Das hier ist die Rezension eines Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Die ersten vier Kapitel des Buchs stehen unter dem Überbegriff “Schauplatz der Wirklichkeit” und Kapitel 1 trägt den Titel “Wege zur Wirklichkeit”. Greene beginnt mit einer Geschichte aus seiner Jugend in der er das Buch “Der Mythos des Sisyphos” von Albert Camus gelesen hatte. Dort heisst es ja gleich zu Beginn:
“Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie antworten. Alles andere – ob die Welt drei Dimensionen und der Geist neun oder zwölf Kategorien hat – kommt später. Das sind Spielereien; erst muss man antworten”
Sind physikalische Welterklärungen wirklich nur zweitrangige “Spielereien”? Nein, meint Greene.
Natürlich hat Camus in gewissen Sinn Recht. Bevor wir irgendetwas anderes treiben, müssen wir uns erstmal dazu entschließen, das Leben an sich für sinnvoll und lebenswert zu halten. Aber Camus scheint die Möglichkeit zu verwerfen, dass eine Beschäftigung mit den Dimensionen der Welt oder den Kategorien des Geists bei der Lösung des grundsätzlichen “Problems des Selbstmordes” hilfreich sein kann. Greene schreibt dazu:
Dem angehenden Physiker kam es so vor, dass sich das Leben nur angemessen würdigen ließ, wenn man zuvor den Schauplatz des Lebens verstanden hatte: das Universum.
Und da hat Greene nicht Unrecht. Wenn die Menschen irgendwo auf dem Niveau des Australopithecus stehen geblieben wäre oder wenn die Menschen, so wie Greene argumentiert zum Beispiel für immer unter der Erdoberfläche in Höhlen wohnen müssten und somit einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit – den Himmel, die Erdoberfläche, die Sonne, die Sterne, etc – nicht wahrnehmen würden, dann wäre ihre Würdigung des Lebens doch erheblich eingeschränkt.
Je mehr wir über unsere Wirklichkeit, über unser Universum wissen, desto besser können wir unsere Rolle darin verstehen. Der Versuch, die uns umgebende Wirklichkeit zu erforschen ist aber knifflig. Wir haben mittlerweile gelernt, dass die menschliche Erfahrung nur “ein unzuverlässiger Leitfaden ist, wenn wir die wahre Natur der Wirklichkeit suchen”, wie Greene schreibt.
Im Laufe der Zeit haben sich unsere Ideen von Raum und Zeit und unsere Vorstellung von Wirklichkeit dramatisch geändert. Am Anfang stand die “klassische Wirklichkeit” und Isaac Newtons “absoluter Raum” und die dazugehörige “absolute Zeit”. Auch wenn Newton nicht wirklich erklären konnte, was denn der Raum nun eigentlich genau ist – die Physik, die sich daraus entwickelte war äußerst erfolgreich und Ende des 19. Jahrhunderts glaubten viele Physiker, dass sie mit der Weltbeschreibung fast fertig wären. Ein paar Details blieben zwar noch – aber im großen und ganzen hätte man alles beschrieben und erklärt. In einem Vortrag mit dem Titel “Nineteenth century clouds over the dynamical theory of heat and light” im Jahr 1900 sprach der berühmte Physiker zwar von zwei kleinen “Wolken” am Horizont die mit der Bewegung des Lichts und der Strahlung erwärmter Körper zu tun hatten – aber die würde man bald lösen und dann wäre die Physik quasi fertig.
Nun ja. Diese beiden Wolken verzogen sich nicht so schnell. Genauer gesagt haben sie die klassische Physik komplett über den Haufen geworfen. Die erste Wolke von Kelvin hat nur ein paar Jahre später zu der Revolution geführt, die Albert Einstein mit seinen Relativitätstheorien (Teil der “kostbarsten Errungenschaften der Menschen” wie Greene sagt) ausgelöst hat. Die zweite Wolke, das Problem der “Ultraviolett-Katastrophe” bei der Analyse von energieabstrahlenden Körpern konnte erst gelöst werden, als Max Planck ein neues physikalisches Konzept einführte: die Quanten.
Und dort, wo die Relativitätstheorien zwar entgegen aller menschlichen Intuition aber immer noch im Rahmen der klassischen Physik bzw. klassischen Wirklichkeit verständlich waren, scheint die Quantenphysik eine ganz andere Realität zu beschreiben. Probleme traten auch bei der Kosmologie auf. Eine der fundamentalsten und alltäglichsten Eigenschaften unserer Welt entzog sich standhaft einer Erklärung: die Zeit! Warum läuft sie immer nur in eine Richtung ab? Warum sieht man immer nur Glas zerbrechen – aber nie “entbrechen”? Warum erinnern wir uns nur an die Vergangenheit aber nie an die Zukunft? Usw. Die physikalischen Gesetze und Theorien sehen nichts dergleichen vor! Die machen genausoviel Sinn, wenn man die Richtung der Zeit umkehrt. Warum ist dann unsere Wirklichkeit aber eine, in der die Zeit eine bestimmte Richtung bevorzugt? Um dieses Problem lösen zu können, muss man bis zur Entstehung des Universums zurückgehen – und mit Einsteins Relativitätstheorie war das nun sogar möglich!
Aber leider nicht ganz. Die ersten Problem der neuen Urknalltheorie konnte man durch die Einführung der inflationären Kosmologie beheben die viel bessere und genauere Vorhersagen machte als die normale Urknalltheorie. Aber irgendwann gab es Probleme anderer Art: die Relativitätstheorie versagt dort, wo die Dinge sehr klein werden. Das ist die Domäne der Quantenmechanik – die aber keine schweren Dinge beschreiben kann. Das Universum ganz am Anfang war aber klein und schwer. Was man bräuchte, wäre eine vereinheitlichte Theorie. Das könnte die Stringtheorie sein – und die beschreibt wieder eine komplett neue und andere Wirklichkeit.
Falls das hier für einige ein wenig zu schnell geht – keine Angst 😉 Greene gibt in diesem ersten Kapitel nur einen kleinen Überblick über die Entwicklung der Wissenschaft und einen Ausblick auf das kommende. Zu allem, was hier angesprochen wurdee werden später noch eigene und ausführliche Kapitel erscheinen!
Zum Abschluß des Kapitels kommt Greene noch einmal auf Camus und Sisyphos zurück. Er fand den Optimismus und das “Happy End” des Buches zwar beeindruckend – hat sich selbst aber dann doch andere Vorbilder gesucht. Für ihn waren Newton, Einstein, Bohr und Feynman maßgeblich:
“Nachdem ich Feynmans Beschreibung einer Rose gelesen hatte (…) ware ich den Naturwissenschaften verfallen. Mich verlangte nach dem, was Feynman beschrieb: das Leben und das Universum auf allen möglichen Ebenen zu erfahren, nicht nur auf denen, die unsere unzulänglichen menschlichen Sinnen zufällig zugänglich sind. Die Suche nach den tiefsten Geheimnissen des Kosmos wurde zu meinem Lebensinhalt.”
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