“Ist da draußen jemand?” oder “Sind wir alleine im Universum?”. Solche Fragen stellen sich Wissenschaftler, Intellektuelle und die Öffentlichkeit schon lange. Auch wenn wir erst seit ein paar Jahrzehnten in der Lage sind, diese Fragen auch ernsthaft wissenschaftlich zu erforschen haben sich die Wissenschaftler doch immer schon mit ihnen beschäftigt und das schon mindestens seit der griechischen Antike.
Aber anscheinend nur in der westlichen Welt. Es gibt seltsamerweise so gut wie keine schriftlichen Aufzeichnungen aus anderen Kulturkreisen, die sich mit der Frage nach außerirdischen Leben beschäftigen. Zu diesem Schluß kommt der Astronom Jean Schneider (den viele als den Betreiber der Enzyklopädie der extrasolaren Planeten kennen) in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit. Und er probiert auch, diese Situation zu erklären.
Seinen Artikel mit dem Titel “The Extraterrestrial Life debate in different cultures” hat Schneider für die letztes Jahr stattgefundene Konferenz “Pathways Towards Habitable Planets” verfasst.
In der Einleitung verweist Schneider auf die Bücher “The Extraterrestrial Life Debate 1750-1900 – The Idea of a Plurality of Worlds from Kant to Lowell” und “The Extraterrestrial life debate, antiquity to 1915” von Michael Crowe in der sich laut Schneider so gut wie alles findet, was im Laufe der Zeit zur Frage nach außerirdischem Leben geäußert wurde.
Eine Analyse dieser Äußerungen zeigt zuerstmal, dass die überwiegend Mehrheit der Autoren sich optimistisch zeigt, was die Frage nach außerirdischem Leben angeht (als bemerkenswerte Ausnahmen nennt Schneider Aristoteles, Augustinus, Hegel, Schopenhauer und Plato). Bemerkenswert findet Schneider außerdem, dass es nach Schopenhauer so gut wie keinen Philosophen mehr gab, der an diesem Thema interessiert war – obwohl gerade zu dieser Zeit viele Schriftsteller (z.B. H.G. Wells) die Frage in ihren Werken aufgegriffen haben. Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderst begann man wieder sich damit zu beschäftigen – hier nennt Schneider das (hervorragende und sehr empfehlenswerte!!) Buch “Wie wirklich ist die Wirklichkeit” von Paul Watzlawick.
Am interessantesten findet Schneider aber die Tatsache, dass alle Autoren die sich mit der Frage nach außerirdischen Leben beschäftigt haben, aus Europa bzw (nach 1800) aus Nordamerika stammen. Es gibt ein paar Ausnahmen, die Schneider auch direkt im Artikel zitiert. Der jüdische Theologe Moses Maimonides, der sagte
“What we have, in truth, to consider is this:– the whole mankind at present in existence, and to a yet greater extent, every other species of animals, form an infinitesimal portion of the permanent universe”
zählt hier als europäischer Jude eigentlich nicht wirklich dazu (für dieses und die folgenden Zitate habe ich bis jetzt noch keine
deutsche Übersetzung gefunden. Ich lasse daher lieber die englischen
Versionen stehen anstatt den Text mit einer eigenen deutschen
Übersetzung vielleicht zu verfälschen).
In der hinduistischen Mahabharata findet sich folgender Text (Buch 12):
“The sky thou seest above is Infinite. It is the abode of persons crowned with ascetic success and of divine beings. It is delightful, and consists of various regions. Its limits cannot be ascertained. The Sun and the Moon cannot see, above or below, beyond the range of their own rays. There where the rays of the Sun and the Moon cannot reach are luminaries 3 which are self-effulgent and which possess splendour like that of the Sun or the fire. Know this, O giver of honours, that possessed of far-famed splendour, even these last do not behold the limits of the firmament in consequence of the inaccessibility and infinity of those limits. This Space which the very gods cannot measure is fall of many blazing and self-luminous worlds each above the other. Beyond the limits of land are oceans of water. Beyond water is darkness. Beyond darkness is water again, and beyond the last is fire. Downwards, beyond the nether regions, is water. Beyond water is the region belonging to the great snakes. Beyond that is sky once more, and beyond the sky is water again. Even thus there is water and sky alternately without end.”
Mit ein bisschen Fantasie kann man hier auf die Beschäftigung mit außerdirdischen Welten schließen – aber mit der rationalen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung die bei den Griechen geführt worden sind hat das wenig zu tun. Schneider zitiert auch noch zwei chinesische Texte. Einmal das Kapitel “Qianxiang” aus “Gujin tushu Jicheng” (1300 u.Z.)
“Humans and things are without limit, and the same holds for the Earth and the Heavens. As a comparison, when a parasite is in a man’s stomach, it does not know that outside this man there are other men; Man being himself in the stomach of the Earth and the Heavens, he does not know that beyond the Earth and the Heavens
there are other Earths and other Heavens”
Und in seinem Buch “Po Ya Ch’in” (1300 u.Z.) meinte Deng Mu:
“Heaven and Earth are large, yet in the whole of empty space they are but as a small grain of rice …. It is as if the whole of empty space were a trunk and heaven and earth were one of its fruits. Empty space is like a kingdom and heaven and earth no more than a single individual person in that kingdom. Upon one tree there are
many fruits, and in one kingdom many people. How unreasonable it would be to suppose that besides the heaven and earth which we can see there are no other heavens and no other earths!”
Diese beiden Texte sind allerdings erst recht spät entstanden. Klar ist jedenfalls, dass die Debatte über außerirdisches Leben hauptsächlich in der westlichen Welt geführt worden ist. Schneider hat sich überlegt, woran das liegen könnte.
Er meint, dass Begriffe wie “anderswo” oder “außerirdisch” einen gewissen Verfremdungseffekt (“distanciation”) benötigen. Er führt zwei verschiedene Arten dieser Verfremdung an: die Unterscheidung des Konzept eines Begriffs vom Objekt selbst und die räumliche Unterscheidung. Will man zum Beispiel über “Leben” anderswo nachdenken, dann wird dieses Leben höchstwahrscheinlich nicht identisch mit dem sein, das wir kennen. Wir brauchen also ein verallgemeinertes Konzept des Begriffs “Leben”.
Der zweite wichtig Punkt ist für Schneider die klar strukturierte Auffassung von Räumlichkeit, die durch Euklids Elemente entstanden ist. Man machte nun Aussagen über abstrakte Konzepte (“Kreis”, “Linie”, …) und durch Euklids Geometrie konnte man nun auch extrapolieren. Schneider meint auch, dass durch Euklid ein gewisser Sinn für die Homogenität des Raums aufkam – also die Möglichkeit, dass “hier” nicht unbedingt das Zentrum von irgendetwas sein muss. Seine Hypothese lautet also, dass die euklidische Geometrie, gemeinsam mit dem griechischen logos (von Schneider vermutlich im Sinne Platons als “Erklärung” genutzt) der Ausgangspunkt der Debatte über außerirdisches Leben ist.
Nun ja. Die Frage, die sich Jean Schneider stellt ist durchaus interessant. Warum beschäftigten sich andere Kulturen nicht im gleichen Ausmaß mit der Frage nach außerirdischen Leben wie die klassisch geprägte westliche Welt? Seine Erklärung ist mir persönlich aber dann doch ein bisschen zu dünn. Ich denke, um die Frage zufriedenstellend zu beantworten bräuchte man mehr als die sieben Seiten, die Schneiders Artikel lang ist. Schneider sagt das auch selbst und meint, dass das Thema noch weiter bearbeitet werden müsste; außerdem sollte man nochmal nach Texten anderer Kulturen suchen. Das wäre doch mal ein schönes Projekt für eine interdisziplinäre Doktorarbeit!
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