Das hier ist die Rezension eines
Kapitels von “Der Stoff aus dem der Kosmos
ist” von Brian Greene. Links zu den Rezensionen der anderen Kapitel kann man hier finden.
Das letzte Kapitel war ja schon etwas komplex. Wenn wir den Zeitpfeil erklären wollen, also die Tatsache, dass die Zeit eine klare Richtung zu haben scheint, dann müssen wir entweder davon ausgehen, dass unsere Wirklichkeit nur eine Simulation; eine statistische Fluktuation im Zustand des Universums ist. Oder aber wir müssen postulieren, dass unser Universum nach dem Urknall in einem extrem geeordneten Zustand begonnen hat. Und bevor Greene diese Möglichkeit näher untersucht um herauszufinden, wieso das so gewesen sein sollte, betrachtet er erstmal, was die Quantenmechanik zum Zeitpfeil zu sagen hat. Vielleicht kann die ja eine vernünftige Erklärung liefern und wir können das Postulat mit dem geordneten Urknall fallen lassen.
Schon wieder: der Doppelspalt!
Aber in der Quantenmechanik wird – Überraschung! – erstmal alles etwas verwirrend 😉 Das fängt schonmal damit an, dass der Begriff “Vergangenheit” hier nicht wirklich mit dem übereinstimmt, was wir normalerweise darunter verstehen. Die Quantenmechanik hat uns ja ein ein völlig anderes Bild von dem gegeben, was wir normalerweise als “Elementarteilchen” kennen. Denn hier sind die “Teilchen” keine punktförmigen Etwase mehr wie in der klassischen Physik sondern durch ihre Wahrscheinlichkeitswellen charakterisiert. In gewissen Sinne sind die Teilchen Wahrscheinlichkeitswellen. Wie der Name schon sagt geben diese Wellen die Wahrscheinlichkeit an, ein Teilchen an einem gewissen Ort zu finden. Und solange man nicht konkret nachmisst, kann man einfach nicht genau sagen, wo das Teilchen ist. Erst der Meßakt lässt die Wellenfunktion kollabieren und das Teilchen hat nun einen konkreten Ort. Wenn wir also jetzt wissen, wo ein Teilchen ist, dann können wir nicht wirklich sagen, wo es in der Vergangenheit war.
Das lässt sich besonders schön mit dem klassischen Doppelsspaltexperiment verdeutlichen. Der Augabe ist simpel. Von einer Lichtquelle aus werden zwei Spalten angestrahlt und ein Schirm dahinter zeigt an, was von der Lichtquelle durchkommt.
Wenn das Licht aus Teilchen besteht, dann sollte man erwarten, dass sich hinter den Spalten, dort wo die Teilchen durchkommen, ein Maximum an Licht am Schirm findet und links und rechts davon immer weniger. Wenn das Licht allerdings aus Wellen besteht, dann kommt die Welle durch beide Spalten, es kommt zur Interferenz, d.h. an manchen Stellen löschen sich die Wellen aus; an manchen verstärken sie sich und man sollte ein Interferenzmuster aus dunklen und hellen Streifen sehen.
Das sieht man auch, wenn man Licht durch die Spalten schickt. Aber – und das ist das spannende – man sieht es auch, wenn man z.B. Elektronen durch die Spalten schickt, die ja eigentlich “Teilchen” sind. Und, was noch seltsamer ist, selbst wenn man immer nur ein einzelnes Elektron nach dem anderen durch die Spalten schickt erhält man ein Interferenzmuster. Die Elektronen verhalten sich also nicht nur wie eine Welle – sie wechselwirken auch scheinbar mit sich selbst. Das Elektron geht gewissermaßen gleichzeitig durch beide Spalten hindurch.
Allerdings nur, wenn man nicht nachsieht, durch welchen Spalt die Elektronen tatsächlich gegangen sind. Man kann ja probieren, schlau zu sein, und an jedem Spalt ein Meßgerät installieren, das nachsieht, ob da gerade ein Elektron durchgeht oder nicht. Macht man das, dann sieht man, dass das Elektron immer nur durch einen Spalt hindurch geht. Und das Interferenzmuster verschwindet! Je nachdem, wie wir das Elektron beobachten scheint es mal eine Welle zu sein, mal ein Teilchen.
Und die Sache mit den Wahrscheinlichkeitswellen wird noch komplexer. Richard Feynman hat gezeigt, dass man für eine korrekte Beschreibung eines Teilchens immer alle Möglichkeiten berücksichten muss. Ein Teilchen hat normalerweise viele verschiedene Möglichkeiten um von A nach B zu kommen und wird diese Möglichkeiten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten realisieren. Aber wenn man wissen will, was das Teilchen treibt, muss man all diese Möglichkeiten berücksichtigen.
“In Feynmans Formulierung repräsentiert die beobachtete Gegenwart eine Mischung – eine besondere Form des Durchschnitts – aller denkbarer Vergangenheiten, die kompatibel sind mit dem, was wie jetzt sehen.”
schreibt Greene. Die Vergangenheit gibt es in der Quantenmechanik also nicht. Wenn wir ein Teilchen nun also beobachten, zum Beispiel in dem wir Detektoren in die Spalten einbauen, dann wählen wir quasi bestimmte Möglichkeiten aus der Vergangenheit aus:
“Ihre neue Beobachtung wählt genau jene Geschichten aus, die dem, was Ihre neue Beobachtung offen gelegt hat, vorausgehen hätten können. Da diese Beobachtung bestimmt, welche Bahn das Photon genommen hat, berücksichtigen wir nur jene Geschichten, die sich auf dieser Bahn bewegen, womit die Möglichkeit einer Interferenz ausgeschlossen wird.”
Experimente mit dem Doppelspalt wurden in den letzten Jahrzehnten oft genug durchgeführt; mit und ohne Detektoren in den Spalten. Und alle Ergebnisse bestätigen diese Theorie. Einige Experimente sind aber besonders interessant und legen verblüffende Eigenschaften des Zeitbegriffs in der Quantenmechanik offen. Eines davon nennt sich “Delayed-Choice-Experiment” und untersucht die etwas seltsam klingende Frage ob die Vergangenheit von der Zukunft abhängt.
Die Vorahnung der Photonen
Der Aufbau ist wieder einfach. Wir haben eine Lichtquelle, deren Licht durch einen Strahlenteiler geschickt wird. Beide Strahlen werden über einen Spiegel umgelenkt und auf einem Schirm wieder zusammengeführt. Dabei wird der eine Weg etwas länger gemacht als der andere sodass die Lichtteilchen interferieren können und ein Interferenzmuster bilden. Man kann die Lichtquelle wieder so einstellen dass nur jeweils ein Photon nach dem anderen abgeschickt wird. Die Quantenmechanik sagt nun, dass auch dieses einzelnen Photon – bzw. die Wahrscheinlichkeitswelle – beide Wege geht und deswegen am Ende ein Interferenzmuster zu sehen ist. Genau das beobachtet man auch. Installiert man an den Spiegeln Detektoren, die nachsehen, welchen Weg das Photon genommen hat, dann verschwindet das Interferenzmuster. Das alles wurde experimentell nachgewiesen. John Archibald Wheeler, der große amerikanische Astronom, hat eine interessante Variation dieses Experiments vorgeschlagen: Was passiert eigentlich, wenn man die Detektoren hinter den Spiegeln installiert?
Da kommt dann also das Photon, und weil wir ja nicht auf die Spiegel schauen, nimmt es beide Wege. Unsere Detektoren, die erst dann messen, wenn das Photon die Spiegel schon längst passiert hat, müssten dann also eigentlich auch messen, dass es an beiden Spiegeln vorbeigekommen ist. Ja – sollte man meinen. Das passiert aber nicht. Wenn man diese Messung so durchführt, dann zeigt sich kein Interferenzmuster! Das Photon scheint also irgendwie zu “wissen”, dass da eine Messung kommt und es nur einen Weg nehmen darf. Bzw. scheint die Messung zu beeinflussen, was davor passiert ist.
Wheeler hat noch eine weitere Steigerung des Experiments vorgeschlagen. Anstatt eines Doppelspalts könnte man theoretisch auch eine Gravitationslinse nehmen. Die allgemeine Relativitätstheorie sagt ja, dass Masse den Raum krümmt und so ein Stern oder eine Galaxie quasi als Linse fungieren kann und das Licht so wie einen Spiegel umleitet. Wir können uns also Licht vorstellen, dass von einem Milliarden Lichtjahre weit entfernten Quasar ausgesendet wird. Unterwegs passiert es eine Gravitationslinse und wir links und rechts vorbeigelenkt. Erst auf der Erde stellen wir dann Detektoren auf die messen, ob das Photon nun tatsächlich links oder rechts vorbei ging. Und – auch wenn das Experiment noch nie durchgeführt wurde – es ist klar, was wir sehen werden: Schalten wir die Detektoren aus, werden die Photonen des Quasars ein Interferenzmuster erzeugen; wir schließen daraus, dass sie gleichzeitig links und rechts um die Linse herumgegangen sind und interferiert haben. Schalten wir sie ein, verschwindet das Muster und wir messen, dass die Photonen entweder links oder rechts herumgegangen sind. Und das, obwohl die Photonen schon vor Milliarden Jahren ausgesandt wurden und die Linse passiert haben. Noch bevor die Erde entstand, haben die Photonen also quasi “gewusst”, ob wir am Ende ihres Weges einen Detektor aufstellen oder nicht.
Das widerspricht natürlich unserer Erfahrung. Für ein Photon das vor Milliarden Jahren ausgesandt wurde kann es nicht wirklich einen Unterschied machen, ob wir heute einen Schalter an einem Meßgerät umlegen oder nicht. Greene schreibt:
“Die Quantenmechanik stellt nicht in Abrede, dass die Vergangenheit geschehen ist, und zwar unwiderruflich. Der Konflikt erwächst einfach daraus, dass der Begriff der Vergangenheit in der Quantenmechanik eine andere Bedeutung hat als in der klassischen Vorstellung. In der klassischen Vorstellung aufgewachsen, sind wir versucht zu sagen, ein Photon habe dieses oder jenes getan. In der Quantenwelt, unserer Welt, verleiht diese Auffassung dem Photon jedoch eine zu eingeschränkte Wirklichkeit.”
Und er sagt weiter:
“Obwohl also die Quantenentwicklung von der Vergangenheit bis jetzt durch nichts beeinflusst wird, was wir jetzt tun, kann die Geschichte die wir über die Vergangenheit erzählen, insofern doch die Spur heutiger Handlungen in sich tragen.”
Greene beschreibt noch zwei weitere Experimente: den Quantenradierer und den Delayed-Choice Quantenradierer. Beide sind äußerst spannend – aber wenn ich sie hier auch noch ausführlich vorstellen würde, dann würde der Artikel hier viel zu lang werden. Besorgt euch das Buch und lest es selbst nach – es lohnt sich!
Delayed-Choice-Quantenradierer: Komplizierter als es aussieht… (Bild: Patrick Edwin Moran, GFDL 1.2)
Hier ist, was Greene zu diesen Experimenten sagte:
“Als ich zum ersten Mal von diesen Experimenten hörte, befand ich mich eine Tage lang in einer Art entrückter Hochstimmung. Mir war, als hätte man mir einen Blick auf eine verschleierte Seite der Wirklichkeit gewährt. Die Alltagserfahrung – profane, gewöhnlich, normale Verrichtungen – wirkte auf mich plötzlich wie Teil einer klassischen Scharade, welche die wahre Natur unserer Quantenwelt verbarg.”
Aber eigentlich ging es uns ja um den Zeitpfeil. Wir wollen wissen, warum die Dinge nur auf eine bestimmte Weise ablaufen, aber nie auf eine andere. Warum zerbrechen Eier und warum entbrechen sie nie? Die quantenmechanische Experimente haben gezeigt, dass hier unsere alltäglichen Vorstellungen von “Vergangenheit” und “Zukunft” nicht mehr gültig sind. In einer Hinsicht ist die Quantenmechanik aber nicht anders als die klassische Physik: auch ihre Gesetze sind zeitsymmetrisch und unterscheiden nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Quantenmechanik und Zeitpfeil
Die Schrödingergleichung, eine der zentralen Formeln der Quantenmechanik mit der die Ausbreitung der Wahrscheinlichkeitswellen beschrieben wird, hat keinen eingebauten Zeitpfeil. Zukunft und Vergangenheit werden absolut gleich behandelt. Das mag widersprüchlich erscheinen, wo ich doch weiter oben vom Kollaps der Wahrscheinlichkeitswelle geschrieben habe, der eintritt, wenn man eine konkrete Messung durchführt. So ein Kollaps stellt doch einen eindeutigen Einschnitt dar und würde man einen Film einer kollabierenden Wahrscheinlichkeitswelle sehen, könnte man doch sofort feststellen, ob er vorwärts oder rückwärts läuft? Das ist richtig – aber laut Schrödingergleichung würde eine Wahrscheinlichkeitswelle nicht kollabieren! Dieser Kollaps ist, wie Greene schreibt, “eine nachträgliche Zugabe” und dieses “Meßproblem der Quantenmechanik” beschäftigt die Physiker schon von Anfang an:
“Wie bringt die Messung eines Experimentators eine Wellenfunktion zum Kollaps? Beziehungsweise: findet der Kollaps der Wellenfunktion überhaupt wirklich statt, und wenn, was geht dann tatsächlich auf der mikroskopischen Ebene vor? Bewirkt jede einzelne Messung einen Kollaps? Wann tritt der Kollaps ein und wie viel Zeit ist dazu nötig?”
fragt Greene. Im Laufe der Zeit gab es dazu einige Lösungsvorschläge, die ich hier aber nicht detailliert vorstellen kann (lest das Buch!). Eine mögliche Lösung ist zum Beispiel die berühmte Viele-Welten-Interpretation. Sie besagt, dass die Wellenfunktion tatsächlich NICHT kollabiert sondern das jedes potentielle Ereignis, das von einer Wellenfunktion beschrieben wird, auch wirklich stattfindet – nur eben jedes in einem eigenen Universum (wer ein wenig unnützes Partywissen braucht: der Sohn von Hugh Everett, dem Begründer der Viele-Welten-Interpretation ist der Sänger der Band Eels). Eine andere Lösung hat David Bohm vorgeschlagen. Laut ihm existiert das Teilchen zusätzlich zur Wellenfunktion und sie sagt dem Teilchen quasi, wie es sich verhalten soll. Ghirardi, Rimini und Weber haben eine modifizierte Version der Schrödingergleichung vorgeschlagen, laut der die Wellenfunktionen auch ohne äußeren Einfluß spontan kollabieren können (bis jetzt konnte aber noch kein Hinweis gefunden werden, dass diese Gleichung tatsächlich richtig ist). Am populärsten ist die Theorie der Dekohärenz, die besagt das die Wellenfunktion immer mehr an Koheränz verliert je länger ein System mit seiner Umgebung wechselwirkt. Ein einzelnes Photon im leeren All kann wunderbar als reine Wellenfunktion existieren. Ein großes System, wie z.B. Mensch steht aber ständig in Wechselwirkung mit der Umgebung; ständig wird er von Photonen, Luftmolekülen, etc “angestupst” und die Wellenfunktion wird “verwischt” und kollabiert schließlich. Das klingt plausibel – aber die Dekohärenz erklärt z.B. nicht, wie aus den vielen Möglichkeiten genau die eine ausgewählt wird, die schließlich nach dem Kollaps realisiert wird.
Das Meßproblem ist also immer noch ungelöst. Und von den Lösungsvorschlägen hätte nur einer – die neue Gleichung von Ghirardi, Rimini und Weber – hätte einen eingebauten Zeitpfeil und könnte unsere Frage aus dem letzten Kapitel, die nach der Richtung der Zeit, beantworten. Die anderen Gleichungen sind genauso zeitsymmetrisch wie die ursprüngliche Quantenmechanik. Und selbst eine zeitasymmetrische Formulierung könnte immer noch auf die gleiche Erklärung angewiesen sein, die Greene im letzten Kapitel vorgestellt hat: ein Zustand äußerst niedriger Entropie kurz nach dem Urknall. So wie es momentan aussieht, bleibt uns also erstmal nichts anderes übrig, als uns mit dem Urknall zu beschäftigen, wenn wir das Rätsel der Zeit lösen wollen. Deswegen beschäftigen sich die nächsten drei Kapitel des Buchs auch mit der Kosmologie.
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