LHC funktioniert! Heute morgen wurden die ersten Protonenstrahlen in den 27 km langen Ring eingeschossen und alles verlief so wie erwartet. In den nächsten Tagen und Wochen werden weitere Tests folgen und die Energie der Strahlen wird langsam erhöht – solange bis dann endlich alles bereit ist, um die ersten Teilchenkollisionen durchzuführen. Dann beginnt auch die wissenschaftliche Arbeit am LHC.
Auch wenn in den Medien meist nur über die Suche nach dem Higgs-Boson geredet wird: am LHC gibt es auch noch jede Menge andere wissenschaftliche Experimente. Eines davon (das mich als Astronom besonders interessiert) ist die Suche nach dunkler Materie.
Dunkle Materie
Ein Teilchenbeschleuniger auf der Suche nach dunkler Materie? Klingt ein wenig seltsam. Mit dunkler Materie assoziert man normalerweise die unbekannten Weiten des Weltalls und große Teleskope. Wie soll man hier etwas mit einem Teilchenbeschleuniger herausfinden können?
Mit der dunklen Materie gibt es ein großes, drängendes Problem: wir wissen nicht, um was es sich dabei handelt! Das bedeutet nicht, dass dunkle Materie “nur ein Theorie” ist, die sich die Astronomen in ihrer Verzweiflung aus den Fingern gesogen haben weil sie sonst nicht weiterkommen. Dunkle Materie existiert! Das lässt sich auf verschiedenste Weise nachweisen. Aber wir wissen eben noch nicht, aus was diese dunkle Materie eigentlich besteht.
Und wie kam man eigentlich auf die Idee, dass diese mysteriöse Materie existieren soll?
1933 hat der Astronom Fritz Zwicky die Galaxien in einem Galaxienhaufen beobachtet. Diese Galaxien bewegen sich natürlich weil sie sich gegenseitig durch ihre gravitative Anziehungskraft beeinflussen. Diese Anziehungskraft hängt von der Masse ab – und Galaxien bestehen hauptsächlich aus Sternen. Kennt man also die Helligkeiten der Galaxien kann man auch die Anzahl der Sterne und damit die Masse einer Galaxie abschätzen. Kennt man die Massen, kann berechnen, wie sich die Galaxien bewegen sollte. Zwicky fand nun, dass sich die Galaxien nicht so bewegten wie vorherberechnet. Es sah so aus, als wäre dort mehr Masse vorhanden als man sehen konnte.
1960 wurde dieses Ergebnis von Vera Rubin bestätigt. Sie untersuchte, wie sich Sterne um das Zentrum einer Galaxie bewegen. Auch hier hängt die Umlaufgeschwindigkeit von der Masse der Galaxie ab und es wird erwartet dass die Geschwindigkeit ab einer gewissen Distanz vom Zentrum stark abfällt (siehe Bild rechts). Beobachtet hat man aber etwas ganz anderes – die Geschwindigkeit wird nicht kleiner sondern bleibt mehr oder weniger gleich. Das ist wieder ein Hinweis auf zusätzliche Masse.
Es schien also im Universum Masse zu geben, die nur gravitativ wechselwirkt aber keine (oder kaum) elektromagnetischen Signale aussendet oder reflektiert. Eben dunkle Materie. Zahlreiche weitere Beobachtungen im Laufe der Zeit haben diese Annahme bestätigt: Im Universum gibt es Masse, die wir nicht sehen können.
Aus den Beobachtungen und theoretischen Überlegungen weiß man mittlerweile das der sichtbare Anteil der Materie im Universum nur etwa 15% ausmacht. Die restlichen 85 % müssen dunkle Materie sein.
Aber worum es sich bei der dunklen Materie genau handelt, wissen wir leider immer noch nicht. Immerhin gibt es einige vernünftige Vermutungen – und Experimente am LHC können helfen hier Licht ins (buchstäbliche) Dunkle zu bringen.
Woraus besteht dunkle Materie
Hier gibt es einige Möglichkeiten: dunkle Materie könnte beispielsweise buchstäblich dunkle Materie sein. Also Materie, die identisch mit der ist, die wir sehen können nur dass sie eben aus bestimmten Gründen einfach nicht leuchtet und deswegen unsichtbar ist. Kalte Wolken aus interstellarem Gas beispielsweise oder sogannten MACHOs. Das steht für Massive Astrophysical Compact Halo Objects und dabei handelt es sich um große Himmelskörper in denen keine Kernfusion stattfindet und die daher auch nicht leuchten. Allerdings müsste man sie mit dem Gravitationslinseneffekt “sehen” können (wenn ein MACHO von uns aus gesehen vor einem Stern steht, dann würde seine gravitative Wirkung das Licht Sterns auf eine bestimmte Weise ablenken). Ausserdem würde diese Art der dunklen Materie nicht mit den kosmologischen Theorien zusammenpassen. Auch wenn MACHOs existieren, dann machen sie wohl nur ein winzig kleinen Teil der dunklen Materie aus.
Eine zweite Möglichkeit wäre sogenannte “heiße dunkle Materie”: das bedeutet schnelle, leichte Teilchen. Lange dachte man, Neutrinos wären der passende Kandidat für die dunkle Materie. Neutrinos sind Elementarteilchen die von den Sternen bei ihrer Kernfusion in großer Menge erzeugt werden aber kaum nachweisbar sind weil sie kaum mit anderer Materie wechselwirken. Allerdings hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass ihre Masse viel zu gering ist um für die dunkle Materie in Frage zu kommen. Und auch hier gäbe es Widersprüche zu den kosmologischen Theorien.
Bleibt als dritte Möglichkeit die “kalte dunkle Materie” – bisher noch unbekannte Elementarteilchen die nur von Gravitation und der schwachen Kernkraft beeinflusst werden. Diese WIMPs (Weakly Interactive Massive Particles) wechselwirken kaum mit normaler Materie und würden auch den kosmologischen Theorien nicht widersprechen. Ein ausichtsreicher Kandidat für so ein WIMP wäre das LSP – das “lightest supersymmetric particle”. Diese leichteste supersymmetrische Teilchen wird von einer Theorie postuliert, die das bisher gültige Standardmodel der Teilchenphysik auf interessante Art und Weise erweitert: die Supersymmetrie (SuSy)
Supersymmetrie
In der supersymmetrischen Erweiterung des Standardmodells wird jedem bekannten Elementarteilchen ein neuer supersymmetrische “Zwilling” zugeordnet. Natürlich kein identischer Zwilling – die neuen Teilchen haben andere Eigenschaften als ihre Partner.
Mit dieser Erweiterung des Standardmodells versucht man einerseits eine vereinheitlichte Theorie der Grundkräfte zu finden. Andererseits könnten supersymmetrische Teilchen auch eine Lösung für das Problem der dunklen Materie sein. Sie hätten genau die richtigen Eigenschaften. Diese neuen Teilchen sind aber schwerer als die normalen Teilchen und deswegen auch schwerer zu entdecken.
Von den supersymmetrischen Teilchen ist das Neutralino der beste Kandidat für die dunkle Materie. Es hat eine große Masse und keine elektrische Ladung (ist also dunkel) – genau das, was man von dunkler Materie erwarten würde. Mittlerweile deuten auch Messungen des europäischen Satelliten PAMELA darauf hin, dass dunkle Materie aus supersymmetrischen Teilchen besteht.
LHC und dunkle Materie
Bis jetzt waren die Teilchenbeschleuniger nicht stark genug um die Supersymmetrie zu bestätigen oder zu widerlegen. Um bei einer Teilchenkollision supersymmetrische Teilchen erzeugen zu können, müssen die kollidieren Partikel mit ausreichend hohen Geschwindigkeiten aufeinander prallen. Dann würde genug Energie entstehen um auch die schweren supersymmetrischen Partnerteilchen erzeugen zu können. Dem LHC könnte das aber nun vielleicht gelingen.
Die Entdeckung eines supersymmetrischen Teilchens wäre nicht nur ein tolles Ereignis für die Astrophysiker die dann endlich wüssten, wie sich die dunkle Materie zusammensetzt. Auch für die Teilchenphysiker wäre das ein gewaltiger Erfolg und ein großer Schritt vorwärts auf dem Weg zu einem vollständigen Verständnis der Bausteine unserer Welt.
Das meint auch Rolf-Dieter Heuer der nächstes Jahr die Leitung des CERN übernehmen wird:
“Der LHC wird ein Fenster in dieses Dunkle Universum öffnen, hoffe ich.
Das finde ich faszinierend. Die Möglichkeit, den ersten Schritt in das
Dunkle Universum zu gehen, finde ich ganz fantastisch. Das ist
natürlich nicht garantiert, aber die Wahrscheinlichkeit, Kandidaten für
die Dunkle Materie zu finden, ist relativ groß.”
Auch wenn mit wissenschaftlichen Ergebnissen am LHC erst in paar Jahren zu rechnen ist – ich bin enorm gespannt, was an dieser großartigen Maschine alles entdeckt werden wird!
P.S. Ich habe hier bewusst nicht über die diversen Weltuntergangsszenarios geschrieben die angeblich am LHC stattfinden werden. Dazu gibt es einen anderen Beitrag – hier soll es um Wissenschaft gehen.
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