Aber wie läuft das dann konkret ab? Wer informiert wen, im Falle des Falles?
Ein möglicher “Ernstfall” ist am 13. Januar 2004 eingetreten. Da wurde ein Objekt entdeckt das die provisorische Bezeichnung AL00667 trug. Und erste Rechnungen legten die Möglichkeit nahe, das dieser Asteroid mit der Erde kollidieren könnte – und zwar schon in 2 Tagen!
Angefangen hat die Geschichte mit Beobachtungen die im Rahmen von LINEAR durchgeführt wurden – dem Lincoln Near Earth Asteroid Research; ein Projekt des Massachusetts Institute of Technology zur Suche nach erdnahen Asteroiden. Wie üblich wurden die Daten ans MPC übermittelt. Tim Spahr, ein Wissenschaftler am MPC hat die Daten verarbeitet und auf der Homepage des MPC veröffentlicht, kurz bevor er zum Abendessen nach Hause ging. Nun konnten Astronomen überall auf der Welt darauf zugreifen und Nachbeobachtungen anstellen um die Existenz dieses neuen Objekts zu bestätigen. Ein deutscher Amateurastronom (Reiner Stoss) hat diese Daten gesehen und überrascht festgestellt, dass AL00667 im Laufe des nächsten Tages etwa vierzigmal heller werden wird. Das würde aber bedeuten, dass er der Erde sechsmal näher kommt als im Moment – der Asteroid schien sich also sehr schnell direkt auf die Erde zuzubewegen! In einer Yahoo-Mailing-Liste hat er darüber berichtet – und zufälligerweise hat Alan Harris (ein professioneller Astronom) dort mitgelesen. Er hat das ganze überprüft und sofort David Morrison (Chef der Asteroidenabteilung der IAU) und Don Yeoman (Chef der Abteilung für erdnahe Asteroiden der NASA) informiert. Diese probierten, Tim Spahr zu erreichen um an die Daten zu kommen – leider erfolglos. Brian Marsden, Chef des MPC konnte allerdings erreicht werden und übermittelte die Daten von AL00667 an die NASA. Diese berechneten nun eine neue Bahn, die diesmal relativ weit an der Erde vorbeiführen würde. Zwischenzeitlich hatte aber auch Tim Spahr von der Angelegenheit erfahren und ebenfalls eine neue Bahn ins Internet gestellt auf der der Asteroid wieder auf die Erde zufliegt (sie aber knapp verpasst). Schließlich konnte ein weiterer Amateurastronom durch seine Beobachtungen eine Kollision des Asteroiden mit der Erde endgültig ausschließen.
Es ging also – simpel gesagt – drunter und drüber und keiner wusste so genau, was los ist.Das MPC hatte nicht gemerkt, dass die publizierten Beobachtungsdaten eine Kollision in allernächster Zukunft nahelegen und die späteren Berechnungen der Bahn sind ziemlich unkoordiniert abgelaufen (die Kollegen von NEODys wurden beispielsweise überhaupt nicht informiert). Clark Chapman schreibt in einem Bericht (“NEO Impact Scenarios”, AIAA 2004 Planetary Defense Conference) über die Angelegenheit:
“With
hindsight, we can surely imagine better solutions than any of those
implemented on the NEOCP in unplanned crisis-mode that night. But the
chief blameworthy error is lack of thorough planning by the NEO
community for such a contingency, not in the spur-of-the-moment
decisions actually made”.
(Im Nachhinein können wir uns sicherlich bessere Möglichkeiten vorstellen die Angelegenheit zu behandeln als diejenigen, die im ungeplanten Krisemodus dieser Nacht verwendet wurden. Aber der tadelnswerteste Fehler lag im Mangel an vernünftiger Planung von Seiten der NEO-Community und nicht in den spontanen Entscheidungen die gemacht wurden)
Man war also offensichtlich nicht wirklich darauf vorbereitet, was zu tun ist, wenn ein bevorstehender Asteroideneinschlag entdeckt wird. Angeblich war Clark Chapman sogar kurz davor, Präsident Bush zu informieren (der am nächsten Tag passenderweise sowieso eine Rede im NASA-Hauptquartier halten sollte). Chapman dementiert dies allerdings – er hätte im Falle des Falles nur Don Yeomans von der NASA angerufen; von dort wäre die Nachricht dann durch die Hierarchien nach oben gewandert und eventuell im Weißen Haus gelandet. Yeomans meinte aber, dass er die Daten sowieso erst selbst überprüfen würde, bevor er sie weiterleitet und in diesem Fall auch nicht einfach auf Chapman gehört hätte.
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