Gelöst werden konnte dieses Rätsel erst 1915, als Albert Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte. Diesmal hatte sich Le Verrier falsch entschieden: Newtons Gravitationstheorie war tatsächlich nicht in der Lage gewesen, die Bewegung des Merkur ausreichend gut zu erklären. Kein unbekannter Einfluss war für die Diskrepanz zwischen Beobachtung und Theorie verantwortlich sondern es war nötig gewesen, eine neue, verbesserte Theorie zu finden. Dies hat Einstein mit seiner Relativitätstheorie getan und mit ihr ließ sich auch die Bewegung des Merkur zufriedenstellend beschreiben – ganz ohne den Einfluß eines hypothetischen Vulkan.
Aber auch später noch wurde die Astronomie vor die Wahl gestellt, eine Theorie zu verwerfen oder nach unbekannten Einflüssen zu suchen. Wieder lag das Problem bei der Bewegung von Himmelskörper.
Dunkle Materie
1933 untersuchte der Schweizer Astronom Fritz Zwicky die Bewegung von Galaxien im Coma-Haufen (rechts). Er fand, dass diese Ansammlung von etwa 1000 Galaxien eigentlich gar nicht existieren dürfte. Die einzelnen Galaxien bewegten sich viel zu schnell, um in einem Haufen organisiert zu bleiben. Die gravitativen Kräften der Gesamtmasse des Haufens ist zu gering, um die Galaxien daran zu hindern, einfach “wegzufliegen”. Dort muss sich entweder mehr Materie befinden, als man beobachten kann – dann würde deren zusätzliche gravitative Wirkung für den Zusammenhalt sorgen. Oder die Theorie ist falsch.
Zwicky postulierte damals zusätzliche, unbeobachtete Materie im Coma-Haufen. Seine Hypothese setzte sich allerdings in der wissenschaftlichen Welt nicht wirklich durch. Einige Jahrzehnte später stieß allerdings die amerikanische Astronomin Vera Rubin auf das gleiche Problem.
Sie beobachtete die Sterne in einer Galaxie. Auch hier hängt die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne um das Galaxienzentrum bewegen, von der in der Galaxie enthaltenen Gesamtmasse ab. Rubin fand nun, dass sich die Sterne nicht so bewegen, wie sie es laut theoretischer Vorhersage tun sollten. Wieder gab es zwei Möglichkeiten, die Diskrepanz aufzulösen: entweder es existiert mehr Masse in den Galaxien, als man sehen kann. Diese Masse würde dann mit ihrer Gravitationswirkung die beobachtete Geschwindigkeit erklären. Oder es gibt Probleme mit der Theorie.
Nun begann man das Problem ernst zu nehmen; besonders dann, als es später auch noch bei Galaxiensuperhaufen (also Anhäufungen von Galaxienhaufen) auftrat. Überall im Universum – von Sternen in Galaxien bis hin zu Galaxienhaufen – schienen sich die Himmelskörper nicht so zu bewegen, wie sie es sollten. Sie bewegten sich so, als stünden sie unter dem Einfluß einer größeren Menge von Materie, als wir beobachten können. Neben der “normalen” Materie schien es also eine Art “dunkler Materie” zu geben. Etwas, das zwar eine gravitative Wirkung ausübt – aber keine elektromagnetische Strahlung (also auch Licht) aussendet bzw. reflektiert.
Auch die Kosmologen stellten fest, dass ihre Theorien besser mit der Realität übereinstimmten, wenn sie davon ausgingen, dass große Mengen dieser dunklen Materie im Universum existieren.
Die dunkle Materie repräsentiert den Weg, den Le Verrier 1846 einschlug: nicht die Theorie ist falsch, sondern es existiert ein bisher unbekannter Einfluss. Damals war es Neptun, heute ist es die dunkle Materie. Aber es könnte auch genauso gut sein, dass der Unterschied zwischen Beobachtung und Theorie auf die gleiche Art gelöst wird, mit der Einstein 1915 das Problem der Merkurbewegung löst: mit einer neuen Theorie.
MOND?
Auch das wurde versucht. 1983 schlug der israelische Physiker Mordehai Milgrom die MOND-Hypothese vor. MOND steht hier für “Modifizierte Newtonsche Dynamik” und postuliert eine Änderung des newtonschen Bewegungsgesetzes. Newton sagte, dass eine Kraft gleich dem Produkt von Masse mal Beschleunigung ist. Normalerweise ist das auch richtig, meinte Milgrom. Geht es allerdings um sehr kleine Beschleunigungen – wie eben bei der problematischen Bewegung der Sterne und Galaxien – dann könnte die Formel anders sein. Seine modifizierte Version des newtonschen Bewegungsgesetzes stimmt bei den alltäglichen Beschleunigungswerten mit der bisher bekannten Theorie überein. Bei kleinen Werten weicht sie allerdings davon ab und könnte so den Unterschied zwischen Beobachtung und Theorie erklären.
Kommentare (29)