Das hier ist die Rezension eines
Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos
ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Im letzten Kapitel ging es um die Relativitätstheorie und darum, wie sie unsere Vorstellung von Raum und Zeit verändert hat. Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Quantenmechanik – und die wird das, was wir für die Wirklichkeit halten noch viel stärker durcheinanderwirbeln…
Ist ein Teilchen ein Teilchen? Oder was?
Die Relativitätstheorien von Albert Einstein haben die Physik revolutioniert. Und wenn die Physik nach Einstein auch nicht mehr die selbe wie zuvor war, war sie doch immer noch ein “normale” Physik. Ok, die Vorgänge bei hohen Geschwindigkeiten und die Aufgabe von absoluten Raum und Zeit widersprechen der menschlichen Intuition und sind anfangs schwer zu akzeptieren. Aber trotz allem ist das relativistische Universum immer noch, so wie das von Newton, ein deterministisches Universum. Ich kann im Prinzip zu jeder Zeit sagen, wo sich ein bestimmtes Objekt befindet und wie es sich verhält. Und auch wenn Einstein die Vorstellung von “Raum” dramatisch verändert hat, ist der Raum doch immer noch das Medium, das ein Objekt vom anderen trennt:
“Dinge, die verschiedene Orte im Raum einnehmen, sind verschiedene Dinge. Mehr noch: ein Objekt kann ein anderes nur beeinflussen, wenn es in irgendeiner Weise den Raum überwindet, der sie trennt.”
schreibt Greene. Diese Eigenschaft des Raums nennt man “Lokalität” und das unser Universum lokal ist, scheint offensichtlich zu sein. Wenn wir mal von Telepathie und ähnlichen esoterischen Unsinn absehen für deren Existenz es keinerlei ernsthafte Belege gibt, dann müssen wir immer auf irgendeine Art und Weise mit den Dingen oder Menschen in Kontakt treten, die wir irgendwie beeinflussen wollen. Wenn ich die Aufmerksamkeit einer anderen Person erregen will, muss ich sie berühren oder mit meiner Stimme ein paar Luftmoleküle in Bewegung setzen die irgendwann ihr Trommelfell zum schwingen bringen oder ich muss elektromagnetische Impulse über Datenleitungen schicken um am anderen Ende einen Computer eine Email am Schirm anzeigen zu lassen die per Wechselwirkung mit Lichtphotonen dann von der Person gesehen wird. Usw. Was räumlich getrennt ist, ist tatsächlich getrennt.
Dachten wir zumindest – denn die Quantenmechanik hat da eine andere Meinung. Das fängt schon damit an, dass es in der Quantenmechanik nicht mehr wirklich klar ist, was ein Teilchen eigentlich ist. Bisher dachte man, es wäre eine Art punktförmiges oder zumindest punktähnliches Objekt mit klar definierten Eigenschaften. Das berühmte Doppelspaltexperiment zeigt, dass dem nicht so ist. Ein Teilchen verhält sich ab und zu auch so wie eine Welle. Oder besser gesagt: je nachdem wie ich es betrachte sieht es mal so aus als wäre es ein Teilchen und mal so, als wäre es eine Welle. Ein Teilchen schafft es sogar, mit sich selbst wechselzuwirken. Ich vermute mal, jeder kennt den Doppelspaltexperiment? Greene erklärt ihn natürlich auch in seinem Buch – das will ich aber jetzt nicht alles wiederholen. Falls jemand sein Wissen auffrischen will – hier ist ein kurzes Video:
Aber wenn z.B. ein Elektron kein reines Teilchen ist und nicht nur eine Welle – was ist es dann? Erwin Schrödinger meinte, vielleicht könnte man den Stoff aus dem ein Elektron gemacht ist, irgendwie “verschmieren”. Aber das kann nicht wirklich sein – denn wenn man ein Elektron mit geeigneten Experimenten lokalisiert, dann erscheint es immer als punktartiges Teilchen. Max Born hatte 1927 dann eine radikale neue Idee und meinte, die “Teilchenwelle” ist kein verschmiertes Elektron o.Ä. sondern eine Wahrscheinlichkeitswelle! Wenn man ein Elektron quantenmechanisch allgemein beschreibt, dann bekommt man keinen präzisen Ort sondern nur Wahrscheinlichkeiten die angeben, wie wahrscheinlich es ist, es an einem bestimmten Ort zu finden. Je höher die Welle an einem bestimmten Punkt, desto höher die Wahrscheinlichkeit. Diese Welle ist nicht auf einen bestimmten Bereich im Raum beschränkt – sondern prinzipiel über das ganze Universum ausgebreitet. Und auch wenn die Wahrscheinlichkeit ein Elektron außerhalb eines gewissen Bereichs anzutreffen annähern Null ist, ist sie doch nicht komplett null.
Natürlich stellt sich sofort die Frage, ob diese Wahrscheinlichkeitswelle nur ein Werkzeug zur Beschreibung des Elektrons ist – oder ob die Wahrscheinlichkeitswelle das Elektron ist. Dazu muss man sich auch klar machen, von welcher Art die Wahrscheinlichkeit ist, um die es hier geht. Sie ist nicht mit der zu vergleichen, die man z.B. beim Würfelspiel verwendet um seine Chancen auf Gewinn auszurechnen. Wüsste man perfekt über alle beteiligten Faktoren beim Würfeln Bescheid (Form der Würfel und des Tisches, Geschwindigkeit beim Verlassen der Hand, Bewegung der Luftmoleküle im Raum, …) dann könnte man prinzipiell berechnen wie das Ergebnis aussieht. Wahrscheinlichkeitsrechnung brauchen wir nur, weil unsere Kenntnis über die Ausgangslage unvollständig ist. Die Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik ist eine andere: Sie ist alles, was wir über Elementarteilchen prinzipiell in Erfahrung bringen können.
Albert Einstein war mit der Quantenmechanik nie wirklich glücklich. Wenn man ein Teilchen immer dort findet, wo die Wahrscheinlichkeit es zu finden am größten ist, dann liegt es doch nahe davon auszugehen, dass das Teilchen auch wirklich dort war und wir eben nur nicht genug wissen um das feststellen zu können. Niels Bohr, Einsteins “Gegenspieler” vertrat eine andere Ansicht:
“Bevor man den Aufenthaltsort eines Elektrons misst, hat es überhaupt keinen Sinn, auch nur zu fragen, wo es sich befindet. Es kennt keinen bestimmten Aufenthaltsort . Die Wahrscheinlichkeitswelle verschlüsselt die Wahrscheinlichkeit, dass das Elektron, wenn es entsprechend untersucht wird, hier oder dort anzutreffen ist. Das ist wirklich alles, was sich über seinen Ort sagen lässt. Basta.”
Solange man nicht genau nachmißt, wo das Elektron tatsächlich ist, hat es einfach keinen Ort. Diese Wirklichkeit, die hier beschrieben wird, hat absolut nichts mehr mit dem zu tun, was wir gewohnt sind. Wir gehen intuitiv davon aus, dass die Dinge existieren, an einem ganz bestimmten Ort, egal ob wir gerade hinsehen oder nicht. Aber die Quantenmechanik und besonders die Heisenbergsche Unschärferelation sagt uns, dass dem nicht so. Heisenberg hatte herausgefunden, dass es prinzipiell unmöglich ist, gleichzeitig genau über den Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens Bescheid zu wissen. Wenn man eines genau kennt, verliert man jede Information über das andere.
Auch hier stellt sich wieder die Frage: beschreibt die Unschärferelation unser Wissen von der Wirklichkeit – oder ist sie die Wirklichkeit selbst? Haben die Dinge nun einfach keinen exakten Ort und keine exakte Geschwindigkeit? Oder sind sie exakt lokalisiert und wir können einfach nicht rausfinden, wo das ist? Die Quantenmechaniker vertraten den ersten Standpunkt: Aus Sicht der Physik ist das was man messen kann, die Wirklichkeit. Einstein und seine Kollegen Podolsky und Rosen waren anderer Meinung. Sie haben sich ein raffiniertes Gedankenexperiment ausgedacht um zu zeigen, dass, auch wenn wir vielleicht Ort und Geschwindigkeit nicht exakt messen können, die Teilchen doch einen exakten Ort und eine exakte Geschwindigkeit haben.
Ist das Universum lokal?
Auch Einstein, Podolsky und Rosen (EPR) gingen von der Unschärferelation aus: wenn ich die Position eines Teilchens messen will, dann muss ich es zwangsläufig beeinflussen und so die Messung verfälschen. Aber sie haben ein Weg gefunden, wie man so eine Messung durchführen kann, ohne die Teilchen zu beeinflussen. Dabei geht es um sogenannte verschränkte Teilchen. Gewisse quantenmechanische Prozesse erzeugen Teilchenpaare, die sich quasi gleich verhalten. Greene vergleicht das mit zwei Wanderern, die mit exakt gleicher Geschwindigkeit in entgegengesetze Richtungen marschieren. Wenn ich den einen 67 Kilometer südlich vom Startpunkt treffe, dann weiß ich sofort das der andere 67 Kilometer nördlich vom Startpunkt sein muss. So ist es auch bei den Teilchen. Wenn ich eine bestimmte Eigenschaft bei einem messe, dann weiß ich auch sofort über die Eigenschaft des anderen Bescheid. Greene sagt:
“Da es sich um eine entscheidende, aber etwas subtile Argumentation handelt, lassen Sie mich noch einmal wiederholen: EPR brachten vor, nichts bei Ihrer Messung des nach rechts fliegenden Teilchens hätte sich auf das nach links fliegende Teilchen auswirken können, weil es sich um seperate und verschiedene Objekte handelt. Das Teilchen, das sich nach links bewegt, weiß nicht, was Sie mit dem nach rechts fliegenden Teilchen angestellt haben könnten. (…) Folglich muss jedes Merkmal, das Sie über das nach links fliegende Teilchen tatsächlich in Erfahrung bringen oder zumindest in Erfahrung bringen könnte, indem Sie sein nach rechts fliegendes Gegenstück untersuchen, ein bestimmtes, existierendes Merkmal des Teilchens sein, das sich vollkommen unabhängig von Ihrer Messung, nach links bewegt. Haben Sie also den Aufenthaltsort des rechten Teilchens ermittelt, haben Sie zugleich den Aufenthaltsort des linken Teilchens herausgefunden; haben Sie die Geschwindigkeit des rechten Teilchens gemessen, haben Sie zugleich die Geschwindigkeit des linken Teilchens in Erfahrung gebracht, folglich, so die Argumentation, muss das Teilchen, das nach links unterwegs ist, sowohl einen genauen Aufenthaltsort als auch eine genau Geschwindigkeit haben.”
Das kann man natürlich auch für das andere Teilchen machen – also haben laut EPR beide Teilchen genaue Orte und Geschwindigkeiten. Auch wenn wir sie vielleicht in der Realität wegen der Unschärferelation nicht bestimmen können, so sind die Teilchen doch exakt lokalisiert. Wolfgang Pauli fand das alles eher müßig:
“Mit dieser … Formulierung bin ich aber garnicht recht zufrieden, da mit eben dies eine metaphysische Formulierung von ‘Engel auf der Nadelspitze’ zu sein scheint (ob etwas existiert, worüber niemand etwas in Erfahrung bringen kann.)”
Aber dann kam John Bell, ein Physiker aus Nordirland, und zeigte, dass EPRs Problem keine philosophische Spielerei ist – sondern das man die Frage ob Teilchen tatsächlich lokalisiert sind oder nicht, experimentell beantworten kann! Die Engel lassen sich zählen…
Seine Bellsche Ungleichung im Detail zu erklären würde hier so weit führen. Außerdem sollt ihr das Buch ja auch selber lesen und Greene erklärt das dort sehr schön. Es läuft im Prinzip alles darauf hinaus, dass man das EPR-Problem auf die Spinmessung von Teilchen umlegt. In einem Experiment werden zwei Teilchen erzeugt deren Spin (also Drehsinn) z.B. um drei verschiedene Achsen orientiert sein kann. Man kann zwei Detektoren für die zwei Teilchen aufstellen und dann zufällig bei beiden eine bestimmte Orientierung messen. Greene vergleicht das mit einem Kästchen, das drei Klappen hat und in dem eine Lampe ist. Je nachdem, welche Klappe man öffnet, leuchtet die Lampe entweder rot oder blau – und das gleiche passiert mit einem zweiten, verschränkten Kästchen. Öffne ich bei einem Kästchen die Klappe 1 und die Lampe leuchtet blau, dann wird das zweite auch beim anderen Kästchen passieren, wenn ich Klappe 1 öffne. Die Frage ist nun: sind die Kästchen einfach fix programmiert worden sodaß beim Öffnen einer bestimmten Klappe immer klar ist, welche Farbe die Lampe haben wird (das wäre gleichbedeutend mit EPRs Lokalität)? Bell hat nun gezeigt, dass man diese Frage experimentell beantworten kann. Man muss nur per Zufall entscheiden, welche Klappe man an den beiden Kästchen jeweils öffnen möchte. Die Lampen werden dann entweder übereinstimmen oder nicht. Das macht man nun sehr oft und wenn die Farben in weniger als der Hälfte aller Fälle übereinstimmen, dann haben EPR nicht recht! (Wer mehr dazu wissen will, findet hier eine gute Zusammenfassung.
Gute Bilder zur Quantenveschränkung sind schwer zu finden. Darum gibts das hier 😉
In den 1982 führten Alain Aspect und seine Kollegen das Experiment durch und zeigten, dass es tatsächlich nicht mehr als 50 Prozent Übereinstimmung gab. Einstein, Podolsky und Rosen hatten sich also tatsächlich geirrt! Aber woran bestand nun eigentlich ihr Irrtum? Ihre Kernaussage war, dass sich ein Objekt hier nicht darum kümmert, was mit einem Objekt dort passiert. Und das ist anscheinend falsch. Auch wenn das Teilchen an dem ich meine Messung durchführen sehr weit weg ist vom anderen Teilchen, sind sie doch nicht komplett getrennt.
“Obwohl räumlich getrennt, verhalten sich verschränkte Teilchen nicht autonom. Einstein, Podolsky und Rosen wollten beweisen, dass die Quantenmechanik eine unvollständige Beschreibung des Universums liefert. Ein halbes Jahrhundert später liegen theoretische und experimentelle Ergebnisse vor, die uns – ausgehend und angeregt von ihrer Arbeit – keine andere Wahl lassen, als ihre Analyse auf den Kopf zu stellen und den Schluss zu ziehen, dass der grundsätzlichste, intuitiv einleuchtendste und klassisch-vernünftige Teil ihrer Argumentation falsch ist: Das Universum ist nicht lokal.”
Hu! Heftig, oder? Das Universum ist nicht lokal. Räumliche Trennung alleine ist kein Grund dafür, zwei Teilchen auch als getrenntes System zu betrachten. Auch wenn viel Raum zwischen ihnen liegt, sind sie weiter Teil eines einzigen Systems. Aber widerspricht das nicht der speziellen Relativitätstheorie? Wird denn da nicht instantan Information von einem Teilchen zum anderen übertragen? Und ist nicht die Lichtgeschwindigkeit die Obergrenzen?
Nein, die Relativitätstheorie kommt mit dieser Verschränkung gut klar. Wenn man genau überlegt sieht man nämlich, dass bei verschränkten Teilchen gar keine Information übertragen wird. Und nur das ist durch die Relativitätstheorie verboten. Wenn keine Information übertragen wird, dann ist da auch quasi nichts, dass sich schneller als das Licht bewegen könnte. Und auch die Esoteriker sollten sich lieber zurückhalten, bevor sie die Nichtlokalität als wissenschaftlichen Beweis ihres Weltbilds ansehen. Sie als Beleg für “Alles ist mit allem verbunden” herzunehmen und daraus Astrologie, Telepathie und ähnliche Dinge abzuleiten funktioniert nicht. Die Verschränkung ist ein Phänomen der Quantenwelt und findet nur statt, wenn die Teilchen ausreichend gegenüber äußeren Einflüssen isoliert sind. Ansonsten kollabieren ihre Wellenfunktionen sofort und damit auch die Verschränkung. Makroskopische Objekte – so wie wir Menschen – können sich nicht mit irgendwas anderen verschränken.
Aber ich will hier gar nicht weiter über Esoterik reden. Das ist nur dummer Unsinn – hier geht es aber um die Wirklichkeit! Und die ist, wie uns Quantenmechanik gezeigt hat, seltsamer und faszinierender denn je. Nachdem wir uns dank Einstein vom absoluten Raum und der absoluten Zeit verabschieden mussten, nimmt uns die Quantenmechanik nun auch noch die Vorstellung, dass der Raum lokal ist. Zwei Dinge die voneinander räumlich getrennt sind, sind vielleicht doch nicht völlig unabhängig voneinander. Die nächsten Kapitel in Greenes Buch handeln nun von der Zeit. Und ihr könnt damit rechnen, dass unsere Wirklichkeit auch hier ordentlich durchgschüttelt wird 😉
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