- extremes Selbstbewußtsein bis hin zu Elitismus
- eine “monolithische” Gemeinschaft in der ein hohes Maß an Einigkeit herrscht, auch wenn die wissenschaftliche Situation das eigentlich nicht rechtfertigen würde
- in einigen Fällen eine Identifikation mit der Gemeinschaft, die an politische bzw. religiöse Gruppen erinnert
- ein starkes Gefühl für die Trennung zwischen der Community und “den anderen”
- eine Geringschätzung und Desinteresse der Arbeit von Wissenschaftlern, die nicht der Gruppe angehören
- eine Tendenz, Indizien zu optimistisch zu beurteilen und die Möglichkeit zu ignorieren, dass die Theorie falsch sein könnte
- ein mangelndes Verständnis für die Risiken, die ein Forschungsvorhaben beinhalten sollte
Smolin stellt nochmal klar, dass er nicht individuelle Stringtheoretiker kritisiert, sondern ihr Verhalten als Gruppe. Hier bringt er den Begriff des “Groupthink” ins Spiel. Dieser Begriff aus der Psychologie wird bei Wikipedia beispielsweise folgendermaßen definiert (diese Definition deckt sich auch mit der in Smolins Buch):
“Gruppendenken bezeichnet einen Prozess, bei dem eine Gruppe von
eigentlich kompetenten Personen schlechte oder realitätsferne
Entscheidungen trifft, weil jede Person ihre eigene Meinung an die
vermutete Gruppenmeinung anpasst. Daraus können Situationen entstehen,
bei der die Gruppe Handlungen oder Kompromissen zustimmt, die jedes
einzelne Gruppenmitglied unter normalen Umständen ablehnen würde.”
In diesem Verhalten sind Smolin eine ernste Gefahr für die Weiterentwicklung der theoretischen Physik. Solange weiterhin nur an einer einzigen Theorie geforscht wird und alternative Ansätze ignoriert werden, besteht die Gefahr, das wichtige Erkenntnisse gar nicht oder viel später als nötig gefunden werden. Ganz besonders gilt das für die Stringtheorie, die ja durchaus nicht unumstritten ist und außerdem nicht experimentell überprüfbar ist.
Seher und Handwerker
Smolin führt diese Entwicklung auf die zwei unterschiedlichen Wissenschaftlertypen zurück, die er definiert: “Seher” und “Handwerker”. “Seher” sind z.B. Forscher wie Albert Einstein, die fähig waren, große, neue Fragen zu stellen und mutig genug, sie auf unkonventionelle Art und Weise zu beantworten (Smolin stellt übrigens klar, dass er hier nur über Leute spricht, die Teil des “normalen” Wissenschaftsbetriebs sind und nicht von “Cranks” o.ä.). “Handwerker” sind Wissenschaftler, die die Grundlagen ihres Fachgebiet gut beherrschen und durch Anwendung der bekannten Gesetze neue Erkenntnisse gewinnen. Damit Wissenschaft erfolgreich ist, braucht es beides: in “revolutionären” Perioden, wie z.B. Anfang des letzten Jahrhunderts, braucht es “Seher” um die anstehenden Probleme zu lösen. Sind die neuen Theorien erstmal etabliert, braucht man “Handwerker”, die die neuen Theorien weiterentwickeln und anwenden.
Smolin meint nun, dass man es verpasst hat, den Wissenschaftsbetrieb rechtzeitig von “Handwerkern” auf “Seher” umzustellen. Spätestens in den Achtzigern Jahren wäre eigentlich eine neue Revolution nötig gewesen, um die Lösung der ungelösten Probleme voranzutreiben. Trotzdem hat man mit der “handwerklichen” Methode weitergemacht. Die ist aber, wie man bei der Stringtheorie sieht, nicht geeignet, um wirkliche Fortschritte zu machen. Man bräuchte also wieder mehr “Seher”. Mittlerweile ist der Forschungsbetrieb, mit Peer-Review, Förderanträgen, befristeten Verträgen, etc aber völlig auf die “Handwerker” ausgerichtet; ein “Seher” hätte es enorm schwierig, hier Fuß zu fassen. Will man die großen Probleme der Physik lösen, dann müssen die Rahmenbedingungen entsprechend geändert werden.
Fazit
“The Trouble with Physics” ist ein äußerst interessantes Buch! Und durchaus empfehlenswert. Smolin erklärt zwar nicht ganz so gut wie z.B. Brian Greene – aber er schreibt trotzdem sehr klar und verständlich. Sein etwas anderer Blick auf die Stringtheorie ist lesenswert und seine Beschreibung der Wissenschaft abseits der Stringtheorie ist spannend. Genauso wie seine wissenschaftsphilosophischen Abhandlungen und persönlichen Ankedoten (z.B. über sein Zusammentreffen mit dem Philosophen Paul Feyerabend). Das Buch ist zwar schon 2 Jahre alt – aber in seinen hauptsächlichen Punkten immer noch aktuelle. Und erst vor ein paar Monaten ist die deutsche Version erschienen. Eine klare Leseempfehlung!
P.S. Backreaction hat das Buch schon vor ein paar Jahren besprochen und auch Lee Smolin dazu interviewt.
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