Ich habe hier noch viel zu wenig über Störungsrechnung geschrieben. Eigentlich noch gar nichts. Das liegt vielleicht daran, dass es bei der Störungsrechnung nicht ohne Mathematik geht. Viel Mathematik…

Aber gerade in der Himmelsmechanik ist die Störungsrechnung von fundamentaler Bedeutung. Will man wissen, ob das Sonnensystem für lange Zeiten stabil bleibt, dann muß man sich mit ihr beschäftigen. Darum gibt es hier nun eine Mini-Serie über Störungsrechnung und bzw. über ihre Anwendung auf die Dynamik im Sonnensystem. Ganz ohne Mathematik kommt man leider wirklich nicht aus – aber ich tue mein bestes, alles vernünftig zu erklären.


Die Astronomie hat kein Monopol auf die Störungsrechnung. Mit dieser Methode lässt sich eine Vielzahl an physikalischen Systemen untersuchen. Das Grundprinzip ist äußerst einfach: Anstatt eines komplizierten Systems von Gleichungen deren Lösung man nicht kennt betrachtet man einen einfachen Fall, bei dem die Lösung bekannt und “stört” dann diese Lösung.

Ich möchte das gleich am Beispiel der Planetenbewegung genauer erklären. Seit Johannes Kepler wissen wir, dass sich die Himmelskörper auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen.

Das ist allerdings nur bedingt richtig. Will man berechnen, wie sich eine beliebige Anzahl von Körpern unter dem Einfluß ihren gegenseitigen gravitativen Kräfte bewegen, dann gibt es für dieses Problem keine Lösung. Es ist nicht möglich, eine Lösung zu finden, die Position und Geschwindigkeit eines Planeten für jeden beliebigen Zeitpunkt angibt! Das hat Henri Poincaré 1888 herausgefunden und seine Arbeit stellte quasi die Grundlage der modernen Chaostheorie dar.

Für diese N-Körper-Problem gibt es also keine analytische Lösung – man kann höchstens die Bewegung der Himmelskörper simulieren und so herausfinden, wie sie sich in Zukunft verhalten werden (aber auch das ist nicht immer einfach). Und früher, als es noch keine Computer gab, konnten diese Simulationen sowieso nicht durchgeführt werden.

Der einzige Ausweg war die Störungsrechnung. Denn Kepler hatte natürlich nicht unrecht. In erster Näherung bewegen sich die Planeten schon auf elliptischen Bahnen. Diese Lösung ist eben nur nicht ganz exakt. Aber exakt genug, um Störungsrechnung betreiben zu können.

Dabei geht man erstmal davon aus, dass die Sonne – was die Gravitation angeht – absolut dominat im Sonnensystem ist. Wenn man die Bewegung eines bestimmten Planeten, zum Beispiel der Erde, betrachtet, dann reicht es also erstmal, nur die Anziehungskraft der Sonne zu berücksichtigen und alle anderen Einflüsse zu ignorieren.

Dieses Problem kann man exakt lösen – man findet leicht eine Gleichung, die die Position der Erde zu jedem beliebigen Zeitpunkt angibt und die Lösung entspricht genau den Keplerschen Ellipsen. Diese Lösung wird als ungestörte Lösung bezeichnen.

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Jetzt wissen wir aber, dass neben der Sonne auch noch andere Einflüsse da sind. Auch alle anderen Himmelskörper (die übrigen Planeten, die Monde, die Asteroiden, …) wirken gravitativ auf die Erde ein. Im Vergleich zum Einfluss der Sonne ist dieser Einfluss aber sehr klein – die Gravitationskraft hängt ja von der Masse ab und fast die gesamte Masse des Sonnensystems ist in der Sonne konzentriert.

Da der zusätzliche Einfluss nur klein ist, stellt er nur eine kleine Störung der ungestörten Lösung da. Die Störungsrechnung ist nun eine spezielle mathematische Technik, mit der man diese kleinen zusätzlichen Störungen zur ungestörten Lösung hinzufügen kann um so die Lösung immer genauer an die Realität anzunähern.

Formal sieht das ganze so aus:

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Die Lösung A setzt sich zusammen aus der ungestörten Lösung A0 und den Störungen A1, A2, usw. ε ist der Störungsparameter – und in der Formel sieht man auch, warum er klein sein muss, damit die Störungstheorie funktioniert. Die Lösung setzt sich nämlich aus einer unendlichen Reihe der Potenzen von ε zusammen. Die nullte Potenz von ε ist eins und deswegen hat die Störung auch keinen Einfluss auf A0 (das ist ja auch die ungestörte Lösung). Aber danach wird ε immer weiter potenziert – und wenn ε eine Zahl wäre, die größer als eins ist, dann würde die bei jeder neuen Potenzierung immer größer und größer werden. Jeder zusätzliche Term in der Reihe wäre also größer als der vorhergehende und die Lösung A würde unendlich groß werden – und wäre damit keine vernünftige Lösung mehr.

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Kommentare (8)

  1. #1 Karl Mistelberger
    5. Januar 2010

    “Für diese N-Körper-Problem gibt es also keine analytische Lösung – man kann höchstens die Bewegung der Himmelskörper simulieren und so herausfinden, wie sie sich in Zukunft verhalten werden (aber auch das ist nicht immer einfach). Und früher, als es noch keine Computer gab, konnten diese Simulationen sowieso nicht durchgeführt werden.”

    Computer sind hilfreich, aber ohne die bemerkenswerten Fortschritte bei den Algorithmen wären die gewaltigen Fortschritte beim N-Körper-Problem nicht möglich gewesen:

    Simulating the joint evolution of quasars, galaxies and their large-scale distribution

    The pursuit of the whole NChilada: Virtual petaflops using multi-adaptive algorithms for gravitational systems

  2. #2 Christian A.
    5. Januar 2010

    Zu den Simulationen fällt mir ein, dass es ein “Kopenhagener Problem” (oder Rechnung, weiß ich nicht mehr genau) gab, wo ein Haufen Leute das eingeschränkte Dreikörperproblem gerechnet haben. Hat ca. um 1912 (oder so, müsste ich jetzt nachkucken) auch ein paar Jährchen gedauert, bis sie da eine Bahn zu Papier gebracht haben 😉

  3. #3 Stargazer
    5. Januar 2010

    Au Backe, da werden Erinnerungen wach: Physikalische Chemie, Anfängervorlesung – da wurden dem Idealen Gasgesetz ähnliche Grausamkeiten angetan. Fand schon immer, daß die PCler Erbsenzähler sind. 🙂

  4. #4 richard
    5. Januar 2010

    …freu mich schon auf die Fortsetzung…sehr interessantes Thema

  5. #5 Firehawk
    6. Januar 2010

    @Stargazer:
    Das wird uns physiko-Chemikern immer von den Studenten vorgeworfen (hab ich damals auch gemacht). Aber später merkt man doch, dass man vieles davon einmal brauchen kann, vor allem wenn man nicht nur reine Synthese macht.

  6. #6 Stargazer
    6. Januar 2010

    @Firehawk: Hab ich später auch gemerkt – nämlich im Praktikum. Bin bloß froh, daß man im normalen Leben auch gut mit den handlichen Näherungen auskommt. 🙂

  7. #7 Wolfgang Graßmann
    23. April 2011

    -Je mehr dieser Terme man verwendet, desto genauer wird die Lösung A werden. Man braucht also nur lange genug rechnen und ausreichend Terme der unendlichen Reihe berücksichtigen um die Lösung mit beliebiger Genauigkeit bestimmen zu können.-

    Vielleicht sollten Sie mal erwähnen, daß die Reihen nicht konvergieren, und somit Ihre Aussage in dieser Form falsch ist!
    Sie müssen schon etwas genauer sein! (Stichwort asymptotische Reihen,Borel Summation)

    Mit freundlichem Gruß
    WG

  8. #8 Florian Freistetter
    23. April 2011

    @Graßmann: Lesen sie bitte auch die folgenden Teile der Serie.