Um die Technik zu prüfen, wurde deshalb dieselbe Technik auf einen heutigen Waran angewandt. Dabei konnte man den berechneten Bewegungsspielraum mit dem vergleichen, der dem Waran tatsächlich möglich ist. (Dazu wurde der Waran – es wurde ein konserviertes Exemplar verwendet, kein lebendes Tier – entsprechend per Hand bewegt und die jeweiligen Stellungen des Halses wurden ausgemessen.) Es zeigt sich, dass das Modell den tatsächlichen Bewegungsspielraum des Warans unterschätzt. Man kann also davon ausgehen, dass das Ergebnis des Computermodells eher eine untere Grenze darstellt. Hier finde ich das paper zugegebenermaßen etwas eigenwillig, erst wird gesagt, dass das Computermodell den Bewegungsspielraum deutlich unterschätzt (“However, the 3D model (V3DM) appeared to have significantly underestimated the
mean intervertebral dorsal mobility compared with the radiographs”), dann werden mögliche Gründe dafür erläutert, und dann wird geschlussfolgert, dass die Simulationsmethode sehr genau ist (“However, the overall congruence between the 3D model and the radiograph manipulations of V. dumerilii suggests that this type of biomechanical manipulation can accurately estimate neck mobility in a biologically realistic manner for a plesiosaur such as N. borealis.”) Wird die Bewegung nun stark unterschätzt oder ist das Ganze eine relatistische Annäherung (accurate estimate)? Da hätten die Reviewerinnen gern auf eine etwas klarere Formulierung drängen dürfen.

So oder so: Das Ergebnis der Untersuchung zeigt den (möglicherweise unterschätzten) Bewegungsspielraums unseres Plesiosauriers:

plesiosneck2

(Fig 3 aus Nagesan et al. (s.u.))

Oben bei (a) seht ihr den Hals in der geraden Position, bei (b) maximal nach unten gebogen (achtung, der Körper würde hier nach rechts oben zeigen), bei (c) entsprechend maximal nach oben gebogen. (Würde man die Möglichkeiten von b und c zusammensetzen, könnte man auch einen “Schwanenhals” zu produzieren versuchen, aber so wie ich es sehe, lässt sich der Hals im rumpfseitigen teil nur wenig nach oben biegen (siehe Bild c) so dass die Krümmung eher moderat wäre. Spaßeshalber habe ich mal versucht, die beiden Stücke in gimp zusammenzusetzen (Achtung, das ist wirklich sehr sehr ungenau, zieht daraus bloß keine weit reichenden Schlüsse…):

plesiosneck3

Ein majestätisch hoch aus dem Wasser ragender Hals ergibt sich eher nicht, aber zum mal über die Wellen gucken dürfte es vielleicht ja hilfreich sein.

Teilbild d oben zeigt dann die seitliche Bewegung des Halses – mit etwas Mühe konnte sich unser Plesiosaurier also wohl seine Flossen anknabbern, falls es dort mal juckte. Insgesamt sieht man, dass die seitliche Beweglichkeit deutlich größer ist als die nach unten, und die nach oben ist wirklich eher eingeschränkt.

Aber Achtung: Dieses Ergebnis gilt für diese Plesiosaurier-Art (Nichollssaurus borealis). Ähnliche Untersuchungen, allerdings mit etwas anderer Methodik, bei anderen Plesiosauriern (beispielsweise dem Elasmosaurus) zeigen zum Teil andere Ergebnisse: Elasmosaurus konnte seinen Hals deutlich stärker auf- und ab bewegen. Bei Nichollssaurus können wir vermuten, dass er den Hals beim Beutesuchen vor allem seitwärts und ein bisschen nach unten bewegte. Es wäre also beispielsweise plausibel, dass er relativ dicht über dem Meeresboden herumschwamm und den Hals seitlich bewegte, um einen größeren Bereich des Bodens abzusuchen.


Nagesan RS, Henderson DM, Anderson JS. 2018 A method for deducing neck mobility in plesiosaurs, using the
exceptionally preserved Nichollssaura borealis. R. Soc. open sci. 5: 172307.
https://dx.doi.org/10.1098/rsos.172307

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Kommentare (7)

  1. #1 Spritkopf
    12. August 2018

    Statt wild herumzuspekulieren

    Mache ich trotzdem. 😉

    Könnte es sein, dass es bei ihrer Fortbewegungsmethode (dem Unterwasserflug) hydrodynamisch ungünstig war, wenn sie zum Atmen an die Oberfläche mussten und dabei der gesamte Körper durch die Wasseroberfläche brach, weil dann z. B. laminare Strömungen um die Flossen herum abrissen?

  2. #2 roel
    13. August 2018

    @MartinB schhöner Artikel. Den langen Hals haben die Plesiosaurier übrigens entwickelt, damit sie stärker in schottischen Süßwasserseen auffallen. https://de.wikipedia.org/wiki/Ungeheuer_von_Loch_Ness

    PS “(Hier findet ihr mehr über Saurier und Dinosaurier und warum nicht alles, was auf den ersten Blick ein Dino zu sein scheint, auch einer ist.)” Wurde der diesbezügliche Zwist in der Zwischenzeit beigelegt?

  3. #3 RPGNo1
    13. August 2018

    Ich finde es spannend, welche Möglichlichkeiten die heutigen Computermodelle oder auch experimentelle Päläontologie-Techniken bieten, um mehr über die Anatomie und somit letztendlich auch die Lebensweise der Urzeitechsen herauszufinden.
    So manche scheinbar unumstößliche Tatsache, mit der ich noch aufgewachsen bin und die in populärwissenschaftlichen Büchern vertreten wurde, wurde in den letzten Jahren vorsichtig revidiert oder komplett ad acta gelegt.

  4. #4 MartinB
    13. August 2018

    @RPGNo1
    Ja, das finde ich auch faszinierend, gerade auch Dinge wie statistische Analysen usw. liefern immer wieder faszinierende Erkenntnisse. Paläontologie ist inzwischen extrem interdisziplinär.

  5. #6 Michael Weis
    14. August 2018

    Was ist der Unterschied zwischen einem Plesiosaurus?
    Er konnte im Wasser schwimmen, an Land nicht!

    Musste sein, pardon!

  6. #7 MartinB
    14. August 2018

    @Michael
    Neues aus Kalau?
    🙂