “richtiges” Fliegen sind die Anforderungen doch deutlich andere.

  7. #7 roel
    12. Juni 2012
  8. #8 MartinB
    12. Juni 2012

    @roel
    Ja, das habe ich auch gelesen. Seufz.