Flaming Star Nebel (IC 405). Bild: Wikimedia Commons, Hunter Wilson (Hewholooks~commonswiki ), CC BY-SA 3.0, unmodifiziert.

Als nächstes Sternbild in unserer Tour um das Wintersechseck folgt das nördlichste, der Fuhrmann, lat. Auriga. Das Sternzugmuster des Fuhrmanns teilt sich den Stern Elnath mit dem Stier, der nach der Bayer-Bezeichnung β Tauri heißt. Ursprünglich hieß er gleichzeitig γ Aurigae, aber heute ist er offiziell nur noch dem Stier zugeordnet und ist damit nach Aldebaran der zweithellste Stern im Stier, dem Taurus. Das gibt es noch öfters, auch Andromeda und Pegasus teilen sich beispielsweise einen Stern, Alpheratz, welcher der Andromeda zugerechnet wird (α Andromedae). Dem Stierkopf würde ohne Elnath die westliche Hornspitze fehlen, aber der Fuhrmann wird erst durch Elnath zu einem schönen Fünfeck in der Art eines Nikolaushäuschens, die Form bietet sich einfach an:

Fuhrmann

Sternbild Fuhrmann ohne und mit Sternbildzügen. Bild: Autor, Stellarium.

Der Fuhrmann ist im gesamten deutschsprachigen Raum teilweise zirkumpolar, d.h. ein Teil des Sternbilds geht niemals unter, sondern kreist um den Himmelspol. Das gilt insbesondere für den hellsten Stern, die Capella, das “Zicklein“. Sie kratzt im Sommer über den Nordhorizont, während sie im Winter hoch am Himmel fast im Zenit steht. Ähnlich hoch im Norden stehen die fast exakt gleich hellen Sterne Arktur im Bärenhüter (lat. Boötes[1]) und Wega in der Leier (lat. Lyra), wobei Arktur, der aktuell zum abendlichen Einbruch der Dunkelheit gerade im Osten aufsteigt, im ganzen deutschsprachigen Raum gerade nicht zirkumpolar ist und Wega, von der Rektaszension und Stundenwinkel her fast gegenüber Capella stehend, nur nördlich von ca. 50° Breite zirkumpolar ist. Arktur, Wega und Capella sind allesamt Sterne 0. Größenklasse, in dieser Reihenfolge auch die hellsten Sterne nördlich des Himmelsäquators und sie übertreffen selbst Rigel und Beteigeuze an scheinbarer Helligkeit[2]. Nur Sirius und Canopus (letzterer 35° südlich von Sirius  im Sternbild Schiffskiel und damit in Mitteleuropa ganzjährig unter dem Horizont) sind heller als unsere drei Nordlichter.

 

Capella, doppelter Riese in Gelb

Das Zicklein ist ein naher (Entfernung 42 Lichtjahre) und ziemlich ungewöhnlicher Stern. Auf den ersten Blick hat der Stern die Spektralklasse G3 III und damit ungefähr die Farbe und Temperatur unserer Sonne (die aus nur 3,5 Lichtjahren Entfernung noch so hell wie Capella wäre), aber in Form eines Riesensterns mit 150 Sonnenleuchtkräften. Bereits 1899 bemerkte jedoch William Wallace Campbell, dass die Spektrallinien von Capella sich periodisch aufspalteten und gegeneinander verschoben. Offenbar kreisten da zwei Sterne umeinander, und die Linien des Sterns, der sich gerade auf die Erde zu bewegte, waren jeweils ein wenig zum Blauen verschoben, die des Sterns, der sich gerade entfernte, ein wenig zum Roten. Auf der Suche nach einem entsprechendem Spektrum bin ich in einem jüngeren Paper[3] fündig geworden, in dem ein Teil des Spektrums im Ultravioletten für verschiedene Phasen des Umlaufs der Sterne geplottet wird. Normalerweise sehen Sternspektren ja bekanntlich so aus, aber man kann die Helligkeit über der Wellenlänge auch als Liniengraph darstellen, der bei Capella um die Magnesium-h- und k-Linien so aussieht:

Capella_Phase=0,32

Ausschnitt aus dem Spektrum Capellas im UV-Bereich um die Emissionslinien MgII k und h bei einer Orbitphase von 0,32. Die Linien sind nicht gedoppelt. Quelle: [3]

Capella_Phase=0,74

Gleicher Ausschnitt einen Drittel Umlauf später: die Linien erscheinen gedoppelt. Quelle: [3]

Dies sind Emissionslinien, die in der heißen Chromosphäre der Sterne oberhalb der leuchtenden Photosphäre entstehen. Vergeblich bemühte man sich lange Zeit, die beiden Komponenten im Teleskop aufzulösen, bis dies schließlich im Jahre 1995 mit einem optischen Interferometer gelang.

Die beiden Komponenten, genannt Capella Aa und Capella Ab (woher die merkwürdigen Namen stammen, s.u.), umkreisen sich in nur 111 Millionen Kilometer Abstand, das sind rund 75% des Abstands Erde-Sonne (astronomische Einheit, AE) oder etwa der Abstand Venus-Sonne, und benötigen 104 Tage für einen Umlauf. Für die Sterne wurden sehr ähnliche Massen bestimmt (2,57 und 2,48 Sonnenmassen) und Durchmesser von 12 bzw. 9 Sonnendurchmessern. Beide Sterne sind Gelbe Riesen, dies ist ein Übergangsstadium von Sternen mittlerer Masse (0,5-11 Sonnenmassen) auf dem Weg zum Roten Riesen oder Überriesen. Die beiden Sterne dürften ursprünglich Spektralklasse A wie etwa Wega oder Sirius gehabt haben, entsprechend einer Temperatur von 8000-10000 K bei neutralweißer Farbe. Die heutigen Spektralklassen der Einzelsterne sind G8 III für die größere Capella Aa und G0 III für die kleinere Capella Ab , was sie trotz des Größenunterschieds visuell fast exakt gleich hell macht: der größere Stern ist ein wenig kühler und hat weniger Helligkeit pro Flächeneinheit als der kleinere, heißere, er hat dafür aber mehr Fläche. Nimmt man alle Wellenlängen, auch die für das Auge nicht sichtbaren, zusammen, dann ist Aa jedoch mit 79 Sonnenleuchtkräften etwas heller als Ab mit 73.

Beide Sterne sind natürlich gemeinsam vor rund 650 Millionen Jahren entstanden, aber der etwas schwerere Aa hat einen kleinen Entwicklungsvorsprung vor dem anderen Ab. Aa fusioniert bereits seit einer Weile Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff im Kern, während Ab nur Wasserstoff-Schalenbrennen vollführt. Der Kern von Aa hat sich einst unter der wasserstoffbrennenden Schale weiter verdichtet, während die äußere Hülle expandierte.  Als der Heliumkern eine Masse von 0,5 Sonnenmassen erreicht hatte, setzte das Heliumbrennen abrupt ein, der sogenannte Helium-Flash. Dieser ist einem Stern übrigens äußerlich zunächst nicht anzusehen, aber er wird dann allmählich kleiner und heißer. Da das Heliumbrennen zur Hauptenergiequelle für solche Sterne wird und der heliumbrennende Kern immer ungefähr 0,5 Sonnenmassen hat, sind sie alle ungefähr gleich leuchtstark und haben die gleiche Farbe/Oberflächentemperatur. Dies führt dazu, dass sie im Farb-Helligkeitsdiagramm an der gleichen Stelle verharren, und das gilt für Sterne zwischen 0,6 und 2,5 Sonnenmassen. Sie “klumpen” gewissermaßen an einer Stelle im Farb-Helligkeits-Diagramm und heißen daher auch “Red Clump” Sterne. Sie eignen sich wegen ihrer definierten Helligkeit als Standardkerzen zur Entfernungsmessung über mehrere hunderttausend Lichtjahre. Capella Aa ist ein solcher Red Clump Stern und wird sein Heliumbrennen bald beenden.

Capella Ab entwickelt sich hingegen rasant und befindet sich im Farb-Helligkeits-Diagramm an einer Stelle, wo eigentlich eine Lücke ist. Ein Paper[4] wagt deshalb, sein Alter (und damit das des gesamten Systems) auf 649 Millionen Jahre zu schätzen.

Farb-Helligkeits-Diagramm mit den Entwicklungspfaden von Capella Aa ("Primary") und Ab ("Secondary"). Aa (rote Linie) war bereits Roter Riese (oben rechts) und befindet sich derzeit während des Helium-Brennens im Red Clump, während sich Ab (blaue Linie) gerade zügig Richtung Roter Riese entwickelt.

Farb(=Temperatur)-Helligkeits-Diagramm mit den im Rechner simulierten Entwicklungspfaden von Capella Aa (“Primary”) und Ab (“Secondary”). Aa (rote Linie) war bereits einmal oben rechts im Diagramm Roter Riese und befindet sich derzeit während des Helium-Brennens im Red Clump, bevor sie mit dessen Erlöschen wieder zum Roten Riesen anschwellen wird, während sich Ab (blaue Linie) gerade zügig in Richtung der ersten Phase als Roter Riese entwickelt. Quelle: [4]

Einen großen Unterschied der beiden Komponenten, der bisher noch nicht verstanden ist, gibt es allerdings: Ab rotiert wesentlich schneller als Aa, was zu einer Verschmierung seiner Spektrallinien führt. Aa dreht sich einmal in 104±3 Tagen um sich selbst, während Ab in nur 8,5±0,2 Tagen einmal rotiert. Die Rotationsgeschwindigkeiten der Oberflächen sind 4,1 bzw. 35 km/s, behaftet mit einem Unsicherheitsfaktor sin (i), weil die Neigung i der Sternachsen gegen die Sichtlinie nicht bekannt ist und man nur die radiale (auf den Beobachter zu oder von ihm weg) Komponente der Geschwindigkeit messen kann. Da jedoch die Umlaufzeit der Sterne umeinander genau so groß ist wie die Rotationsperiode von Aa, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Aa in einer Spin-Orbit-Resonanz befindet, d.h. die Achsen der Rotation und des Orbits sind parallel (für den Orbit ist die Inklination i = 137° bekannt) und der Stern zeigt dem anderen stets die gleiche Seite, wie der Mond das bei der Erde tut. Warum Ab so viel schneller rotiert, ist jedoch unbekannt. Die Richtung seiner Rotationsachse ist ebenso unbekannt und könnte theoretisch in alle möglichen Richtungen weisen.

Hier wurden die Spektren der beiden Komponenten isoliert. Die Linien von Capella Ab ("Secondary") sind aufgrund seiner schnellen Rotation verbreitert, denn sie entstehen auf der gesamten Oberfläche, die sich teilweise auf den Beobachter zu bewegt, teilweise tangential, und teilweise von ihm weg. Die Linie von Aa ("Primary") sind wesentlich schmäler. Quelle: [4]

Hier wurden die Spektren der beiden Komponenten isoliert. Aufgetragen ist die Helligkeit über der Lichtwellenlänge. Die Linien von Capella Ab (“Secondary”) sind aufgrund ihrer schnellen Rotation verbreitert, denn sie entstehen auf der gesamten Oberfläche, die sich teilweise auf den Beobachter zu bewegt, teilweise tangential, und teilweise von ihm weg. Die Linien von Aa (“Primary”) sind wesentlich schmaler. Quelle: [4]

Capella Aa und Ab haben noch weitere Begleiter. Ursprünglich ordnete man dem System zahlreiche Sterne zu, die mit Capella B, C, D, E, F, G und H bezeichnet wurden (weswegen die später entdeckte Ab folglich nicht mehr “B” heißen konnte, wie sonst üblich bei Doppelsternen), aber die meisten von diesen erwiesen sich als unabhängige Hintergrundsterne. Jedoch ist H ein echter Begleiter von Capella A, in sehr großem Abstand – 9500 mal der Abstand Erde-Sonne. Und H erwies sich ebenfalls als Doppelstern, die Komponenten heißen Capella H und L. Beides sind Rote Zwerge vom Spektraltyp M2,5 V bzw. M4 V mit 0,57 bzw. 0,53 Sonnenmassen. Sie umkreisen einander einmal in ca. 300 Jahren. Die Zeit für den Umlauf des Paares um die A-Komponenten ist unbekannt.

Vergleich der Komponenten von Capella mit der Sonne. Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei; Größen basierend auf [4]

Vergleich der Komponenten von Capella mit der Sonne. Bild: Wikimedia Commons, gemeinfrei; Größen basierend auf [4]

Die rätselhaften Verfinsterungen von Almaaz

Was gibt es sonst noch so im Fuhrmann? Es gibt es ein paar ferne, offene Sternhaufen (Messier 36, 37 und 38) und einen Gasnebel, IC 405 (siehe Artikelbild oben). Nichts Weltbewegendes. Außer einem. Epsilon Aurigae. Almaaz.

Gleich neben Capella findet man ein kleines, gleichseitiges Dreieck aus drei Sternen 3. und 4. Größenklasse, den Haedi- oder Hoedi-Asterismus (was lateinisch “Böckchen” bzw. “Zicklein” bedeutet, laut anderer Quellen soll es “Kinder” heißen). Ein einzelner Stern nahe Capella steht einem Paar gleich heller Sterne  im doppelten Abstand von Capella gegenüber. Das Sternpaar sind ζ und η Aurigae, mit Eigennamen Haedus (Hoedus) I und II oder offiziell seit 30. Juni 2017 Saclateni und Haedus. Der einzelne Stern gegenüber ist ε Aurigae und heißt mit Eigennamen Almaaz, arabisch für “Ziegenbock”.

Almaaz ist ein Überriese der Spektralklasse F0 Ia in rund 2000 Lichtjahren Entfernung. Er sollte nach Lehrbuch etwa 30.000 Sonnenleuchtkräfte, 300 Sonnenradien (1,4 AE[5] Radius, mehr als die Marsbahn) und eine Masse von 14 Sonnenmassen haben. 1821 entdeckte der deutsche Astronom Johann Fritsch, dass der normalerweise 3,03 Größenklassen helle Stern sich um 0,8 Größenklassen verdunkelte, was etwa einem Verlust der halben scheinbaren Leuchtkraft entspricht und fürs bloße Auge deutlich sichtbar ist (vor allem im direkten Vergleich zu η Aurigae mit 3,2 Größenklassen und ζ mit 3,7). Der Stern wurde erst nach 2 Jahren wieder normal hell. 1847-49 gab es eine weitere Verfinsterung, und weitere folgten 1874 und 1903. 1904 schlug Hans Ludendorf in seiner Arbeit “Untersuchungen über den Lichtwechsel von ε Aurigae” in den Astronomischen Nachrichten vor, dass es sich bei Almaaz um einen Bedeckungsveränderlichen handele, d.h. ein Sternenpaar, dessen Umlauf wir von der Kante der Bahnebene betrachten, so dass die Sterne sich bei jedem Umlauf zweimal wechselseitig bedecken; meist ist eine Komponente deutlich heller, deren Bedeckung auffällig ist, während die Bedeckung der dunkleren Komponente nur einen geringen Helligkeitsverlust mit sich bringt. Für einen Bedeckungsveränderlichen war eine 2 Jahre andauernde Bedeckung jedoch vollkommen ungewöhnlich.

Harlow Shapley vom Harvard-Observatorium analysierte die Bedeckung von 1928-1930 genauer.  Die beiden Sterne sollten sich im Abstand von 27 AE (etwa der Abstand Neptuns von der Sonne) in 27,1 Jahren umkreisen. Shapley errechnete, dass die dunklere Komponente etwa die gleiche Masse wie die hellere haben sollte und somit eigentlich auch ähnlich hell sein sollte, aber im kombinierten Spektrum fanden sich (im Gegensatz zu Capella) keinerlei Spuren eines binären Begleiters. Während der gleichen Bedeckung analysierten Dean B. McLaughlin und andere die spektroskopische Dopplerverschiebung des Lichts des Überriesen und fanden, dass anscheinend ein riesiges rotierendes Objekt vor dem Überriesen durchzog. Es handelte sich offenbar um eine sich drehende Scheibe aus Gas und Staub – aber um was rotierte diese Scheibe und warum war sie da?

Jahrzehntelang bissen sich große Namen der Astronomie ihre Zähne an dem Stern aus. Gerard Kuiper, Otto Struve und Bengt Strömgren schlugen 1937 vor, der Begleiter sei ein halb durchsichtiger “Schalenstern”, der den F-Überriesen teilweise bedecken sollte und auf dessen vom Überriesen beleuchteter Seite Elektronen das Licht streuen sollten. 1965 schlug Su-Shu Huang, ein Student von Struve vor, dass eine dunkle Scheibe, die wir von der Kante sehen, den Überriesen halb überstrich und somit nur die untere Hälfte des Sterns bedeckte. Die Scheibe musste allerdings rund 10 AE durchmessen – ungefähr der Durchmesser der Jupiterbahn um die Sonne!

1970 stellte Kjeld Gyldenkerne fest, dass die Helligkeit gegen Mitte der Bedeckung leicht zunahm, was man als Loch in der Mitte der Scheibe hätte interpretieren können, aber wenn da ein Loch wäre, warum sah man den in der Mitte der Scheibe vermuteten massiven Begleitstern dann nicht?  Natürlich wurde in jüngerer Zeit auch ein Schwarzes Loch oder ein Neutronenstern mit einer Akkretionsscheibe in Betracht gezogen, aber Beobachtungen durch das Weltraumteleskop FUSE im Jahre 2005 lieferten keinerlei Hinweis auf die für diesen Fall erwartete harte Strahlung, wie sie bei vergleichbaren Objekten wie Cygnus X-1 oder Circinus X-1 beobachtet wurde.

Eine Theorie lautete, vielleicht kreisten in der Mitte der Scheibe 2 Sterne vom Spektraltyp B umeinander, so dass sie noch vom Staub verborgen wurden und den inneren Teil der Scheibe staubfrei hielten, der wie ein Torus aussehen könnte. Tatsächlich fand man mit moderner Technik Spuren eines B-Spektrums, vielleicht vom Inneren des Staub-Torus reflektiertes Licht der unsichtbaren Begleiter? Vielleicht verhinderten die beiden Sterne die Entstehung eines Planetensystems, weil sie die in der Scheibe kreisenden Asteroiden immer wieder miteinander kollidieren ließen, bis sie zu Staub zermahlen wurden.

Für die Bedeckung 2009-2011 wurde eine große Beobachtungskampagne ins Leben gerufen, an der Profis und Amateure beteiligt waren. Das ganze Arsenal moderner Beobachtungstechniken kam zum Einsatz: optische Interferometrie, Weltraumteleskope, Spektroskopie in mehreren Bändern, optische und Infrarot-Photometrie, Polarimetrie und Computersimulationen der Staubscheibe. Zunächst gelang es, interferometrische Aufnahmen des Sterns und des bedeckenden Objekts im Infraroten zu machen:

Interferometrische Aufnahmen im Infratroten von ε Aurigae vor und während der Bedeckung 2009-2011.

Interferometrische Aufnahmen von ε Aurigae vor und während der Bedeckung 2009-2011. Die Aufnahmen wurden mit dem CHARA-Array der Georgia State University auf dem Mt. Wilson gemacht, das Basislängen von bis zu 330m hat und 0,5 Millibogensekunden im Infraroten auflösen kann. Bild: [6]

Bei der Interferometrie wird das Licht mehrerer Teleskope in einigen 10-100 m Abstand miteinander kombiniert, so dass sich die Auflösung eines viel größeren Teleskops ergibt. Und in der Tat sah man die erwartete Staubscheibe. Mit Hilfe der Aufnahmen konnten Stern und Scheibe vermessen werden: bei einer Entfernung von 2400 Lichtjahren ±10% (diese und folgende Zahlen aus [7]) durchmisst der F0-Stern 1,7 AE (183 Sonnendurchmesser), also etwas mehr als die Hälfte des vorher angenommenen Werts. Die nur teilweise sichtbare Scheibe durchmisst 7,3 AE und ist rund 0,6 AE dick. Spektralanalysen ergaben, dass sie von einer Art “Atmosphäre” transparenten Gases umgeben ist, die mehr als den Halbmesser des F0-Sterns durchmisst. Diejenige Seite, die dem F0-Stern näher ist, ist deutlich heißer und enthält Spuren von Kohlenmonoxidgas, wie man es von verdampfenden Kometen kennt. Messungen der relativen Geschwindigkeiten des Sterns und der Scheibe ergaben, dass der F0-Stern anscheinend (mit hoher Unsicherheit) 13 Sonnenmassen hat. Infrarotspektroskopie ergab, dass die Staubscheibe weitaus größere Partikel als die sonst im interstellaren Staub gefundenen submikroskopischen Teilchen enthält; sie erinnern eher an vulkanische Asche. In den vom britischen Amateurastronomen Robin Leadbeater aufgenommenen Spektren fand sich mit fortschreitender Verfinsterung eine in Stufen abrupt dunkler werdende Spektrallinie des Elements Kalium, ein Hinweis auf Strukturen innerhalb der Scheibe, die auf darin enthaltenen wechselwirkende Objekte von Asteroidengröße schließen lassen.

Künstlerische Konzeption des ε-Aurigae-Systems. Bild: NASA, gemeinfrei.

Künstlerische Konzeption des ε-Aurigae-Systems. Bild: NASA, gemeinfrei.

Auch über den oder die verborgenen Sterne im Inneren der Staubwolke konnte mehr in Erfahrung gebracht werden. Das Hubble-Weltraumteleskop beobachtete einen Überschuss von UV-Strahlung im Spektrum des Sterns, der darauf schließen ließ, dass der nicht durch seine Spektrallinien aufspürbare Begleiter ein heißer B5-Stern von 11,6 Sonnenmassen sein könnte, der noch Materie aufsammelt. In der Nähe des heißen Sterns kann Staub nicht bestehen, so dass die Scheibe dort dünner ist. Dennoch ist nicht klar, warum der B5-Stern nicht sichtbar wird. Die Möglichkeit eines Sternpaares in der Staubscheibe besteht weiterhin.

Dieses Modell ist aber nicht die einzige Möglichkeit. Es könnte sein, dass der F0-Stern nur 2-4 Sonnenmassen hat und von einer dünnen Hülle ausgestoßenen Gases umgeben ist und somit größer wirkt, als er eigentlich ist – bisher hatte man seine Masse aus der Größe, Farbe und Leuchtkraft anhand ähnlicher Sterne abgeschätzt. Er könnte gerade dabei sein, seine Atmosphäre wegzublasen, was Riesen am Ende ihres Lebens tun, bevor ihr Kern als Weißer Zwerg von nur Erdgröße übrig bleibt. Dann wäre der B5-Stern entsprechend leichter, aber nicht viel weniger als 6 Sonnenmassen. Damit der in diesem Modell leichtere F0-Stern weiter entwickelt sein kann als der schwerere – massive Sterne entwickeln sich stets schneller als leichtere – muss er ursprünglich schwerer als der B5-Stern gewesen sein und Masse an ihn übertragen haben, so dass sie die Rollen tauschten.

Das Almaaz-System ist immer noch nicht vollständig verstanden und erst vor wenigen Tagen wurde wieder eine Arbeit dazu veröffentlicht. In der Zeit bis zur nächsten Bedeckung 2036 finden weitere Beobachtungen statt und neue Instrumente und Teleskope werden in Dienst gestellt, die das System hoffentlich bald vollständig enträtseln werden.

 

Weitere Literatur zu ε Aurigae:

  1. Epsilon Aurigae, Wikipedia-Artikel.
  2. Robert E. Stencel, “The Very Long Mystery of Epsilon Aurigae“, Sky & Telescope, Mai 2009, S.58 ff
  3. Epsilon Aurigae Solved at Last?“, News Notes, Sky & Telescope,  April 2010, S. 12.
  4. Robert Stencel, “An End in Sight“, Sky & Telescope März 2012, S. 18 ff.

 

[1] Das “ö” soll hier nur ausdrücken, dass man die beiden “o”s getrennt ausspricht, Bo-otes.

[2] Mit scheinbarer Helligkeit bezeichnet man die Helligkeit der Sterne, wie sie uns am Himmel erscheinen, wobei die Helligkeit natürlich mit zunehmender Entfernung abnimmt, aber mit wachsender Leuchtkraft eines Sterns zu; es gibt auch eine absolute Helligkeit, die ein Stern in einer gedachten Entfernung von 10 parsec = 32,6 Lichtjahren hätte, so dass man die Leuchtkräfte der Sterne direkt vergleichen kann; zu den Sternhelligkeiten und der Leuchtkraftentfernung gibt’s demnächst ein bis zwei Grundlagenartikel.

[3] Magdy Sanad, “New face in the spectral behavior of Capella in the UV“, Astrophysics and Space Science, April 2013

[4] Guillermo Torres et. al., “Capella (α Aurigae) Revisited: New Binary Orbit, Physical Properties, and Evolutionary State“, accepted by The Astrophysical Journal, arXiv: 1505.07461v1, 27. Mai 2015

[5] AE (engl. AU) = Astronomische Einheit (engl. astronomical unit)  = mittlerer Abstand Erde-Sonne = 149,6 Millionen km

[6] Robin Leadbeater, “The International Epsilon Aurigae Campaign 2009-2011. A description of the campaign and early results to May 2010“, veröffentlicht in “Stellar Winds in Interaction”, Januar 2011, arXiv: 1101.1435

[7] Robert E. Stencel, “Results of the Recent ε Aurigae Eclipse Campaign“, Central European Astrophys. Bulletin Vol. 37, 2013, März 2013, arXiv: 1303:7128.

Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    1. April 2018

    Randthema Trema[1]: kam grad gestern zur Ansicht, oh eilige Koinzidenz.

    Diese Sternbilder sehen beim Lesen immer so ungemein naheliegend aus – doch später dann, nachts am Himmel würde ich sie ohne Spickzettel bis auf ganz wenige Ausnahmen nie mehr wiederfinden… Klar, Übungssache, trotzdem ist der Effekt jedesmal erstaunlich.

  2. #2 Alderamin
    1. April 2018

    Deswegen sind „Anker“ wie das Wintersechseck oder Orion zur Orientierung so wichtig. Teil des Problems ist, dass man die Größe der Sternbilder schlecht einschätzen kann, wenn man sie nicht kennt. Die erscheinen am Himmel meist viel größer als auf Papier oder Bildschirm. Die Orientierung spielt auch eine Rolle. Normalerweise reichen mit 2 bis 3 helle Sterne in einer Wolkenlücke, um zu wissen, welche Himmelsgegend dahinter steckt, aber in der Karibik habe ich mal den Löwen nicht wiedererkannt, weil der über mir stand und ich falsch herum, das Sternbild war also kopfüber.

    Ich empfehle fürs Handy eine der kostenlosen/-günstigen Apps, die den Sternhimmel gemäß Kompass und Neigungssensoren an der richtigen Stelle anzeigen. Die drehbare Sternkarte des 21. Jahrhunderts.

  3. #3 rolak
    1. April 2018

    Ich empfehle

    Dafür benötige ich Begleitung mit Smartie, nicht wahr? Gewisse Anker sind mir, wie angedeutet, nicht fremd, Alderamin, doch es fehlt an Erfahrung, von dort zu Gesuchtem zu kommen..

  4. #4 Alderamin
    1. April 2018

    So ein ähnliches Gerät habe ich meinem Vater (83) gekauft 😉

    Diese Serie soll ja dazu animieren, sich entsprechende Erfahrung anzueignen. Mal einen Anstoß geben, diese seltsamen Objekte am Himmel aufzuspüren. Ist ja jetzt die ideale Jahreszeit, nicht mehr so kalt, noch früh genug dunkel und fast die ganze Pracht des Wintersternhimmels noch abends sichtbar.

  5. #5 rolak
    1. April 2018

    83

    Also meins hat bereits das ganze Jahrzehnt auf das Sterben des alten Knochens gewartet.
    Endlich DatenAbgleich via USB.

    Serie soll

    Macht sie auch, der durch sie entstandene Nachgucktrieb löste ja das Bedauern übers eigene Unwissen aus.
    Letzte Nacht war übrigens ein ulkiger HimmelsEffekt: Um 02Uhr wachgeworden und draußen wars hell (der Vollmond), dann wurde es langsam dunkel (verschwand hinter dem DachHorizont) bis zappenduster und danach kam die Dämmerung zum Tag. Fühlte sich irgendwie falsch an, diese Nacht im Schnelldurchlauf…

  6. #6 Bullet
    3. April 2018

    Wiki-Link auf ε Aur defekt 🙂

  7. #7 Alderamin
    3. April 2018

    Danke. Fixed.

  8. #8 neand
    steinzeit
    3. April 2018

    Cool 🙂