Auf dieses Ereignis warten die Amerikaner seit dem 8. Juli 2011: seit dem Start des Space Shuttle Atlantis zur Mission STS-135 ist kein Mensch mehr von amerikanischem Boden aus in die Erdumlaufbahn gestartet. Damit soll nun Schluss sein: Elon Musks Firma SpaceX will am Mittwoch, 27. Mai 2020 um 16:33h Florida-Zeit / 22:33h MESZ – wenn das Wetter es erlaubt und auch sonst nichts schief geht – eine Crew Dragon auf einer Falcon 9 Block 5 zur Internationalen Raumstation schießen. Und die Bahn der Kapsel wird sie rund 20 Minuten später direkt über Mitteleuropa führen, noch bis Slowenien angestrahlt von der Sonne und somit vom deutschen Sprachraum aus sichtbar. Im folgenden ein paar Worte zur Mission und Vorhersagekarten zur Beobachtung.
[UPDATE] +++ Jetzt gibt es auch Vorhersagen auf Heavens-Above.com mit denen sich jeder seine eigene Vorhersage errechnen lassen kann +++ oben rechts den Ort eingeben oder anmelden +++ Crew Dragon Link folgen +++ [/UPDATE]
Kosten und Prestige
An Bord der Dragon werden die NASA-Astronauten Robert “Bob” Behnken (Jahrgang 1970) und Douglas “Doug” Hurley (1966) sein. Beide sind mehrfach das Space Shuttle geflogen (Behnken dreimal, Hurley zweimal, darunter den letzten Flug STS-135) und somit alte Hasen.
Seit das Shuttle 2011 in den Ruhestand geschickt wurde, musste die NASA bei der russischen Weltraumorganisation Roskosmos Sitzplätze in den Sojus-Raketen buchen, um zur ISS fliegen zu können, die ihre Monopolstellung ausnutzte und kräftig an der Preisschraube drehte. Als die Shuttles noch flogen, verlangte Roskosmos knapp $23 Millionen (die Sojus- und Shuttle-Missionen zur ISS wechselten sich damals ab). Zu diesem Preis nahm Roskosmos auch ein paar Touristen mit zur ISS. Zuletzt kostete ein Sitzplatz in der Sojus-Kapsel $86 Millionen. SpaceX will die Flüge nun für $55 Millonen pro Sitzplatz anbieten. Konkurrent Boeing verlangt für einen Sitzplatz in seinem CST-100 Starliner hingegen $90 Millionen. Die Shuttle-Flüge hatten $450 Millonen das Stück gekostet, was bei 7 mitfliegenden Astronauten einem Sitzplatzpreis von $64 Millionen entspricht (es verblieben aber nur 3-4 davon in der ISS). Vor allem hat die NASA jedoch bei den Entwicklungskosten gespart: SpaceX erhielt $3100 Millionen und Boeing $4821 Millionen an Förderung für die Entwicklung ihrer Raumfahrzeuge (Blue Origin und Sierra Nevada, die am Ende nicht zum Zuge kamen, noch einmal zusammen knapp $388 Millionen). Das SLS-Orion-Programm verschlang seit 2011 bereits $20 Milliarden und der erste Start einer Orion auf SLS steht immer noch aus. Für weniger als die Hälfte hat die NASA nun gleich zwei private Fluggelegenheiten in die Erdumlaufbahn (was gut ist, wenn es mit einer davon mal ein Problem geben sollte, dann kann man mit der anderen weiterfliegen).
Es sind aber nicht nur finanzielle Gründe, warum der Flug für die Amerikaner so bedeutend ist – natürlich geht es auch um das Prestige. Man sieht sich als führende Technologienation, das möchte man natürlich auch nach außen darstellen. Auf den ehemaligen Klassenfeind angewiesen zu sein, kommt da nicht so gut. Deswegen sind die Schlagzeilen der US-Medien voll von Statements der Art “Erster amerikanischer Flug von amerikanischem Boden seit der Shuttle-Ära”. Patriotismus pur. #LaunchAmerica.
Der Start wird von der geschichtsträchtigen Startrampe 39A erfolgen, von der aus 12 Saturn-V-Raketen (und damit alle außer einer, Apollo 10) und 94 Shuttle-Missionen starteten (darunter die erste, Columbia STS-1, und die letzte, Atlantis STS-135) , sowie 16 SpaceX Falcon 9 und drei Falcon Heavy. Die Startrampe ist jetzt alleine SpaceX vorbehalten und die geplanten NASA-Artemis-Mondflüge mit der Riesenrakete SLS werden von der benachbarten Rampe 39B abheben.
Der Weg zu Demo-2
Die Dragon-Mission läuft unter dem Namen Crew Dragon Demo-2. Dies ist also der zweite Demonstrationsflug einer Crew Dragon. Der erste erfolgte vom 2. bis 8. März 2019, war ohne Besatzung und dockte vollautomatisch an die ISS an. Damals sollte SpaceX unter Beweis stellen, dass die Kapsel sicher ist und funktioniert. Um den bereits um vier Jahre verzögerten Zeitplan zu verkürzen – eigentlich sollte der erste Demonstrationsflug einer Crew Dragon schon 2015 erfolgen und die ersten Einsatzflüge für die NASA schon 2017 – hatte man zwei Missionen zusammengelegt, einen Flug in die Nähe der ISS, bei dem die Manövrierfähigkeit demonstriert werden sollte, sowie das automatische Andocken, beide ohne Besatzung. Die älteren Fracht-Dragon-Kapseln, die nun ausgemustert wurden (wiederverwendete, umgerüstete Crew-Dragons ersetzen sie künftig, während Crews immer in neuen Dragons starten), dockten nicht selbstständig an, sondern wurden mit dem langen Roboterarm der ISS geborgen und dann von diesem aufs Dock geflanscht.
Der Kombinationsflug Crew Dragon Demo-1 führte sowohl Manöver in der Nähe der ISS vor, als auch nachfolgend das erfolgreiche Andocken an die ISS. Er war ein voller Erfolg – im Gegensatz zum entsprechenden Demonstrationsflug des Konkurrenten Boeing CST-100 Starliner, der wegen eines Software-Fehlers die ISS gar nicht erst erreichte und noch weitere Probleme offenbarte.
Die Demo-1-Kapsel, Seriennummer C201, sollte dann noch für einen Abbruch-Test während des Fluges verwendet werden und das Rettungssystem der Kapsel, fest eingebaute Superdraco-Flüssigkeitstriebwerke, demonstrieren, jedoch explodierte die Kapsel zuvor bei einem Testlauf ebenjener Triebwerke am 20. April 2019. Eine Untersuchung ergab, dass ein undichtes Rückschlagventil, das den Fluss des Oxidationsmittels in die richtige Richtung lenken sollte, beim Betanken nicht vollständig abgedichtet hatte und so ein “Pfropfen” von unter Druck stehendem Oxidationsmittel auf ein Titanventil gestoßen war, was eine heftige Reaktion auslöste. Die Rückschlagventile wurden daraufhin durch eine andere Bauart ersetzt.
Glücklicherweise, wie NASA und SpaceX betonten, war der Fehler bei Bodentests rechtzeitig entdeckt worden, aber es ist gerade die Strategie von SpaceX, radikale Neuerungen einzuführen und dann kaputt zu testen, um aus den Fehlern zu lernen, während die Luft- und Raumfahrtindustrie ansonsten konservativer vorgeht und Fehler auch im Test möglichst zu vermeiden sucht. Andere Firmen verifizieren ihr Design gewissermaßen, während SpaceX es falsifiziert.
Der Abbruch-Test wurde dann am 19. Januar mit einer anderen Kapsel, Nr. C205, durchgeführt, die eigentlich für Demo-2 vorgesehen gewesen war. In 21 km Höhe bei einer Geschwindigkeit von Mach 2,2, was dem maximalen dynamischen Druck während des Aufstiegs entspricht, wurden die Triebwerke der Trägerrakete abgeschaltet und die Kapsel interpretierte dies als Versagen der Falcon 9 und löste selbstständig die Abtrennung von der Rakete aus, die danach per Fernbefehl gesprengt wurde. Die Kapsel stieg auf 42 Kilometer Höhe, stabilisierte ihre Fluglage, warf den mit ihr verbundenen Frachtbehälter ab und landete sicher an ihren Fallschirmen im Atlantik.
Mit den Fallschirmen der Kapsel hatte es seinerseits Probleme gegeben, die sich bei asymmetrischer Lastverteilung manchmal nicht richtig geöffnet hatten. Diese Probleme konnten ebenfalls beseitigt werden. Von 27 Abwürfen der Kapsel mit dem verbesserten Mark-3-Fallschirmsystem vom Helikopter aus misslang nur einer, weil der Hubschrauber beim Aufstieg in eine instabile Fluglage geraten war und die Kapsel abwerfen musste, bevor das Fallschirmsystem scharf geschaltet worden war.
Durch diese Probleme kam es zu einer weiteren rund einjährigen Verzögerung der Demo-2-Mission, was die NASA zwang, weitere Sojus-Sitzplätze zu buchen. Um Zeit aufzuholen werden auch bei Demo-2 zwei Flüge kombiniert. Abweichend vom früheren Plan werden nun nicht erst SpaceX-Astronauten auf den ersten astronautischen Flug mit der Crew Dragon geschickt, bevor die NASA eigene Astronauten der Kapsel anvertraut, sondern dies geschieht gleich beim ersten Flug mit Crew.
Die Kapsel wird zukünftig mit 4 Passagieren besetzt sein. Beim ersten noch für Ende dieses Jahres geplanten operationellen Flug Crew-1 sind 4 Passagiere geplant, drei Amerikaner und ein japanischer Astronaut, und bei Crew-2 im kommenden Jahr sollen zwei Amerikaner, ein französischer und ein russischer Astronaut zusammen starten. Ursprünglich waren sogar 7 Sitze in der Dragon 2 geplant, aber der Verzicht auf Landungen auf festem Boden mit Hilfe der Superdraco-Triebwerke und somit die Beschränkung auf Wasserungen am Fallschirm auf Druck der NASA (aus Sicherheitsgründen) erforderte eine stärkere Neigung der Sitze, um die Wirbelsäulen der Insassen beim Wassereinschlag zu schonen, was es unmöglich machte, mehr Sitzplätze einzubauen. Im folgenden Video kann man sich das stylische, aber etwas klinische Innere der Kapsel bewundern.
Geplanter Abblauf
Die Mission soll am Mittwoch damit beginnen, dass die Astronauten 3 Stunden vor dem Start nach ihrem Frühstück und Einkleiden im Crew-Quartier mit einem Auto – nein, nicht mit dem “Astro-Van”, wie er bei den Apollo- und Shuttle-Flügen eingesetzt wurde, sondern selbstverständlich mit einem Tesla Modell X Sportwagen – die 14 Kilometer zur Rakete gefahren werden. Sie steigen um 14:15 Ortszeit (20:15 mitteleuropäischer Zeit) über eine zum Start wegklappbare Gangway in die Kapsel ein, deren Luke gegen 15:10 (21:10) geschlossen werden wird.
Um 16:33 (22:33) erfolgt dann planmäßig der Start. Die erste Stufe wird 2 Minuten 35 Sekunden brennen und die Rakete in 80 km Höhe tragen und auf 6500 km/h (1,8 km/s) beschleunigen. Die erste Stufe trennt sich bei 2 Minuten 40 von der 2. Stufe und fliegt zurück zur Erde, wo sie 10 Minuten nach dem Start auf dem “autonomen Drohnenschiff” Of Course I Still Love You im Atlantik landen soll. Die zweite Stufe zündet 2 Minuten 47 nach dem Start und brennt bis 9 Minuten 06 Sekunden auf einer Höhe von knapp 200 km und bei einer Endgeschwindigkeit von 27160 km/h (7,5 km/s), bei der sie die Dragon aussetzen wird.
Dragon manövriert danach mit eigenem Antrieb auf den Orbit der ISS in 400 km Höhe, um plangemäß 19 Stunden nach dem Start am 28. Mai um 17:29 deutscher Zeit an die Internationale Raumstation anzudocken. Um 19:55 MESZ soll die Luke geöffnet werden. Die Astronauten werden danach 30-119 Tage (also 1-4 Monate) auf der ISS verbringen, je nachdem, wie sich die Kapsel im Weltall schickt und wie die Arbeiten an der Nachfolgekapsel für die Mission Crew-1 voranschreiten. Die Besatzung wurde vorsorglich für Außenbordeinsätze an der ISS geschult und wird an den ISS-Experimenten teilnehmen.
Zum Selbergucken
Der Starttermin fällt auf eine für Mitteleuropa günstige Zeit. Zwar führen alle Flüge von Cape Canaveral zur ISS über Mitteleuropa, aber nicht alle zu einer Uhrzeit, in der es am Boden schon dunkel und im Orbit noch hell ist. Das wird am Mittwoch der Fall sein, daher haben wir mit etwas Glück die Gelegenheit, die Kapsel und die 2. Stufe der Falcon rund 20 Minuten nach dem Start über dem Westhimmel auftauchen zu sehen. Besonders reizvoll ist es, mit dem Feldstecher zu schauen, ob die Kapsel kleine Schubstöße mit den Triebwerken abgibt, das sieht ziemlich spektakulär aus, wenn sich die Abgase im Sonnenlicht ausbreiten. Der niederländische Raumfahrtexperte Marco Langbroek hat schon bevor Vorhersagen auf Portalen wie Heavens Above für alle verfügbar sind die Bahnelemente auf der Basis derer des ersten Flugs Demo-1 und des anvisierten Starttermins abgeschätzt und online gestellt. Ich habe sie in ein Vorhersageprogramm geladen, mit deren Hilfe ich Überflugskarten für einige große Städte im deutschen Sprachraum generiert habe. Damit könnt Ihr abschätzen, wann die Kapsel ungefähr wo am Himmel auftauchen wird. Die Zeiten können dabei um einige Minuten variieren, dies sollte man mit einrechnen.
Im Moment sind die Wetteraussichten am Cape noch kritisch mit nur 60% Wahrscheinlichkeit für ausreichend gute Bedingungen für einen Start. Falls der geplante Starttermin nicht gehalten werden kann, stehen schon für den 30. Mai um 15:22 Uhr Ortszeit und 31. Mai um 15:00 Uhr Ausweichtermine fest. Der erste könnte somit gegen 21:45 eher im östlichen Bereich des deutschen Sprachraums beobachtet werden, wo es früh genug dunkel wird; der zweite wird wohl überall bei zu hellem Himmel stattfinden. Drücken wir also die Daumen für Mittwoch. Ansonsten sollte es wenigstens Gelegenheit geben, die Kapsel auf dem Weg zur ISS noch einmal zu sehen.
Den Astronauten viel Glück für Ihre Mission und Euch viel Glück bei der Beobachtung!
Nachtrag
Hier das Programm auf dem NASA-Live Streaming-Kanal. Kelly Clarkson singt die Nationalhymne… 😀
Im deutschen TV berichtet Phoenix ab 21:00.
Referenzen
- Hanneke Weitering, “How SpaceX’s Crew Dragon Demo-2 mission will work in 13 steps“, Space.com, 21. Mai 2020.
- Jeff Foust, “SpaceX reports problem during Crew Dragon parachute test“, SpaceNews, 24. März 2020.
- Marco Langbroek, “The trajectory of the upcoming Crew Dragon Demo-2 launch, returning the US to crewed spaceflight “, SatTrackCam Leiden (b)log, 24. Mai 2020.
- Verschiedene, “7 Seat Crew Dragon variant?“, Reddit, Januar 2020.
- en.wikipedia.com “Douglas Hurley“.
- en.wikipedia.com “Robert L. Benken“.
- en.wikipedia.com “Dragon 2“.
- en.wikipedia.com “Crew Dragon Demo-2“.
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