Als Hubble 1929 seine erste Schätzung des Parameters K für die Geschwindigkeit veröffentlichte, mit der sich extragalaktische Nebel pro Million pc Abstand von der Erde zu entfernen schienen, da war eigentlich schon klar, das sie falsch sein musste: rund 500 km/s, wie man dem (leider nicht gemeinfreien) Bild aus dem Originalartikel entnehmen kann.
Die Urknall-Theorie kriegt die Krise
Heute heißt K Hubble-Konstante und wird mit H0 abgekürzt. Die kuriose Einheit km s-1 Mpc-1 hat nach dem Wegkürzen von km gegen Megaparsec (1 Mpc = 3,084·1019 km) die Einheit 1/s. Bildet man den Kehrwert von H0, ergibt sich somit eine Zeit, die sogenannte Hubble-Zeit. Sie entspricht dem Alter des Universums unter der (zu) simplen Annahme, dass die Expansion mit konstanter Geschwindigkeit ohne Verlangsamung durch die wechselseitige Schwerkraft der Materie im Universum erfolgt sei. Mit einer solchen Verlangsamung war H früher größer, das Universum anfangs schneller gewachsen und mithin jünger als bei konstantem Wachstum zur selben Größe – die Hubble-Zeit ist damit eine Obergrenze des Alters des Universums. Mit Hubbles Wert für H0 von 500 km/s pro Mpc war das Weltall demgemäß höchstens 1,95 Milliarden Jahre alt. Aus der radiometrischen Datierung von Gesteinen mit der Uran-Blei-Methode war bereits 1927 von Arthur Holmes ein Erdalter von bis zu 3,0 Milliarden Jahren ermittelt worden – die Erde somit möglicherweise älter als das Universum!
Die Ursache war natürlich der grottige Wert von H0 – es war damals mit den bescheidenen Mitteln dieser Zeit ausgesprochen schwer, die Entfernungen von Galaxien zu messen und damit stimmte auch die für eine bestimmte Entfernung angegebene Rotverschiebung nicht. Schon den Andromedanebel verortete Hubble bei nur 900.000 Lichtjahren Entfernung. Heute wissen wir, dass es 2,52 Millionen sind. Und dass das Alter der Erde 4,54 Milliarden Jahre beträgt.
Aber es war nicht die letzte Alterskrise des Universums. Als man Mitte der 90er mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops endlich die 20jährige Debatte beenden konnte, ob H0 nun 50 oder 100 km s-1 Mpc-1 betrug (es kamen ca. 70 heraus), ergab sich unter Berücksichtigung der Verlangsamung der Expansion durch die Gravitation ein Weltalter von gut 11 Milliarden Jahren. Aber einige Sterne schienen deutlich älter zu sein.
Altersknick im HRD
Wie bestimmt man das Alter eines Sterns? Für einen einzelnen Stern ist das mitunter ziemlich schwierig – wir haben schon gehört, dass der Metallgehalt etwas über das Alter aussagt, denn er bleibt (außer bei den Roten Zwergen) während des Hauptreihenlebens unverändert und konserviert den Wert des instellaren Gases aus der Zeit als der Stern entstand, aber der Metallgehalt kann in der Milchstraße örtlich sehr unterschiedlich gewesen sein und er wuchs anfangs schnell und später nur noch langsam, was die Datierung jüngerer Sterne erschwert.
Einfacher ist es, das Alter von Sternhaufen zu bestimmen. Denn die Sterne darin sind zusammen entstanden und alle gleich alt – aber sie entwickeln sich je nach Masse verschieden schnell. Massereiche Sterne verbrauchen ihren Brennstoff schneller und werden rasch zu Riesen, während massearme Sterne viel sparsamer haushalten. Da die Kernfusion gut verstanden ist und es nicht allzu schwer ist, aus der Leuchtkraft und der Masse eines Sterns auf die Fusionsrate im Sterninneren zu schließen, kann man ziemlich gut überschlagen, wie lange ein Stern Wasserstoff im Kern fusionieren kann, bevor die Fusion sich in eine Schale um den Kern verlagert und der Stern beginnt, zum Riesen anzuschwellen. Dann verlässt er im nach den Astronomen Ejnar Hertzsprung und Henry Noris Russell benannten Hertzsprung-Russel-Diagramm (HRD), das die Leuchtkraft über der Farbe bzw. Temperatur der Sterne aufträgt, die sogenannte Hauptreihe, die aus den Wasserstoff fusionierenden Sternen gebildet wird.
Bei einem Sternhaufen tun dies je nach seinem Alter Sterne einer bestimmten Temperatur (d.h. Masse). Aus der Masse an demjenigen Punkt, oberhalb dessen die Sterne die Hauptreihe schon verlassen haben (der sogenannte turnoff-point TOP, “Abbiege-Punkt”), kann man so das Alter des Sternhaufens ablesen – es ist das Alter, das Sterne dieser Masse erreichen, bevor sie zu Riesen werden. Und das Alter der ältesten Kugelsternhaufen der Milchstraße betrug nach einigen Messungen 16 bis 18 Milliarden Jahre – deutlich älter als das Universum.
Das Rätsel wurde schließlich dadurch gelöst, dass wir mit der Hilfe von Weltraumteleskopen wie Hubble und HIPPARCOS die Messgenauigkeit für Entfernungen enorm verbessern konnten. Durch genauere Entfernungsmessung der Sterne erwiesen sich die Kugelsternhaufen als ferner, ihre Sterne somit als leuchtstärker und damit jünger. Und man entdeckte die Dunkle Energie: Die Expansion des Universums verlangsamte sich nicht, sie beschleunigte sich. Und das machte das Weltall älter als H0 es erscheinen lässt, denn früher expandierte es langsamer und brauchte länger, um eine gewisse Größe zu erreichen, als bei konstanter oder abgebremster Expansion.
Wie sieht die Situation heute aus? Die aus den Messungen von WMAP und PLANCK ermittelten Parameter für die Zusammensetzung des Universums in Bezug auf Materie (Dunkle und baryonische) und Dunkle Energie ergeben ein Weltalter von 13,799±0,021 Milliarden Jahren – ein Ergebnis auf 0,15% genau. Und das Alter der Sterne?
Die ältesten Kugelsternhaufen der Milchstraße wie NGC 6397 und NGC 6752 werden gemäß dieser Arbeit auf 13,4±0,8 Milliarden Jahre geschätzt [1]. Sie entstanden zusammen mit der Milchstraße. Wie ich im letzten Artikel erwähnt hatte, hat man bisher noch keine Population-III-Sterne entdeckt, das heißt die Kugelsternhaufen müssen etwas jünger sein als die erste Sterngeneration in der Milchstraße.
Es geht noch älter
2004 wählte ein Team von der ESO München und drei italienischen Instituten eine interessante Methode, um das Alter der Milchstraße anhand zweier Sterne in NGC 6397 zu bestimmen [2].
Sterne produzieren kein Beryllium. Ein wenig entstand beim Urknall, der größte Teil jedoch entsteht, wenn Protonen und α-Teilchen (die nichts anderes als die Kerne von Wasserstoff bzw. Helium sind) bei hoher Geschwindigkeit mit schwereren Kernen wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff kollidieren und diese zertrümmern (sogenannte Spallation). Auf die hohen Geschwindigkeiten werden die Teilchen bei Supernovae beschleunigt – das, wofür die Population-III-Sterne binnen weniger Millionen Jahre nach dem Beginn der Entstehung der Milchstraße sorgten, denn sie wurden nicht sehr alt und endeten schon binnen 2-5 Millionen Jahren als Supernovae. Dadurch reicherte sich das Gas im Halo der noch kollabierenden Milchstraße allmählich mit Beryllium an, aus dem dann die nächste Sterngeneration entstand – und auch die Kugelsternhaufen. Die Menge an Beryllium im Gas der Sterne eines Kugelsternhaufens verrät also, nach wie langer Zeit seit dem Beginn der Sternentstehung in der Milchstraße der Kugelsternhaufen entstanden ist. In diese Altersbestimmung geht ein Modell ein, mit welcher Rate die Konzentration des Berylliums im Gas der Milchstraße anwuchs (siehe Bild).
Die Autoren fanden in zwei Sternen des Kugelsternhaufens NGC 6397, die sich gerade am Turnoff-Point befinden, Beryllium-Konzentrationen, die auf eine Entstehung der Sterne ca. 200 bis 300 Millionen Jahre nach dem Beginn der Berylliumproduktion in der Milchstraße schließen lassen. Mit dem Alter des Kugelsternhaufens von 13,4 Milliarden Jahren ergibt sich demnach ein Alter der Milchstraße von 13,6 Milliarden Jahren – das ist wiederum nur 200 Millionen Jahre jünger als das Weltalter! Aber auf jeden Fall jünger, die Alterskrise ist damit ausgeräumt. Das Alter der Milchstraße passt hervorragend zum Alter des Universums.Die Urknall-Kritiker könnten jetzt natürlich einwerfen: Ha! Die Milchstraße mag 13,6 Milliarden Jahre jung sein, aber was ist mit anderen Galaxien, die könnten viel älter sein!
Suche nach der Methusalem-Galaxie
In einer Arbeit französischer und italienischer Astronomen aus dem Jahr 2016 wurden nicht weniger als 3597 Galaxien mit hoher Rotverschiebung auf ihr Alter hin untersucht [3]. Ziel war festzustellen, wann die Sternentstehung im Universum insgesamt begann, indem man vom Zeitpunkt, an dem das heute beobachtete Licht die Galaxien verließ, ihr damaliges Alter subtrahierte. Die untersuchten Galaxien liegen bei Rotverschiebungen von 2 < z < 6,5, entsprechend Weltaltern von 0,8 bis 3,3 Milliarden Jahren. Diese Galaxien sind so weit entfernt, dass man beim besten Willen keine einzelnen Sterne mehr darin untersuchen kann. Man kann nur das gemeinsam von allen Sternen abgestrahlte Licht analysieren, und selbst davon kommt zu wenig bei uns an, um damit Beryllium-Metallizitäten oder dergleichen zu messen. Man erkennt gerade eben die hellsten Wasserstofflinien. Man erhält aber ein Intensitätsprofil über alle Frequenzen, die spektrale Energiedichte. Das ist quasi die Hüllkurve, ähnlich der Planckschen Strahlungskurve für einen schwarzen Körper. Eine Galaxie, die aus Sternen verschiedener Temperaturen besteht, erzeugt jedoch keine Planckkurve. Die spektrale Energiedichte verrät somit etwas über den Mix der Sterne.
Neben dem Spektrum kann man noch Fotometrie betreiben, d.h. die Helligkeit durch verschiedene Filter messen, so dass man die Farbe der Galaxie erhält. Durch Modelle der Sternentstehung in Galaxien lässt sich in Simulationen ermitteln, wie sich die Farbe und die spektrale Energiedichte aufgrund der Neubildung von Sternen entwickeln. Frisch entstandene Sterne haben noch viele blauweiße O- und B-Sterne unter ihresgleichen, die zuerst in der Zahl anwachsen und später mit nachlassender Sternneubildung größtenteils wieder verschwinden, so dass junge Galaxien zunächst blauweiß leuchten, ältere hingegen rötlich. Blöderweise erzeugen die jungen Sterne aber auch eine Menge Staub, der erst später wieder in neuen Sterngenerationen verschwindet, und der hat die Eigenschaft, vor allem das blaue Licht zu absorbieren (sogenannte Extinktion des Lichts), so dass die Galaxie eine zeitlang röter und somit älter erscheint.
Im folgenden Bild ist gezeigt, wie bei einer simulierten Galaxie (deren die Autoren 180.000 simulierten!) die Spektroskopie und die Fotometrie nur in Kombination den korrekten Punkt aus Alter und Staubgehalt reproduzieren können. Der Staubanteil ist hier angegeben als sogenannter Farbexzess E(B-V) – wir brauchen hier nur zu wissen, dass ein größerer Wert eine stärkere Rötung aufgrund eines höheren Staubgehalts anzeigt. 0 wäre der Wert ohne Staub. Hier werden 0,2 simuliert:
Das Sternchen zeigt an, dass die simulierte Galaxie bei 0,4 Milliarden Jahren Alter und E(B-V) von 0,2 sitzt. Das Spektrum alleine (links) ergibt zwar eine gute Abschätzung des E(B-V), aber schätzt die Galaxie deutlich zu jung. Die Farb-Fotometrie unterschätzt den Staubanteil und überschätzt das Alter. In Kombination ist aber genau das richtige Alter beim korrekten Staubgehalt am wahrscheinlichsten.Mit diesem Rüstzeug haben die Autoren die knapp 3600 Galaxien gemessen. Im folgenden Bild sieht man verschiedene Altersdefinitionen, unter anderem in Grün das mittlere Alter der Sterne, in Rot das Alter vom Zeitpunkt an gemessen, als die Galaxien das erste Viertel der Masse ihrer Sterne gebildet hatten und als graue Kreuze das Alter seit Beginn der Sternentstehung. Die Messpunkte sind aufgetragen in Milliarden Jahren (y-Achse) über der Rotverschiebung (x-Achse, entsprechend der Entfernung).
Die durchgezogene schwarze Linie markiert das Alter des Universums zu jeder Rotverschiebung gemäß dem Modell des Universums mit Dunkler Energie Λ und kalter Dunkler Materie CDM (eben: Λ-CDM). Beispielsweise war das Weltall bei der Rotverschiebung z=2 etwa 3,3 Milliarden Jahre alt, bei z=7 nur 0,8 Milliarden. Aus der Position der Kreuze kann man erkennen, dass die Sternentstehung schon sehr kurz nach dem Urknall einsetzte (etwa bei z=15, wie in der Arbeit vermerkt ist, das sind 260 Millionen Jahre; einzelne Kreuze sind hier noch dichter an der Urknall-Linie, aber in diesem Diagramm fehlen leider die Fehlerbalken). Wichtig: alle Kreuze liegen unter der Linie. Es gibt hier keine Galaxien, die 6 oder 13 oder noch mehr Milliarden Jahre alt sind. Alle sind jünger als das Universum.Damit belegt sowohl das Alter der Milchstraße als auch dasjenige der fernen Galaxien, dass sie jünger als der Urknall sind. Es gibt keine uralten Galaxien, die den Urknall widerlegen würden. Nirgends.
Im nächsten Teil der Reihe schauen wir uns die Entwicklung der Galaxien an und was die Quasare damit zu tun haben.
Eine Übersicht und Zusammenfassung aller Artikel dieser Reihe gibt es hier.
Referenzen
[1] Raffaele Gratton, Angela Bragagliaet al., “Distances and ages of NGC 6397, NGC 6752 and 47 Tuc“, Astronomy and Astrophysics, v.408, p.529-543, 17. November 2003; arXiv:astro-ph/0307016.
[2] L. Pasquini, P. Bonifacio et al., “Beryllium in turnoff stars of NGC6397: early Galaxy spallation, cosmochronology and cluster formation“, Astronomy and Astrophysics, Volume 426, Number 2, p. 651 – 657, 1. November 2004; arXiv:astro-ph/0407524.
[3] R. Thomas1, O. Le Fèvre, et al. “The extended epoch of galaxy formation: age dating of ~3600 galaxies with 2 < z < 6.5 in the VIMOS Ultra-Deep Survey“, Astronomy & Astrophysics, Vol. 602, 31. Mai 2017, https://arxiv.org/abs/1602.01841
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